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was soll das bedeuten?! Wenn ich Talent habe, dann habe ich doch ein Gesicht. Und wenn ich ein Gesicht habe, dann bin ich doch nicht häßlich!!«

      »Ich kenne noch einen Pariser Theaterdirektor«, sagte Marion müde. »Mit dem werde ich Sie zusammenbringen, Fräulein Ill.«

      Und Ilse – die vom Ehrgeiz gejuckt wurde wie von einem giftigen kleinen Ausschlag – wiederholte: »Er hat mir gesagt: ›Vous êtes trop laide, Mademoiselle!‹ Ist das zu fassen? Ist das vorzustellen …?«

      »Du mußt mit mir ans Meer!« Dieses Mal bestand Marcel darauf.

      Sie fuhren nach einem kleinen Ort in der Nähe von Deauville. Der Sommer ging zu Ende; die Winde waren heftiger und rauher. Das dunkle, bewegte Wasser ließ erkennen: es ist Herbst geworden. – »Schluß mit dem Sommer!« Marcel rief es mit grimmiger Vergnügtheit aus – als wäre es jedenfalls gut, daß wieder eine Jahreszeit, irgendein Lebensabschnitt erledigt und endgültig vorüber war. – »Nie wieder Sommer 1933!« Marion hielt das Gesicht und die schimmernde Mähne dem Sturm hin. »Es war ein infernalischer Sommer. Diese heißen Wochen in Paris vergesse ich nie. Der Asphalt auf den Straßen war ja schon ganz weich geworden; die Schuhsohlen klebten einem fest …«

      Sie machten weite Strandspaziergänge, oder sie saßen, in ihre Mäntel gehüllt, auf einer Terrasse – fröstelnd, aber froh.

      Nachts, wenn der Sturm um das kleine Hotel tobte, veränderte sich alles um sie herum ins Wilde und Phantastische. Sie wußten nicht mehr, daß es ein ziemlich kleinbürgerlicher Erholungsort war, den es da vor ihren Fenstern gab. Das Zimmer, in dem sie einander liebten, schien in der Luft zu hängen, eine schwebende Gondel.

      Marion taumelte. Die lange Promenade am Meer und der große Wind, dem sie ihr Gesicht dargeboten hatte, waren wohl ein wenig viel für sie gewesen. Sie klammerte sich an Marcel, als ob sie stürzen müßte, wenn sie ihn ließe.

      »Wie mager du bist!« sagte er noch einmal; er schien sich über die Schmalheit ihres Körpers nicht genug erstaunen zu können, obwohl er selber dünn war. »Nur Haut und Knochen!« Dies konstatierte er nicht ohne eine gewisse Strenge. Aber wieviel gerührte Zärtlichkeit klang in seinem Tadel! – »Komm zu Bett!« Es war Marion, die ihn bat. »Mir ist schwindlig.«

      Das Zimmer schwankte ihr unter den Füßen. Nun schien es ein Schiff auf hoher See zu sein – oder vielleicht nur ein kleiner Nachen. Wohin trug er sie? Gab es Ufer, jenseits dieser Gewässer, die sich unermeßlich breiteten? Und wenn es Ufer gab – hatte man Kraft genug, um sie zu erreichen?

      »J’ai peur – ah, j’ai peur …« Marion erschrak: dies war Marcels flüsternde Stimme; sie aber hatte genau dasselbe sagen wollen – freilich auf deutsch.

      »Wovor fürchtest du dich?« – Er beantwortete ihre Frage mit einer Stimme, die plötzlich rauh war und etwas keuchte. »Gefahren – Gefahren überall … Oh, wir sind schon verloren …! Welche Schuld haben wir auf uns geladen, daß man uns zu solcher Strafe verdammt …? Ach, Marion – Marion …« Seine Worte vergingen an ihrem Hals. Vielleicht weinte er.

      »Wir werden schon fertig – mit allem!« raunte sie zuversichtlich. Aber auch ihre Augen hatten den entsetzten Blick, als wäre ein Abgrund jäh vor ihnen aufgesprungen.

      Aus dem Abgrund stiegen Feuerbrände, auch Qualm kam in dicken Schwaden, und Felsbrocken wurden emporgeschleudert. Es war der Krater eines Vulkans.

      Hüte dich, Marion! Wage dich nicht gar zu sehr in die Nähe des Schlundes! Wenn das Feuer dein schönes Haar erfaßt, bist du verloren! Wenn einer der emporgeschleuderten Felsbrocken deine Stirne streift, bist du hin! Auch könnte es sein, daß du am Qualm elend ersticken mußt.

      Hütet euch, Marion und Marcel! Furchtbar ist der Vulkan. Das Feuer kennt kein Erbarmen. Ihr verbrennt, wenn ihr nicht sehr schlau und behutsam seid. Warum flieht ihr nicht? Oder wollt ihr verbrennen? Seid ihr versessen darauf, eure armen Leben zu opfern? – Aber ihr habt nur diese! Bewahrt euch! Wenn auch ihr im allgemeinen Brand ersticken solltet – niemand würde sich darum kümmern, niemand dankte es euch, keine Träne fiele über euren Untergang. Ruhmlos – ruhmlos, Marion und Marcel, würdet ihr hingehen!

      Noch einmal Marcels keuchende Flüsterstimme: »Gefahren, wohin ich schaue … Kampf – Kampf ohne Ende … Ich sehe Mord – Mord und Tränen … Voici le temps des assassins! Die mörderische Zeit ist angebrochen … Wohin retten wir uns? Wohin fliehen wir mit unserer Liebe? Wohin, Marion, wohin?«

      Der Griff seiner Hände, der von verzweifelter Heftigkeit war, lockert sich endlich. Er schmiegt sich an sie. Nebeneinander ruhen ihre erschöpften Häupter. Ihre Augen waren geblendet von Feuerbränden, die den Horizont nicht erhellen, sondern purpurn verfinstern. Da der eine nun die atmende Nähe des anderen spürt, dürfen sie endlich damit aufhören, ins schauerliche Gewoge der Flammen zu schauen – der Flammen aus dem Vulkan. Sie schließen die Augen. Mit dem Seufzen, das alle Liebenden haben – und das nach Qualen klingt, während es doch soviel mehr ausdrückt als nur die Schmerzen – vertrauen sie sich den Umarmungen an, und ihr letzter Trost sind die Küsse.

      5

      »Man gewöhnt sich an alles«, konstatierte Frau von Kammer und seufzte. Niemals hätte sie es für möglich gehalten, daß sie imstande war, ein derart reduziertes, glanzloses Leben auszuhalten.

      Den guten Bekannten, die in Deutschland geblieben waren – achtbaren Leuten durchaus konservativer Gesinnung – schien es noch bedeutend schlimmer zu ergehen, wenn man den Nachrichten glauben durfte, die in Zürich eintrafen. Ein Major a.D., der zu den Freunden des Generals von Seydewitz gehört hatte, war mehrere Wochen lang im Konzentrationslager gewesen und säße heute noch drin, wenn er nicht über besonders glänzende Verbindungen verfügte: alles dies, weil sein Dienstmädchen gemeldet hatte, er spreche respektlos von der Regierung. Ein verdienstvoller Herr, bewährt im Krieg wie im Frieden – und verhaftet wegen der Schwätzereien einer Magd! Manche, die im Februar 1933 von der »Machtergreifung« Hitlers entzückt gewesen waren, schienen jetzt, ein Jahr später, schon enttäuscht. Vor allem in Offizierskreisen gab es Katzenjammer, wie Frau von Kammer sich erzählen ließ. Nicht ohne Triumph nahm sie es zur Kenntnis. »Es scheint in der Tat, daß ein Mensch, der Gefühl für Würde hat, in diesem Deutschland nur noch Selbstmord begehen kann«, sprach Marie-Luise mit feierlichem Nachdruck. – »Selbstmord ist keine Lösung«, warf Tilly etwas schnippisch ein. »Sinnvoller wäre: gegen das Regime zu opponieren.« – »Falls das noch irgendwie möglich sein sollte«, schloß Frau Tibori und hatte ihr dunkles, gurrendes, nicht ganz natürliches Lachen. – Tilly wollte das letzte Wort haben. »Die Möglichkeit zur Opposition ist wohl immer da«, meinte sie und sah eingeweiht aus. »Freilich genügt für die illegale Arbeit gegen die Diktatur weder die rechte Gesinnung noch Courage; es gehört Erfahrung dazu – Training, wie zu einem Sport.« Sie erinnerte sich der barschen Belehrung, mit der die zwei jungen Männer in Berlin sie abgefertigt hatten. Frau Tibori und Marie-Luise zeigten ziemlich ratlose Mienen.

      Die Schauspielerin erschien jede Woche mindestens einmal zum Tee bei ihrer Freundin. Frau von Kammer hatte, seit dem ersten Januar, die Wohnung in der Mythenstraße aufgegeben, weil sie zu kostspielig war, und gesellschaftliche Repräsentation ohnedies kaum noch in Frage kam. Sie war weiter hinaus, an den See, gezogen und bewohnte nun mit Tilly drei bescheiden möblierte Stuben in Rüschlikon. Die Tibori ihrerseits lebte immer noch mit jenem älteren Herrn, von dem sie meist zurückhaltend als von »meinem Bekannten«, manchmal auch als von »Herrn Kommerzienrat« sprach. – »Er ist gut zu mir, weißt du«, hatte sie Marie-Luise einmal gestanden, »und er verlangt nicht viel. Eigentlich liegt ihm nur daran, meine Stimme zu hören. Er ist vernarrt in hübsche Frauenstimmen und hört mich so gerne schwätzen. Nun, das Vergnügen ist ihm zu gönnen – wenn man bedenkt, was er sich’s kosten läßt. – Der Rest bedeutet nicht viel für ihn.«

      Frau von Kammer war doch ein wenig schockiert, weil ihre Jugendgespielin mit soviel Zynismus vom »Rest« sprach. Sie hatte Tilla einmal mit dem Kommerzienrat, gelegentlich einer Theaterpremière, getroffen. Der Tibori war es peinlich gewesen; aber ihr greiser Kavalier ließ sich unbarmherzig vorstellen. Er sah recht verfettet und melancholisch aus, mit hängenden bleichen Backen

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