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Sahra und Malek. T.D. Amrein
Читать онлайн.Название Sahra und Malek
Год выпуска 0
isbn 9783752902372
Автор произведения T.D. Amrein
Жанр Языкознание
Серия Krügers Fälle
Издательство Bookwire
Heute war sie froh darüber. Es war hart gewesen. Sehr hart. Die Not hatte sie jedoch auch fest zusammengeschweißt. Und seit er verdiente, unterstützte er seine Mutter mit einer regelmäßigen Überweisung. Dadurch verschwand das bisher alles überlagernde Thema in den Hintergrund. Der einzige Wermutstropfen, sein Arbeitsplatz befand sich auf einem Schiff. Auf hoher See. In geschlossenen Räumen oder dauernd an derselben Stelle hielt er es nicht lange aus.
Sie tröste sich insgeheim damit: Besser weit weg, dann brauchte er sich nicht für seine Mutter zu schämen. Obwohl er das niemals getan hatte.
Ein deutliches, rasend schnell näherkommendes Rascheln ließ Sahra erstarren. Etwas streifte ihre Schulter, ein brennender Schmerz im Ohr, es fühlte sich an, als ob sie von einer scharfen Zange gezwickt worden wäre. Gleichzeitig versuchte offenbar jemand, ihr eine ganze Haarsträhne auszureißen.
Sahra blieb absolut bewegungsunfähig. Sie schaffte es nicht einmal, zu schreien. Jetzt passierte genau das, wovor sie sich trotz aller Liebe zur Natur insgeheim gefürchtet hatte. Sie wurde brutal überfallen und ohne jede Hemmung geschlagen, bis sie sich nicht mehr wehren konnte. Restlos verkrampft, erwartete sie den nächsten Schlag. Hoffentlich bereitete man ihr ein schnelles Ende. Natürlich eine absolut naive Vorstellung. Sie würde bestimmt tagelang gequält werden …
Irgendwie entfernte sich das Geräusch nach oben. Gewiss bloß eine Halluzination ihres verstörten Gehirns, das sich vor der Realität bewahren wollte.
Sie wartete vergeblich. Endlich schaffte sie es, nach oben zu sehen. Ein dunkelbrauner Fleck flitzte die Äste entlang, um danach in hohem Bogen in die nächste Krone zu wechseln. Der Fleck verfügte über einen buschigen Schwanz, der sich in der Luft gut erkennen ließ. Sahra griff sich an die Ohrmuschel. Blut. Warm und klebrig. Wie befürchtet.
Vorsichtig drehte sie den Kopf. Keiner da.
Sahra ließ sich ins Moos sinken. Ausgerechnet ein niedliches Eichhörnchen hatte ihr den größten Schrecken eingejagt, den sie sich überhaupt vorzustellen vermochte. Diese Art, die sie oft verzückt beobachtete, wenn sie reglos dalag, hatte bisher zu ihren absoluten Lieblingstieren gezählt. Klar war das keine Absicht gewesen. Aber trotzdem.
Auf dem Rückweg streifte Sahra nicht so unbeschwert wie sonst durch den Wald. Das Erlebnis hatte ihre Aufmerksamkeit deutlich geschärft. Außerdem spürte sie ihren Puls im Ohr. Wenigstens blutete es nicht mehr, aber das Brennen verstärkte sich massiv, sobald sie die Ohrmuschel berührte. Sahra ging normalerweise ohne Schminkspiegel in den Wald. Deshalb wusste sie nicht, wie die Verletzung aussah. Die Anzahl der mit Blut vollgesaugten Papiertaschentücher ließ Schlimmes vermuten. Gott sei Dank trug sie keinen Ohrring, den hätte ihr das Tier bestimmt herausgerissen.
Sahra versuchte, sich selbst zu beruhigen. Sie hatte schließlich schon einiges überstanden. Und zerfetzt fühlte sich das Ohr nicht wirklich an. Außerdem schwemmte das Blut auch Bakterien oder andere Erreger aus der Wunde. Bei Unfällen mit Wildtieren bestimmt kein Nachteil. Die praktische Sahra gewann Stück für Stück wieder die Oberhand.
Etwas Glänzendes, das durch einen einzelnen Sonnenstrahl beleuchtet wurde, fiel ihr im Unterholz auf. Der Wald stand hier nicht besonders dicht. Die Schneise, die man in der Nähe für eine Bundesstraße geschlagen hatte, sorgte für mehr Licht unter den Bäumen als üblich. Mit einem Fuß stieß sie nach dem Ding. Es fühlte sich schwer an. Sie bückte sich und wich unwillkürlich zurück. Eine Pistole. Schwarz, glänzend mit einigen blanken Stellen. Allzu lange konnte die noch nicht hier liegen, ging ihr durch den Kopf. Andererseits schaute sie normalerweise auch nicht so aufmerksam hin, überlegte sie. Trotzdem, keine Spur von Rost an den blanken Stellen. Das dauerte doch im Freien wohl nicht besonders lange.
Nicht das Sahra irgendetwas von Waffen verstanden hätte. Aber ihr erster richtiger Freund, Gonzo, natürlich ein Spitzname, hatte so ein Ding besessen. Die einzige Sache, die er stets gehegt und gepflegt hatte. Einschließlich seiner Freundinnen. Ständig zerlegte er das Ding und reinigte sorgfältig die Einzelteile. Übte stundenlang in eckigen Bewegungen, Deckung von Zimmer zu Zimmer und das schnelle Wechseln des Magazins.
Sahra hob die Pistole auf. Lag gut in der Hand, stellte sie fest. Sie erinnerte sich, welchen Respekt es Gonzo verschaffte, wenn er die seine aus dem Hosenbund gezogen hatte. Da war doch irgendwo ein Druckknopf gewesen.
Das Magazin glitt aus dem Griff und rollte ins trockene Laub. Rasch hob sie es wieder auf. Deutlich erkennbar enthielt es mehrere messingfarbene Patronen.
Sahra schaute sich um. Niemand zu sehen. Sie schob das Magazin zurück in den Griff und steckte die Waffe ein. Eigentlich war sie nicht darauf erpicht, Erinnerungen aus der schlimmsten Zeit ihres Lebens zu wecken. Jedoch genau dazu führte dieser Fund. Aber etwas von Wert, das sich leicht zu Geld machen ließ, einfach wegzuwerfen, das schaffte Sahra nicht. Zu lange hatte der Mangel ihr Leben bestimmt.
***
Das Ohr sah dunkelrot und dick geschwollen, ziemlich schwer verletzt aus. Aber genau genommen handelte es sich bloß um einen tiefen Kratzer. Offenbar war das Hörnchen mit der Kralle an der Ohrmuschel abgerutscht, als es den Stamm hinaufhetzte. Wovor es geflüchtet war, wusste Sahra nicht. Wahrscheinlich fühlte es sich genauso panisch wie sie in diesem Moment. Und seine Todesangst hatte wohl einen konkreten Grund. Im Wald lagen zahlreiche Fuchsbaue mit frisch ausgeworfener Erde davor. Ein sicheres Zeichen, dass sie bewohnt waren.
In der Nacht träumte Sahra, wie sie mit vorgehaltener Waffe einen Tätowierer zwang, einem pickligen Grünschnabel, ein Hakenkreuz mitten ins Gesicht zu stechen. Der Traum entstand nicht einfach aus dem Nichts. Es waren die Gedanken, gegen die sie sich tagsüber gewehrt hatte. Dass das Opfer gesichtslos blieb, lag daran, dass sie tatsächlich nicht wusste, wer damals dabei gewesen war. Außer Gonzo natürlich. Der war immer dabei gewesen, wenn etwas ausuferte. Und auch der würde Respekt zeigen, wenn man eine Pistole direkt auf ihn richtete. Und sich womöglich sogar an die Namen seiner damaligen Kumpels erinnern.
Aber wo der heute stecken mochte? Wahrscheinlich war der längst zum braven Bürger geworden. Hatte möglicherweise Frau und Kinder. Allerdings schwer vorstellbar bei ihm.
Seine damalige Stammkneipe lag nur wenige Kilometer entfernt. Vielleicht könnte man nach der Arbeit einmal kurz vorbeischauen. Auf ein Bier. Sogar so was konnte sie sich jetzt ab und zu leisten. Eventuell würde sie vorsichtig nachfragen.
Sahra arbeitete seit der Geburt ihres Sohnes für einen kleinen Bestatter. Ein oder zweimal die Woche. Nur wenn es bei ihm Arbeit gab, logischerweise. Sie richtete die Verstorbenen her, wusch und schminkte sie. Eklig zwar, aber vergleichsweise gut bezahlt. Eine einfache Einraumwohnung auf dem Firmengelände gehörte dazu. Er hatte ihr überdies immer wieder das Jugendamt vom Leib gehalten, das dauernd damit drohte, ihr das Kind wegzunehmen. Dafür ließ sie ihn ab und zu anfassen oder schlief mit ihm. Das hatte sich so ergeben. Ohne Gewalt. Er benahm sich jederzeit anständig. Demütigte sie nicht und akzeptierte, wenn sie einmal keine Lust hatte. Eigentlich eine fast normale Beziehung. Außer, dass er sie niemals auf den Mund küsste und ihr immer wieder zu verstehen gab, dass er sich auf keinen Fall binden wollte.
***
Die Kneipe sah immer noch genauso aus wie früher. Nur der Typ hinter dem Tresen war ein anderer. Sahra zögerte erst. Was sollte sie tun, wenn sie erkannt wurde?
Aber die jungen Kerle, die sich in einer Ecke zusammendrängten, beachteten sie überhaupt nicht. Die Aufmerksamkeit galt zwei Mädchen, vielleicht fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, die versuchten, kokett zu wirken. Es hatte sich wirklich nicht viel geändert. Sahra blieb am Ende des Tresens stehen und bestellte ein Bier.
Gespannt verfolgte sie das Geschehen vorsichtig aus dem Augenwinkel. Die Typen versuchten, sich gegenseitig durch markige Sprüche auszustechen. Offenbar fehlte es allen an Kohle, um den Mädchen ein Getränk anzubieten.
Ein