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mehr ausbreitete. Ein einziger Funke würde genügen. Nur ein einziger Funke und dann war endlich alles vorbei.

      Linas Augen wurden schwerer und schwerer. Maja sang unvermittelt weiter. Seltsam. Gerade jetzt fielen ihr alle Schlaflieder ein, die sie jemals gehört hatte. Dabei war es ihr gleichgültig, ob sie die Liedtexte richtig wiedergab. Es war nur wichtig, dass sie weitersang und ihre Tochter endlich einschlief.

      3.

       Vier Wochen vorher.

       Mittwoch 3. August

      „Ich brauche keinen Arzt, mir geht es gut,“ wehrte sich Maja gegen die festen Griffe der beiden Sanitäter, die sie sanft, aber bestimmt aus dem Bett zogen. Sie hatte keine Chance gegen die beiden und musste sich geschlagen geben. Schon seit Tagen fühlte sie sich schlapp und hatte keinen Appetit. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie ihren Mann, der neben der Tür stand.

      „Sandro, hilf mir,“ flehte sie ihren Mann an. Aber der schüttelte mit Tränen in den Augen den Kopf.

      „Es ist besser so Liebes, glaub mir,“ flüsterte er.

      „Lina und Marco,“ bäumte sie sich von der Trage auf und wurde sofort unsanft wieder zurückgedrückt.

      „Ich kümmere mich um die beiden, mach dir keine Sorgen,“ sagte Sandro Ettl. Seine Frau so zu sehen, schnürte ihm die Kehle zu. Maja war immer stark gewesen und darum hatte er sie immer bewundert. Er war nie so stark wie sie. Er hielt sich lieber im Hintergrund und ließ andere vorpreschen. Außerdem hasste er Probleme. Er ging allem Unangenehmen aus dem Weg. Dafür hatte er seine Maja, die wie ein Fels in der Brandung immer parat stand, wenn es Schwierigkeiten gab. Aber seit Tagen erkannte er seine Frau nicht wieder. Sie lag nur noch im Bett, aß und trank nichts und faselte nur dummes Zeug. Es war richtig gewesen, Hilfe zu holen.

      Der Arzt entschied, Maja zu fixieren, woraufhin sie ihn anstarrte.

      „Das ist zu Ihrem Besten,“ sagte er nur. Dr. Salzberger konnte nicht riskieren, dass die an sich körperlich kräftige Frau durch eine Unachtsamkeit von der Trage fiel. Die Folgen wären für ihn katastrophal. Er hatte versprochen, sich um die Patientin zu kümmern, wofür er fürstlich belohnt wurde. Zur Sicherheit gab Dr. Salzberger der Patientin, die er bis dato persönlich nicht kannte, eine Beruhigungsspritze. Sie wirkte schnell und er konnte sie endlich abtransportieren lassen.

      Sandro Ettl sah dem Krankenwagen hinterher. Er fragte nicht, wohin seine Frau gebracht wurde, es war ihm im Moment auch egal. Geschockt von dem Zustand seiner Frau und dem, was er die letzten Tage beobachten musste, stand er einfach nur da und beantwortete die Fragen Dr. Salzbergers.

      „Wer hat den Notarzt alarmiert?“

      „Unser Kindermädchen Elena fand meine Frau in diesem Zustand. Sie bekam es mit der Angst zu tun und hat mich im Büro angerufen. Meine Mutter hat alles weitere in die Wege geleitet.“

      Dr. Salzberger machte eifrig Notizen.

      „Was ist mit meiner Frau?“

      „Das finden wir heraus, machen Sie sich keine Sorgen. Nimmt Ihre Frau Medikamente?“

      „Keine Ahnung. Müsste ich nachsehen,“ murmelte Sandro Ettl, ohne Anstalten zu machen, sich zu bewegen.

      „Wenn Sie das bitte tun würden?“ Als sich Sandro Ettl immer noch nicht rührte, fügte er hinzu: „Es ist sehr wichtig.“

      Wie ferngesteuert setzte er sich in Bewegung und ging ins Bad. Die Hausapotheke war übersichtlich und bestand aus den üblichen Medikamenten eines Durchschnittsbürgers. Und aus einigen Naturheilmitteln, die keine Gefahr darstellten.

      „Vielleicht im Schlafzimmer?“, bohrte Dr. Salzberger nach. Er hatte kein Mitleid mit Herrn Ettl, dafür hatte er schon viel zu viel Elend gesehen.

      Sandro ging ins Schlafzimmer und öffnete die Schublade des Nachttisches seiner Frau. Erschrocken starrte er auf den Inhalt. Das alles soll seine Frau eingenommen haben?

      „Was ist das für Zeugs?“

      „Schlafmittel, Psychopharmaka, Schmerzmittel,“ sagte Dr. Salzberger und machte sich eifrig Notizen. „Leidet Ihre Frau an Angstzuständen? War sie in Behandlung?“

      „Nein!“, rief Sandro viel zu laut. „Meine Frau war bis vor zwei Wochen kerngesund. Das hier passt nicht zu ihr. Maja hasste Medikamente und würde dieses Teufelszeugs niemals anrühren. Woher hat sie das?“

      „Beruhigen Sie sich,“ sagte Dr. Salzberger. „Nur noch eine Frage, dann bin ich weg. Wer ist der Hausarzt Ihrer Frau?“

      „Sie vertraut Ärzten nicht. Sie gibt ihnen die Schuld am Tod ihrer Eltern. Ihrer Meinung nach wurden sie falsch behandelt und sind deshalb gestorben. Seit ich Maja kenne, geht sie zu einem Heilpraktiker. Auch unsere Kinder vertraut sie keinem Arzt an, weshalb es immer wieder Streit in der Familie gab.“

      „Welcher Heilpraktiker?“

      „Sein Name ist Philipp Zach. Er hat seine Praxis in Ampfing in der Bahnhofstraße. Was ist los mit Maja?“ Sandro sah Dr. Salzberger flehend an. Wartete er wirklich auf eine Antwort? Sollte er eine Diagnose aus dem Handgelenk schütteln? Er hatte keine Antwort für den Mann seiner Patientin. Stattdessen hielt er ihm das Klemmbrett vor.

      „Unterschreiben Sie bitte hier und hier. Machen Sie sich keine Sorgen, Ihre Frau ist bei mir in den besten Händen. Ich werde mich persönlich um sie kümmern. Sobald ich eine Diagnose habe, melde ich mich bei Ihnen. Bis dahin bitte ich Sie, Geduld zu haben.“

      Sandro nahm seine Jacke und machte Anstalten, den Arzt zu begleiten.

      „Sie bleiben hier. Kümmern Sie sich um die Kinder. Soll ich Ihnen etwas zur Beruhigung hierlassen?“

      Sandro schüttelte den Kopf und Dr. Salzberger verabschiedete sich und verschwand, so schnell er konnte.

      Dr. Salzberger wählte die eingespeicherte Nummer, die ganz oben auf seiner Liste stand.

      „Die Patientin ist auf dem Weg in meine Klinik.“

      „Sehr gut. Wie ist ihr Zustand?“

      „Augenscheinlich schlecht, sie stand unter starken Beruhigungsmitteln. Physisch ist sie in sehr gutem Zustand, sie wird sich schnell erholen.“

      „Dann sehen Sie zu, dass das nicht geschieht. Ich brauche ein Gutachten, das jeder Prüfung standhält.“

      „Ich kümmere mich darum.“

      „Gut. Die vereinbarte Zahlung habe ich angewiesen.“

      4.

      Maja Ettl verstand kein Wort von dem, was die Menschen an ihrem Bett miteinander sprachen. Wo war sie? Und was war hier los? Sie versuchte, sich zu bewegen, aber das gelang ihr nicht. Reiß dich zusammen! Sie konzentrierte sich nur auf ein Gesicht, das sich dicht über sie beugte. Wer war das? Ein Mann. War er es? Panik stieg in ihr auf. Dann spürte sie einen Schmerz an ihrem Arm. Sie kämpfte gegen den Schlaf an und musste sich ihm geschlagen gegeben.

      Sie kam wieder zu sich und sah sich um. Die Sonne schien und wenn sie sich konzentrierte, konnte sie die Vögel singen hören. Wo war sie?

      Reiß dich zusammen!

      Sie saß in einem Rollstuhl in einem Garten, den sie nicht kannte. Neben ihr saß eine Frau und las in einem Buch. War das ein Buch? Nein, sie tippte in ein Handy! Maja bemühte sich zu sprechen, was ihr nicht gelang. Ihre Kieferknochen gehorchten ihr nicht und ihre Zunge war so dick angeschwollen, dass sie den ganzen Mundraum ausfüllte. Sie versuchte, ihre Hände zu bewegen, die reglos in ihrem Schoß lagen. Nur der Zeigefinger der rechten Hand gehorchte ihr, alle anderen Glieder waren bleischwer und sie war nicht in der Lage, sie zu bewegen. Die Frau blickte von ihrem Handy auf und lächelte sie an. Maja bemühte sich, mit ihren Augen zu sprechen. Ob die Frau sie verstand? Offensichtlich nicht, denn sie widmete sich wieder ihrem

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