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Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann
Читать онлайн.Название Klaus Mann - Das literarische Werk
Год выпуска 0
isbn 9783754940884
Автор произведения Klaus Mann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ernst hoffte, noch eine Weile in der Schweiz bleiben zu können. Er hatte ein paar Empfehlungen nach Zürich und genug Geld, um im Zug dorthin zu fahren. Nun hieß es Abschied nehmen von Hans.
Sie waren fast drei Jahre lang miteinander gewesen. Sie dachten beide an ihr enges Zimmer in Prag, und an die Mädchen, die sie mitgenommen hatten, und an die ersten schönen Spaziergänge durch die Stadt, und an all das weniger Schöne, das gefolgt war, im Laufe dieser Monate, dieser Jahre. Sie hatten so viel, woran sie sich erinnerten, daß sie lieber nicht davon sprachen. Sie sagten nur: »Mach’s gut, Hans.« Und: »Mach’s gut, Ernst. Hoffentlich sehen wir uns bald einmal wieder.« – Als sie sich die Hände schüttelten, sahen sie sich nicht dabei an. Drei Jahre sind eine lange Zeit.
Dann fiel dem Hans noch was ein: »Wenn du schon in Zürich bist, könntest du eigentlich dieses Mädel anrufen, das mir seit 1933 Briefe schreibt. Sie heißt Tilly Kammer. Warte, ich weiß ihre Adresse auswendig … Grüße sie schön von mir und sag ihr, es tut mir leid, daß ich sie jetzt nicht kennenlerne. Vielleicht besuche ich sie ein anderes Mal – sag ihr das von mir.« – Ernst notierte sich die Adresse. Dann gaben sie sich nochmals die Hand. »Und schreib mir mal ’ne Ansichtskarte!« – »Wohin?« fragte der andere. – »An Hans Schütte, Europa.«
Zum Schluß ein Gelächter – damit man die Tränen nicht sah.
In Zürich meldete sich Ernst telefonisch bei Tilly von Kammer. »Ich bin nämlich ein Freund von Hans Schütte«, erklärte er. »Der hat mir Grüße an Sie aufgetragen.« – Ein Freund von wem? Tilly verstand nicht gleich. Sie hatte ja immer nur an H.S., poste restante, geschrieben. Weiß Gott, warum Schütte während all der Zeit auf das romantische Geheimnis um seinen Namen nicht hatte verzichten wollen … Als Tilly dann begriff, wurde sie ziemlich aufgeregt. »Aber H.S. selber – ich meine Hans Schütte, kommt nicht hierher?« fragte sie. – Ernst, ein bißchen beleidigt: »Entschuldigen Sie, daß nur ich es bin!« Da Tilly lachte, sagte er noch, gleich wieder munter: »Na, wir werden uns schon vertragen, Fräulein!«
Sie trafen sich in einer Teestube, nahe dem Hauptbahnhof. Ernst erklärte: »Von Ihnen habe ich schon kolossal viel gehört!« Tilly wurde ein bißchen rot. Dann erkundigte sie sich heuchlerisch: »Von wem denn? – In Prag kennt mich doch niemand …« – »Na, vom Hans doch«, erklärte er gutmütig. »Vom Schütte. Er hat immer Freude mit Ihren Briefen gehabt.« – »Ich habe mit seinen Briefen auch viel Freude gehabt«, sagte sie. Und Ernst: »Er ist ein feiner Kerl! Sie müssen ihn unbedingt kennenlernen! Einen feineren gibt es gar nicht!« – Tilly, mit züchtig niedergeschlagenen Augen – als spräche sie etwas Unpassendes aus: »Ich habe mir schon lange gewünscht, ihn mal kennenzulernen.« – »Aber zunächst dürfte keine Gelegenheit dazu sein!« Ernst sagte es nicht ganz ohne Schadenfreude. »Er ist nach Frankreich. Von dort will er wohl nach Belgien und Holland weiter, und später vielleicht nach Skandinavien, wenn’s geht …« Tilly erwiderte eine Weile nichts. Dann bat sie den Ernst, er solle ihr etwas von seinem Prager Leben mit Hans erzählen.
Er wurde verlegen. Wenn man plötzlich etwas erzählen soll, fällt einem natürlich nichts ein. »Wir hatten ein recht nettes kleines Zimmer, Hans und ich«, fing er umständlich an. »Manchmal kam auch Besuch.« Da stockte er schon. »Was für Besuch?« wollte Tilly wissen. Ernst, anstatt auf diese Frage näher einzugehen, schilderte in möglichst schön gewählten Worten die Reize und Kuriositäten der Stadt Prag. Er kam auf den Stammtisch zu sprechen, wo mit den Kameraden politische Diskussionen geführt worden waren. Er berichtete auch von den vielen und sonderbaren Arbeiten, mit denen sie sich ein bißchen Geld verdient hatten. »Das ist ja eigentlich nicht erlaubt gewesen«, sagte Ernst. »Es war uns auch nie so richtig wohl zumute dabei. Denn, schließlich – die Regierung bei den Tschechen ist doch ganz anständig; anständiger jedenfalls als in den meisten andern Ländern. Und außerdem waren wir nur geduldet. Da hätten wir wohl nichts machen sollen, was gegen die Gesetze ist. – Aber was blieb uns übrig?«
Ernst gefiel Tilly. Sie mochte sein Gesicht: die gespannte, etwas fleckig angegriffene Haut auf den slawisch breiten Wangenknochen; die hellen und engen Augen; das blonde Haar, preußisch kurz geschoren am Nacken und an den Schläfen. Sogar von seiner Kleidung war sie gerührt. Die Sachen, die er in Basel geschenkt bekommen hatte, waren keineswegs so neu und hübsch, wie er im ersten Vergnügen hatte meinen wollen. Der graue Anzug war recht dünn und abgeschabt, er glänzte speckig, und die Farbe spielte trüb ins Gelbliche. Auch mit den Schuhen war kaum viel Staat zu machen. Am besten war noch das dicke, rote Wollhemd. Er trug es ohne Krawatte; unter dem breiten geöffneten Kragen baumelte ziemlich melancholisch eine kleine gedrehte Kordel. Das Hemd war schon zu lange im Dienst, man sah es ihm an. Der Verdacht drängte sich auf, daß es unfrisch roch. – Einen Überzieher besaß Ernst nicht. Als sie auf die Straße traten, bemerkte Tilly: »Aber Sie müssen frieren!« Und sie nahm seinen Arm.
Sie aßen miteinander zu Abend; dann gingen sie für eine Stunde ins Kino. Die Nacht war schön; Tilly hatte Lust, zu Fuß nach Rüschlikon zu gehen. Ernst begleitete sie. Beim Abschied verabredeten sie etwas für den nächsten Abend. Als Tilly schon in der Haustüre stand, sagte sie plötzlich, mit einem auffallend weichen, schräg abgleitenden Blick: »Sie sind also der H.S.« Es schien, daß sie alles durcheinanderbrachte. Vielleicht hatte sie ein Glas Wein zuviel getrunken, vielleicht war sie nur müde. Er fand es taktvoll, sie nicht zu korrigieren. »Gute Nacht, Tilly«, sagte er.
Während sie sich auszog, fiel ihr ein, daß für morgen abend Peter Hürlimann sie in ein Konzert eingeladen hatte. ›Ich muß ihm absagen‹, beschloß sie. ›Morgen abend bin ich besetzt. Konnis Freund, der H.S., ist ja hier …‹
Während sie schon einschlief, dachte sie noch: ›Komisch, diese kurz geschorenen Haare am Nacken und an den Schläfen … Die müssen aber ziemlich stark kitzeln, wenn man das Gesicht an sie legt … Hat er mir nicht erzählt, daß er in Berlin ein Schupo war? Ich kann ihn mir recht gut vorstellen in der grünen Uniform …‹
Es regnete in Strömen. An Spazierengehen war nicht zu denken. Zum Kino hatten Tilly und Ernst keine Lust. Sie waren überhaupt bei weitem nicht so lustig wie den Abend zuvor. Beide schauten viel vor sich hin, oder der eine dem anderen ins Gesicht, ohne zu reden. Wenn die Gier in ihren Blicken zu deutlich wurde, senkten sie die Augen, wie beschämt. Aber bald ertappten sie sich wieder dabei, daß der eine versunken saß in das Bild des anderen. Nach dem Essen blieben sie noch eine Weile in der halbdunklen Wirtsstube sitzen. Endlich war es Tilly, die sagte: »Wir sollten gehen.« Er antwortete nicht gleich. Unersättlich ließ er die Blicke über ihr Antlitz wandern. ›So was Hübsches habe ich lange nicht gesehen‹, dachte er. ›So was Schönes sehe ich lange nicht wieder. Merke dir, was du siehst, damit du es nicht gleich wieder vergißt, dummer Kerl! – Ihre Stirn, alabasterweiß, ernst gerahmt vom schlichten rötlichen Haar. Wie brav und fromm ihr Haar in der Mitte gescheitelt ist – und dazu der große, weiche, schlampige Mund, und die langen, schräggestellten feuchten Augen. Und dieses schlichte dunkle Kleidchen, das sie heute trägt – die nackten Arme kommen so reizend unterm dunklen, leichten Tuch hervor, und die Form ihrer Brüste hebt sich so deutlich ab.‹ – Er merkte, daß sie sich zusammenzog, weil er sie anstarrte. Es war ihm peinlich, er sagte, gleichsam um Entschuldigung bittend: »Ja, es wird wirklich Zeit …« Keiner von beiden wußte, wofür es Zeit war und wohin sie gehen wollten.
Auf der Straße war wieder sie es, die zu reden begann. »Es regnet immer noch.« Ihre Stimme klang traurig. Er sagte tröstlich: »Aber nur noch ein bißchen. Und