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und er flog eiligst in seinem Gig durch die schmutzigen Straßen von Laden zu Laden, etwas recht Schönes für Leonoren auszusuchen, hundertmal die Ärmlichkeit und Erbärmlichkeit des kleinen Nestes verwünschend.

      Lorchen aber setzte sich nieder, als sie allein war, und schrieb an den Vater:

      »Ich habe so lange und so sehr geweint, mein Vater, bis ich einschlief, weil ich heute an meinem Geburtstage keinen Brief von Dir erhalten. – Ach, ich bin traurig, ich fürchte, Du bist krank, denn vergessen hast Du Dein Kind nicht, Deine Leonore, die Tochter Deiner Anna.

      Ich darf Dir nicht oft schreiben, mein Vater, Du weißt das ja schon. Man hasst und schilt Dich hier und möchte mich glauben machen, es sei gut für mich, wenn ich Dich verleugne. Sie haben ja keine Kinder, Onkel Delbruck und Tante Selma; können sie da wissen, wie Vater und Kind mit Herz und Leben ineinander gewachsen?

      Man sagt, ich würde hier gut erzogen. Tante Selma ist eine ganz musterhafte Frau und sie zeigt mir alles und lehrt mich, was sie selbst kann. Ich bin nur etwas ungeschickt und unachtsam und die Tante ist nicht so sehr geduldig. Ich habe schon sieben Oberhemden genäht, die Tante selbst meint, für eine Anfängerin mache ich es ganz gut und bei der Wäsche verstehe ich schon alles. – Es ist ausnehmend schön im Hause der Tante, alles hat sie am Schnürchen, und in der Putzstube, die im Winter aber gar nicht geheizt wird, sind Palisander-Möbel mit Perlmutter ausgelegt und Vorhänge von Tüll und Seidendamast. Ich denke aber manchmal an unsere kleinen Zimmerchen mit gemieteten Sachen und wie Du immer zu sagen pflegtest: Lorchen, Du hat das Talent Deiner Mutter geerbt, jeden Raum wohnlich und gemütlich zu machen. – Im Winter sitzt Tantchen, wenn nicht Gesellschaft sich angemeldet hat, in einem ganz kleinen Stübchen und da wird auch gespeist. Sie liebt keine Zimmerblumen, hat kein Vögelchen, keinen Hund – ach Väterchen, was macht nur unser lieber guter Allard? – Ich träumte einmal, er sei tot und konnte mich lange, lange nicht beruhigen. Du hast nun wieder eine Frau, mein Vater, pflegt sie Dich auch gut, wenn Dein Herzkrampf eintritt? Grüß sie von mir, sie ist gewiss gut, weil sie Dich lieb hat.

      Ich bin eine schlechte Briefschreiberin, mein Vater, mein Herz ist so voll, so voll, ich hätte Dir ganze Geschichten, nein, Bücher zu erzählen und in der Feder da friert’s ein. Manchmal find’ ich Gedichte in Onkels Bibliothek, von denen mir’s vorkommt, als hättest Du die für mich oder ich für Dich gemacht, Gedichte so voll Sehnsucht nach dem entfernten Geliebten, dass ich nur ›Vater‹ zu dem Worte beizudenken habe, um es ganz und gar passen zu lassen. O Du lieber, Du teurer Vater, schreibe mir nur bald, damit ich Deiner Gesundheit wegen mich nicht ängstigen darf. Gott segne Dich! Ich küsse jeden Finger Deiner schönen bleichen Hand und jede Locke Deines lieben Hauptes, ach, wer mag Dir jetzt schmeicheln, da Dir so fern, so fern ist Deine Leonore.«

      Sie war eben fertig geworden, als der Onkel eintrat. Christiane folgte ihm mit Kuchen und Kaffeegerät. Alles sah festlich aus und Lorchen fühlte wohl die große Freundlichkeit, die darin lag, dass er, der Geschäftsmann, der sich fast nie die Zeit nahm, mit der Tante Kaffee zu trinken, jetzt ihr, dem Kinde, eine seiner kostbaren Stunden schenken wollte; aber wirklich, sie hätte ihm das Opfer gern erlassen, sie war im Grunde nicht so ungern allein, der Onkel war viel zu klug für sie und zudem hatte sie die törichte, aber unüberwindliche Furcht, dass er ihr die Hand aufs Knie, auf den Nacken, unters Kinn legen würde.

      Sie saßen noch nicht fünf Minuten zusammen, als Baron Kandern gemeldet wurde.

      Sechstes Kapitel.

      Leonorens Herz schlug hoch auf vor Freude bei dem Gedanken, nicht mit dem Onkel allein sein zu dürfen. Sie besorgte eiligst Tasse und Löffelchen und schenkte dem Gaste, der sich eben niedergelassen, mit dem lieblichsten Lächeln ein.

      Das Wetter hatte sich indes geändert und der Abend war mit klarem Froste eingetreten. Lorchen ging, um die Rouleaus niederzulassen und Nacht und Frost auszusperren von dem hellen und warmen Zimmer, ans Fenster. Eine tiefblaue, sternenklare Nacht blickte ihr entgegen, und dort über dem Dache des Festhauses standen die drei lieben leuchtenden Sterne von Orions Gürtel, die sie im vorigen Winter so oft betrachtet am Fenster ihres kleinen Zimmers in Grünberg, vom Arme des Vaters umschlungen. – Die Tränen traten ihr in die Augen, sie nickte den Sternen zu und es machte ihr ordentlich Schmerz, den dunkeln Vorhang zwischen diesen vertrauten Strahlen in ihren Augen niederzulassen.

      Als sie wieder an den Tisch trat, lag vom Licht der Lampe überglänzt eine kleine Christbescherung auf demselben. Herr von Kandern und Onkel Delbruck hatten aufgebaut. Rosa Tarlatan zu einem Ballkleide und weißen Taffet zum Unterkleide dazu. Schuhchen von weißem Taffet und von schwarzem Moiré, verschiedenfarbige Glace-Handschuhe und einen Apfel, in dem zwei blanke Goldstücke staken. Alles hatte der Onkel bedacht und besorgt, wie war er so liebevoll gegen die Waise, die man ihm anvertraut. Leonore küsste seine Hand.

      »Onkelchen«, sagte sie mit feuchten, Freude glänzenden Augen: »Meine Mutter im Himmel wird es Gott sagen, wie gut Du es mit ihrem Kinde meinst.«

      Warum zuckte er nur und zog seine Hand zurück und schlug sein Auge unwillkürlich zu Boden vor dem unschuldsvollen Blick des jungen Mädchens?

      Auf Kanderns Gaben hatte Lorchen noch nicht zu sehen gewagt. Ihr Herz schlug ängstlich und sie schämte sich, in seiner Gegenwart von ihrem Geburtstage gesprochen zu haben, während sie sich doch so unsäglich über die Freundlichkeit freute, mit der er gestrebt, ihr Freude zu bereiten. Endlich gestattete sie sich, ihre Augen auf die Gaben des neuen Freundes zu heften. Es waren Bücher und Blumen, schöne Blumen, die ihre reizenden Köpfchen im hellen Lampenlicht wiegten. Je mehr sie dieselben betrachtete, desto höher schlug ihr Herz in heller seliger Freude. Draußen Frost und Winter, drinnen der blühende Frühling.

      Sie kannte die Prachtblumen nicht einmal, denn sie hatte noch wenig Treibhauspflanzen zu sehen Gelegenheit gehabt, aber wunderschön waren sie, stolz und prächtig wie die Rosen, aber ohne deren weiche Zartheit und süßen Duft. Die Zweig- und auch die Blumenblätter wie aus Wachs gedrückt, fest, glänzend und beinahe durchsichtig. Dann wieder andere Stöcke, wo weiße oder rote Blüten wie Schmetterlinge zwischen den schmalen Blättern saßen. Leonore konnte schon nicht anders, sie sprang auf und küsste die schönen Blumen und glänzende Tränentropfen fielen auf ihre glänzenden Blätter.

      »Tränen?« sagte Kandern leise, »warum betauen Sie die armen Blumen mit so kostbaren Perlen, Fräulein Leonore?«

      »Weil sie so schön sind«, sagte das junge Mädchen, »Blumen im tiefen Winter machen mir immer das Herz so weh, lachen Sie mich darum nicht aus, Onkel Delbruck, ich kann mir doch nicht helfen, eine Blume im Zimmer, wenn draußen der Winterwind heult und der Schnee an die Fenster schlägt, kömmt mir immer und immer vor, wie ein verwaistes Kind, denn Sonnenschein und Frühlingsluft sind der lieben Blumen Vater und Mutter.«

      Und die Tränen des jungen Mädchens flossen rascher und heißer, sie fühlte ihr blühendes Leben ohne der Frühlingsluft des Heimatsglückes.

      »Armes Kind, arme Waise!« tönte es in ihrem Herzen, während sie von den Blumen sprach, empfand sie schmerzlich ihr eigenes Weh. Der Justizrat hatte indes eines der Bücher genommen und schlug das Titelblatt auf. Es waren Brandes Briefe an eine Dame, eine astronomische Schrift von Ruf und so populär gehalten, dass sie für Frauen eine Wissenschaft zugänglich macht, die man ohne mathematische Vorkenntnisse für unerfassbar hält. Das zweite, eine hübsche Flora Norddeutschlands mit schönen Kupfern, und das dritte eine Länder- und Völkerkunde.

      »Der Tausend«, sagte er mit sarkastischem Lächeln, »eine junge, eben aus dem Pensionat kommende Miss könnte von Mylord, ihrem Papa, keine reineren und kühleren, und wie ich mir zu denken erlaube, keine unnützeren Bücher erhalten, als Sie, Baron, meiner kleinen Nichte zu Füßen legen.«

      »Ich gab dieselben im vorigen Jahre meiner Schwester«, sagte Kandern ruhig, »und sie meint, nie größeren und dauernderen Genuss durch andere gefunden zu haben.«

      »Hm!« entgegnete der Justizrat und dann mit den stechenden Augen zwinkernd und in seiner hässlichen Weise lächelnd,

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