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Gelehrten erhoben haben soll, nämlich die Anklage, ihre wissenschaftliche Stellung zugunsten der herrschenden Klassen auszunutzen. Ich verwahre mich dagegen, irgendwen verleumdet zu haben. Die Anschuldigung, man verleumde, scheint unseren Professoren sehr leicht aus der Feder zu fließen, wie das auch aus dem Angriff Häckels gegen mich (siehe Seite 253 dieses Buches) hervorgeht. Was ich in diesem Buche schreibe, ist, soweit ich meine eigenen Anschauungen darin ausspreche, meine volle Überzeugung, die eine irrtümliche sein kann, die aber nirgends wider besseres Wissen – und das allein wäre Verleumdung – ausgesprochen wurde. Was ich also bezüglich eines großen Teiles unserer Gelehrten ausgeführt habe, glaube ich nicht nur, ich könnte es durch zahlreiche Tatsachen beweisen. Ich begnüge mich aber, neben dem Urteil eines Mannes wie Buckle das Urteil eines Friedrich Albert Lange beizufügen, der auf Seite 15 der zweiten Auflage seiner »Arbeiterfrage« von einer gefälschten Wissenschaft spricht, die den Kapitalisten auf den Wink zu Gebote stehe. Und indem Lange weiter die herrschenden Anschauungen über die Staatswissenschaften und die Statistik erörtert, fährt er fort: »Daß solche Anschauungen (wie sie die Monarchen besitzen) auch auf den Männern der Wissenschaft lasten, ist aus der Teilung der Arbeit auf geistigem Gebiet leicht zu erklären. Bei der Seltenheit einer freien, die Resultate aller Wissenschaften in einen Brennpunkt sammelnden Philosophie, sind auch unsere gelehrtesten und erfolgreichsten Forscher bis zu einem gewissen Grade Kinder des allgemeinen Vorurteils, indem sie zwar in ihrem engeren Kreise sehr scharf sehen, außerhalb desselben aber nichts. Rechnet man dazu das Unglück einer vom Staate bezahlten und gewerbsmäßig betriebenen ›Philosophie‹, welche stets bereit ist, das Bestehende für das Vernünftige zu erklären, so wird man genug Gründe der Zurückhaltung entdecken, wo einmal die wissenschaftlichen Fragen selbst so ganz unmittelbar auf die Elemente zukünftiger Weltrevolutionen hinführen, wie das in dem Gesetz der Konkurrenz um das Dasein der Fall ist.«

      Diese Ausführungen F. A. Langes sind deutlich, sie bedürfen keines Zusatzes mehr. Ausführlicheres findet Ziegler bei Lange im ersten und zweiten Kapitel seines Buches. Ziegler sagt weiter: man habe ihm geraten, seine Schrift gegen mich zu unterlassen und statt ihrer ein schon lange begonnenes Buch über Embryologie zu beenden, »das sei seiner Karriere vorteilhafter«. Ich glaube auch, daß dieses vernünftiger gewesen wäre, nicht bloß seiner Karriere wegen, sondern auch wegen seines wissenschaftlichen Rufes, der durch sein Buch gegen mich nicht gewonnen hat. – Es kann mir nun nicht beikommen, an dieser Stelle auf die Einwände Zieglers gegen die seit Bachofen und Morgan immer mehr in die wissenschaftliche Untersuchung gezogenen Geschlechtsverhältnisse der auf den Unterstufen menschlicher Entwicklung stehenden Völkerschaften ausführlich einzugehen. Es vergeht nahezu kein Tag, der nicht neue beweiskräftige Tatsachen im Sinne der Bachofen-Morganschen Anschauungen beibringt, und ich selbst habe in dem ersten Abschnitt des vorliegenden Buches einige für weitere Kreise neue Tatsachen angeführt, die nach meiner Überzeugung ebenfalls in unwiderleglicher Weise die Richtigkeit dieser Anschauungen beweisen. Die mittlerweile von Cunow erschienene Abhandlung: »Die Verwandtschaftsorganisationen der Australneger«, auf die ich im ersten Abschnitt dieses Buches zu sprechen komme, bringt weiter nicht nur eine Fülle neuer Tatsachen in der gleichen Richtung, sie beschäftigt sich auch ausführlich mit den Auffassungen Westermarcks und Starckes – den Gewährsmännern Zieglers – und widerlegt sie gründlich. Der Kürze halber verweise ich Ziegler hier darauf.

      Insofern Ziegler aus Eigenem den Beweis zu führen sucht, daß das monogame Verhältnis zwischen Mann und Weib »eine auf der Natur beruhende Sitte« sei (Seite 88 seines Buches), macht er sich seine Beweisführung außerordentlich leicht. Einmal entstand ihm zufolge das monogame Verhältnis aus rein psychologischen Gründen: »Liebe, gegenseitige Sehnsucht, Eifersucht«, dann aber sagt er wieder, die Ehe sei notwendig, »denn durch die öffentliche Eheschließung erkennt der Mann der Gesellschaft gegenüber die Verpflichtung an, seiner Frau treu zu bleiben, für seine Kinder zu sorgen und seine Kinder zu erziehen«. Erst ist also die Monogamie eine »auf der Natur beruhende Sitte«, ein Verhältnis aus »rein psychologischen Gründen«, also quasi naturgesetzlich selbstverständlich, wenige Seiten später bezeichnet er die Ehe als eine gesetzliche Zwangsanstalt, welche die Gesellschaft errichtete, damit der Mann seiner Frau treu bleibe, für sie sorge und seine Kinder erziehe. »Erkläret mir, Graf Örindur, diesen Zwiespalt der Natur.« Bei Ziegler geht der gute Bürger mit dem Naturwissenschaftler durch.

      Wenn die öffentliche Eheschließung für den Mann notwendig ist, damit dieser seiner Frau treu sei, für sie sorge und seine Kinder erziehe, warum sagt denn Ziegler von der gleichen Verpflichtung der Frau kein Wort? Er ahnt unwillkürlich, daß die Frau in der heutigen Ehe in einer Zwangslage sich befindet, die ihr aufzwingt, was von dem Manne erst durch ein besonders feierliches Gelübde erreicht werden muß, aber in unzähligen Fällen nicht erreicht wird. Ziegler ist nicht so beschränkt oder unwissend, um nicht zu wissen, daß zum Beispiel schon im Alten Testament die Grundlage der patriarchalischen Familie die Polygamie war, der sich die Erzväter bis zu König Salomo ergaben, ohne daß sie »die auf der Natur beruhende Sitte« davon abhielt oder »die psychologischen Gründe für die Monogamie« ihre Wirkung auf sie ausübten. Polygamie und Polyandrie, die in historischer Zeit seit Jahrtausenden existieren, und von welchen die erstere noch heute im Orient von vielen hundert Millionen Menschen als soziale Institution anerkannt ist, widersprechen aufs schlagendste den von Ziegler angeführten »naturwissenschaftlichen« Gründen und führen sie ad absurdum. Dahin kommt man eben, wenn man mit beschränkten bürgerlichen Vorurteilen fremde Sitten und soziale Einrichtungen beurteilt und nach naturwissenschaftlichen Gründen sucht, wo allein soziale Ursachen maßgebend sind.

      Ziegler konnte sich auch seine Beispiele aus dem Geschlechtsleben anthropoider Affen anzuführen ersparen, um damit zu beweisen, daß Monogamie eine Art Naturnotwendigkeit sei, sintemalen die Affen nicht wie die Menschen eine soziale Organisation besitzen – und sei dieselbe noch so primitiv –, die ihr Denken und Handeln beherrscht. Darwin, auf den er sich gegen mich beruft, war in seinem Urteil weit vorsichtiger. Darwin erschien zwar die Existenz einer »Gemeinschaftsehe« und der ihr voraufgehende Zustand der Promiskuität ebenfalls unglaubwürdig, aber er war objektiv genug zu sagen, daß alle diejenigen, die den Gegenstand am gründlichsten studiert hätten, darin anderer Meinung seien als er und die »Gemeinschaftsehe« (dieser spezifische Ausdruck rührt von uns. Der Verfasser) die ursprüngliche und allgemeine Form des Geschlechtsverkehrs auf der ganzen Erde bildete, einschließlich der Ehe zwischen Geschwistern. Seit Darwin hat aber die Untersuchung der Urzustände der Gesellschaft große Fortschritte gemacht; vieles, was damals noch bezweifelt werden konnte, ist heute klar, und so würde Darwin wahrscheinlich selbst, wenn er noch lebte, seine alten Zweifel haben fallenlassen. Ziegler zweifelt die Lehre Darwins an, daß erworbene Eigenschaften vererbt werden könnten und bekämpft diese Auffassung auf das nachdrücklichste; aber die von Darwin selbst im Zweifel gelassene Anschauung, daß Monogamie das ursprüngliche Verhältnis der Geschlechter unter den Menschen gewesen sei, akzeptiert er als unfehlbar, mit der Inbrunst eines gläubigen Christen, der sein Seelenheil gefährdet sieht, wenn er nicht an das Dogma der heiligen Dreieinigkeit oder als Katholik an die unbefleckte Empfängnis Marias glauben würde. Ziegler befindet sich in schwerer Selbsttäuschung, wenn er durch seine sehr dogmatische, aber historisch und naturwissenschaftlich grundfalsche Anzweiflung erwiesener Tatsachen die Entwicklungsphasen im Geschlechtsverkehr der verschiedenen Kulturstufen der Menschheit wegleugnen zu können glaubt.

      Es geht Ziegler und den mit ihm Gleichdenkenden mit dieser im Sinne Morgans aufgefaßten Entwicklung des Geschlechtsverhältnisses auf den verschiedenen Gesellschaftsstufen wie der großen Mehrzahl unserer Gelehrten mit der materialistischen Geschichtsauffassung. Die Einfachheit und Natürlichkeit derselben, durch die alle sonst so widersprechenden und unklar erscheinenden Vorgänge erst klar und verständlich werden, leuchtet ihnen nicht ein; sie ist zu einfach und gibt der Spekulation keinen Raum. Im weiteren fürchten sie – ohne sich dessen oft selbst klar bewußt zu sein – die Konsequenzen derselben für den Bestand der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung; denn gelten die Gesetze der Entwicklung auch für die Gesellschaft, wie kann dann die bürgerliche Gesellschaft behaupten, daß es über sie hinaus keine bessere Gesellschaftsordnung mehr gebe?

      Ziegler begreift nicht den Zusammenhang der Lehren Darwins mit der sozialistischen Weltanschauung; ich empfehle ihm auch hier, die beiden ersten Kapitel aus F. A. Langes »Arbeiterfrage« zu lesen, betitelt: »Der Kampf um das Dasein«

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