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Rad aus dem Gebüsch zu holen, dauerte nur wenige Minuten. Der Wagenschlüssel landete zuvor in hohem Bogen im Kanal. So wie sie Gonzo einschätzte, hatte er den Ersatzschlüssel längst verschlampt. „Zeit zu lernen, dass Unordnung oft zu Scherereien führt“, hatte sie hämisch in seine Richtung gemurmelt, bevor sie sich auf ihr Rad schwang.

      Jetzt, in ihrer Werkstatt, versuchte Sahra, sich selbst zur Ordnung zu rufen. Unangenehm war das Warten gewesen, ja klar. Aber trotzdem viel weniger schlimm, als beispielsweise die Brandverletzung oder wenn sie eines ihrer Werkzeuge zurückgelassen hätte. Das Werkzeug war komplett. Die Hand leider nicht. Sie schätzte, dass mindestens zehn Tage vergehen dürften, bis sich wieder eine neue Haut gebildet hatte.

      Inzwischen hatte sie sich immerhin soweit beruhigt, dass sie ihre Utensilien reinigen und sortieren konnte.

      Seine Hoden hatte sie absichtlich nicht zurückgelassen. Die waren in der Blechschachtel gelandet, in der sie das Rasiermesser mit sich führte. Aus dem einfachen Grund, weil sie nicht wusste, ob ein Chirurg die Dinger eventuell sogar wieder anschließen konnte.

      Die lagen jetzt im Tiefkühler, zur Tarnung eingewickelt in zwei große Grünkohlblätter. Bis sie als "Beilage", bei der nächsten passenden Gelegenheit, erst im Ofen landen und die Asche danach endgültig in einer Urne verschwinden würde.

      Weil Sahra sich nicht absolut sicher sein konnte, ob ihr Chef die Särge vor der Verbrennung nicht manchmal auf Wertgegenstände durchsuchte oder teure Möbel sogar austauschte, musste sie abwarten. Es kam hie und da vor, dass er sie damit beauftragte, den Ofen selbst einzuschalten. Zum Beispiel, wenn er viel unterwegs war.

      Den Teewärmer wollte sie auf jeden Fall behalten. Man konnte schließlich nie wissen.

      Wieder cremte sie ihre schmerzende Hand ein. Sahra hatte den Beruf, den sie ausübte, nicht gelernt. Jedoch, dass man bei offenen Wunden nicht mit Leichen hantieren sollte, wusste sie trotzdem. Sie würde extrem vorsichtig sein müssen. Krankfeiern kam ohnehin nicht infrage. Ihre Anstellung beruhte bloß auf einer Art Gewohnheitsrecht. Dass ihre Verletzung nicht von heißem Wasser oder normalem Feuer stammte, dürfte ein erfahrener Arzt mit ziemlicher Sicherheit rasch erkennen. Schon nur deshalb, musste sie sich selbst helfen.

      Den Gedanken, gegen Morgen einmal am Rhein nachschauen zu gehen, verbat sie sich kategorisch. Es war gut gelaufen, weil sie es umsichtig geplant hatte. Durch irgendwelche Sperenzchen, die bloß der Neugier dienten, den Erfolg gefährden? Auf keinen Fall!

      Sie legte sich deshalb hin. Schlafen konnte sie natürlich trotzdem nicht. Sie nutzte die Gelegenheit, um immer wieder ihre Hand zu pflegen. Erst gegen Morgen, schon mit leichtem Fieber, dämmerte Sahra endlich weg.

      ***

      Der schwarze Wagen ließ direkt auf seinen Besitzer schließen. Übertrieben tiefergelegt, überall ragten Spoiler und andere vermeintlich hilfreiche Verbreiterungen und Applikationen aus der Karosserie. Mit unsauber angebrachter Folie getönte Scheiben sollten den Blick ins Innere erschweren. Breite Felgen in leuchtendem Gelb und abgefahrene Reifen mit nur noch schwach erkennbarem Profil rundeten das Bild ab.

      Unpassend erschien dagegen die Leiche auf dem Fahrersitz. Der offene Mund und die weit aufgerissenen Augen verbreiteten kaum irgendwelche Coolness. Dass er nicht einmal im Tod vom Lenkrad lassen wollte, lag jedoch an den Handschellen, die ihn damit verbanden. Typisch unausgegorener Jungspund oder Berufsjugendlicher, der seinen Platz in der Gesellschaft noch suchte, dachte Kommissar Max Krüger spontan. Allerdings zählte das Opfer schon gut vierzig Jahre. Das bewiesen die Ausweise, die in seiner Börse gesteckt hatten. Jürgen Hahnloser, lautete sein Name. Einer, der den Ausgang niemals gefunden hatte. Den mutmaßlichen Hergang, der zu seinem Tod geführt hatte, musste Erwin Rohr von der Spurensicherung zwar noch genauer untersuchen. Aber das Abbrennen einer faustgroßen Petarde in einem geschlossenen Fahrzeug dürfte selbst für einen hartgesottenen Raucher, eine Spur too much gewesen sein. Die Formulierung stammte von Rohrs neuem Azubi. Dass im Auto intensiv geraucht worden war, ließ sich an den knallvollen Aschenbechern und den überall herumliegenden Kippen und Aschekrümeln erkennen.

      Rohr hatte den Wagen, der noch aus den Achtzigern stammte, mit einem Schraubenzieher mühelos aufgehebelt. Die bereits erkaltete Leiche ließ er unverändert liegen. Doktor Franz Holoch hatte heute am Sonntag eigentlich frei gehabt und verspätete sich deshalb. Da ohnehin auch jede Hilfe zu spät kam, sollte der Rechtsmediziner den Toten in der originalen Lage vorfinden. Nach dessen erster Einschätzung würde das Fahrzeug komplett aufgeladen und in eine geschlossene Halle gebracht werden. Wo die weiteren Abklärungen ungestört von Wind und Wetter ihren Lauf nehmen konnten. Ein Verfahren, welches sich seit Jahren bewährt und etabliert hatte.

      Selbstverständlich suchte ein Team der Spurensicherung die unmittelbare Umgebung ebenfalls gründlich ab. Alles Routine mit klaren Vorgaben.

      ***

      Doktor Holoch entfuhr ein erstauntes, „ach du Grüne Neune“, als er sich anschickte, die Kerntemperatur des Toten zu messen.

      Kommissar Krüger, der neben dem Wagen stand, um sich die Umgebung einzuprägen, sah erstaunt hoch. „Etwas Ungewöhnliches, Herr Doktor?“

      „Ja, sein Skrotum wurde geplündert.“

      Krüger war davon überzeugt, dass Doktor Holoch Fachausdrücke bloß verwendete, um ihn zu ärgern. Aber dieses Wort hatte er zufällig gerade griffbereit.

      „Wie darf ich das verstehen, Herr Doktor? Kommt es nicht auch vor, dass jemand einfach keinen Hoden hat. Oder durch Unfall oder sonst wie geschädigt wurde?“

      Der Doktor nickte. „Ja ja, das kommt vor. Aber hier dürfte es Absicht gewesen sein. Sehen Sie, Herr Kommissar? Ein sauberer Schnitt. Kein Zögern, kein Schnippeln. Genau die passende Stelle. Sogar die Länge der Läsion entspricht der Norm.“

      Krüger, der selbstverständlich nicht genau hingesehen hatte, schüttelte den Kopf. „Ein Schnitt, Herr Doktor? Man hat ihm, ich meine, er wurde …“

      Holoch nickte. „Emaskuliert. Oder kastriert. Wie auch immer Sie es nennen möchten, Herr Kommissar?“

      „Hat er dabei noch gelebt, Herr Doktor?“

      „Die Blutung lässt den Schluss zu. Wenn Sie den Blutfleck auf dem Polster berücksichtigen. Ja, doch, würde ich sagen.“

      Krüger verzog das Gesicht. „Eine dieser brutalen Mafia-Abrechnungen möglicherweise? Hat man ihm auch etwas in den Mund gesteckt?“

      „Auf den ersten Blick nicht.“

      Krüger schien erleichtert. „Wenigstens das. Aber Sie sagten, dass es, äh, fachmännisch vorgenommen wurde. Ein Arzt, Tierarzt vielleicht?“ Krüger zögerte. „Oder ein Schlachter?“

      Holoch zuckte mit den Schultern. „Dazu braucht man überhaupt nicht Mediziner zu sein. Jeder Schweinezüchter kennt sich damit aus. Ich denke eher nicht, dass Sie einen Kollegen aus meiner Gilde dafür verantwortlich machen können.“

      „Das wollte ich nicht andeuten, Herr Doktor. Aber danke für den Tipp!“

      „Bitte! Gern geschehen.“

      Holoch ergriff wieder das Thermometer, das er zuvor auf dem Beifahrersitz abgelegt hatte.

      Krüger sah sich unauffällig nach seinen Mitarbeitern um.

      „Etwa sechs Stunden“, ließ Holoch fallen.

      Krüger überlegte kurz. „Also nach Mitternacht.“

      Holoch antwortete nicht, er warf bloß einen vielsagenden Blick über die Schulter.

      Kommissar Krüger rief Erwin Rohr und Michélle Guerin zu sich, um sie auf den neusten Stand zu bringen. Bei Michélle musste er immer noch daran denken, sie nicht mit Frau Steinmann anzusprechen. Ihren Status als seine Nachfolgerin hatte sie zwar auf eigenen Wunsch verloren, aber denjenigen als seine Lieblingsmitarbeiterin keineswegs. Obwohl sich Krüger Mühe gab, es nicht allzu offensichtlich zu handhaben. Nur mit ihr fühlte er sich wohl, wenn er zwanglos über erste Eindrücke oder zufällige Gedankengänge sprach. Wie eine Tennispartnerin spielte sie ihm die Bälle zurück

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