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Erzählungen aus 1001 Nacht - 1. Band. Anonym
Читать онлайн.Название Erzählungen aus 1001 Nacht - 1. Band
Год выпуска 0
isbn 9783966512213
Автор произведения Anonym
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Ich habe gehört, o glücklicher König und himmelgeleiteter Herrscher, als nun der Kaufmann das Opfer des Kalbes plante und es weinen sah, da schmolz ihm das Herz, und er sprach zu dem Hirten: ›Behalte das Kalb unter meiner Herde.‹ All dies erzählte der Schaykh dem Dschinni, der sehr staunte über diese seltsamen Worte. Und der Besitzer der Gazelle fuhr fort: ›O Herr aller Könige der Dschann, all das geschah, und meine Base, diese Gazelle, sah zu und sagte: ›Schlachte mir dies Kalb, denn wahrlich, es ist ein fettes.‹ Ich aber hieß den Hirten das Tier fortführen, und er führte es fort und wandte das Antlitz heimwärts. Als ich nun am nächsten Tage in meinem Hause saß, siehe, da kam der Hirt, trat vor mich hin und sprach: ›O mein Herr, ich will dir etwas sagen, was deine Seele erhellen wird und was mir die Gabe guter Botschaft eintragen soll.‹ ›Gut,‹ sprach ich, und er: ›O Kaufmann, ich habe eine Tochter, und sie lernte in ihrer Jugend von einer alten Frau die Zauberkunst. Gestern, als du mir das Kalb gabst, ging ich zu ihr ins Haus, und sie sah es an und verhüllte ihr Gesicht; dann weinte und lachte sie abwechselnd, und schließlich sagte sie: ›O mein Vater, ist meine Ehre so billig geworden, daß du fremde Männer zu mir hereinführst?‹ Ich aber fragte sie: ›Wo sind diese fremden Männer, und weshalb lachtest und weintest du?‹ und sie erwiderte: ›Wahrlich, dies Kalb ist der Sohn unseres Herrn, des Kaufmanns; aber er ist verzaubert durch seine Stiefmutter, die ihn wie seine Mutter verwandelte: das ist der Grund meines Lachens; der Grund aber meines Weinens ist seine Mutter, denn unwissentlich erschlug sie sein Vater.‹ Da staunte ich in äußerstem Staunen und wartete kaum bis zum Tagesgrauen, ehe ich kam, um es dir zu sagen.‹ Als ich nun, o Dschinni, diese Worte meines Hirten hörte, ging ich mit ihm hinaus und war trunken ohne Wein vor dem Übermaß der Freude, die mich überkam, bis ich sein Haus erreichte. Dort begrüßte mich seine Tochter und küßte mir die Hand, und alsbald kam das Kalb und umschmeichelte mich wie zuvor. Da sprach ich zu des Hirten Tochter: ›Ist dies wahr, was du von diesem Kalbe sagst?‹ und sie versetzte: ›Ja, o mein Herr, es ist dein Sohn, der Kern deines Herzens.‹ Des freute ich mich und sprach zu ihr: ›O Mädchen, wenn du ihn befreien willst, so soll dein sein, was von meinem Vieh und Besitz unter deines Vaters Obhut steht.‹ Sie lächelte und sprach: ›O mein Herr, es verlangt mich nicht nach dem Besitz, und nur unter zwei Bedingungen will ich ihn nehmen; die erste ist, daß du mich deinem Sohne vermählest, und die zweite, daß ich die verzaubern darf, die ihn verwandelte, und sie gefangen setzen; sonst bin ich nicht sicher vor ihrer Bosheit und ihren Ränken.‹ Als ich nun, o Dschinni, diese, die Worte der Tochter des Hirten vernahm, erwiderte ich: ›Außer dem, was du verlangst, gehört alles Vieh und aller Hausrat in deines Vaters Obhut dir, und das Blut der Tochter meines Oheims ist nach dem Rechte dein.‹ Als ich geendet hatte, nahm sie einen Becher Wassers, sprach eine Zauberformel darüber und besprengte das Kalb mit den Worten: ›Wenn Allah, der Allmächtige, dich schuf als Kalb, so bleibe ein Kalb und verwandele dich nicht; wenn du aber verzaubert bist, so kehre auf den Befehl Allahs, des Höchsten, in deine einstige Gestalt zurück.‹ Und siehe, es zitterte und wurde ein Mensch. Da fiel ich ihm um den Hals und rief: ›Allah sei mit dir, sage mir alles, was meines Oheims Tochter an dir und deiner Mutter getan hat.‹ Und als er mir erzählte, was zwischen ihnen vorgefallen war, sprach ich: ›O mein Sohn, Allah gewährte dir eine, die dich entzaubern konnte, und dein Recht ist dir zurückgegeben.‹ Und dann, o Dschinni, vermählte ich ihm des Hirten Tochter, und sie verwandelte mein Weib in diese Gazelle, indem sie sagte: ›Ihre Gestalt ist zierlich und keineswegs scheußlich.‹ Und dann lebte meines Sohnes Weib bei uns Nacht und Tag, Tag und Nacht, bis der Allmächtige sie zu sich nahm. Doch als sie starb, zog mein Sohn aus nach den Städten von Hind und in die Stadt dieses Mannes, der dir getan hat, was geschehen ist. Und auch ich nahm diese Gazelle, meine Base, und wanderte mit ihr von Ort zu Ort, suchend nach Kunde von meinem Sohn, bis das Schicksal mich hierher trieb, wo ich den Kaufmann in Tränen sitzen sah. Das ist meine Geschichte.‹ Und es sprach der Dschinni: ›Diese Geschichte ist wahrlich seltsam, und daher gewähre ich dir das Drittel seines Blutes.‹ Da trat der zweite Alte, der mit den Windhunden, vor und sprach: ›O Dschinni, wenn ich dir berichte, was meine Brüder mir taten, diese beiden Hunde, und du siehest, daß die Geschichte noch wunderbarer und erstaunlicher ist, als das was du gehört hast, willst du auch mir das Drittel von dieses Mannes Blut gewähren?‹ Und es versetzte der Dschinni: ›Du hast mein Wort darauf, wenn deine Abenteuer noch wunderbarer und erstaunlicher sind.‹ Und er begann also
Die Geschichte des zweiten Schaykhs
›Wisse, o Herr aller Könige der Dschann, daß diese beiden Hunde meine Brüder sind, und ich der dritte. Als nun unser Vater starb und uns ein Gut von dreitausend Goldstücken hinterließ, tat ich mit meinem Anteil einen Laden auf und kaufte und verkaufte darin, und ebenso errichteten meine beiden Brüder je einen Laden. Aber ich trieb mein Geschäft noch nicht lange, da verkaufte der ältere seinen Vorrat für tausend Dinare, und nachdem er Ausrüstung und Waren gekauft hatte, zog er seine Straße in fremde Länder. Ein ganzes Jahr blieb er mit seiner Karawane fort; aber eines Tages, als ich in meinem Laden saß, siehe, da trat ein Bettler vor mich hin und bat um Almosen, und ich sprach zu ihm: ›Allah öffne dir eine andere Tür!‹ Da fragte er weinend: ›Bin ich so verwandelt, daß du mich nicht mehr kennst?‹ Und erst jetzt sah ich ihn sorgfältig an, und siehe, es war mein Bruder; da stand ich auf und hieß ihn willkommen; dann bot ich ihm einen Platz in meinem Laden an und fragte ihn aus. ›Frage mich nicht,‹ erwiderte er; ›mein Reichtum ist dahin, und auch mein Stand steht nicht mehr!‹ So führte ich ihn in das Hammam-Bad, kleidete ihn in eins meiner eigenen Gewänder und gab ihm Wohnung in meinem Hause. Und als ich die Berechnung meines Warenvorrats anstellte, und der Gewinne in meinem Geschäft, da fand ich, daß mir die Betriebsamkeit tausend Dinare gewonnen hatte, so daß das Grundkapital sich auf zweitausend belief. Und ich teilte das Ganze mit ihm und sagte: ›Nimm an, du habest keine Reise gemacht, sondern seiest zu Hause geblieben, und das Unglück habe dich nicht geworfen.‹ Er nahm den Anteil in heller Freude hin und tat auch seinerseits wieder einen Laden auf; und einige Tage und Nächte ging alles ruhig. Dann aber kam mein zweiter Bruder, jener zweite Hund, dem auch der Sinn auf Reisen stand, verkaufte seine Waren und seinen Vorrat und ließ sich, ob wir ihn auch zu halten suchten, nicht mehr halten. Er kaufte eine Ausrüstung und zog mit andern Wandrern davon. Nach einem vollen Jahre kam er zurück, wie mein älterer Bruder zurückgekommen war; und als ich zu ihm sagte: ›O mein Bruder, riet ich dir nicht von der Reise ab?‹ da vergoß er Tränen und rief: ›Mein Bruder, dies ist der Spruch des Schicksals: hier stehe ich, ein Bettler, ohne einen Dirhem, und ohne ein Hemd auf dem Rücken.‹ So führte ich ihn in das Bad, o Dschinni, kleidete ihn in neue eigene Kleider, führte ihn in meinen Laden und setzte ihm Speise und Trank vor. Ferner sprach ich zu ihm: ›O mein Bruder, ich pflege meine Rechnung zu Beginn des Jahres aufzustellen, und was ich an Überschuß finde, soll zwischen dir und mir sein.‹ So zog ich denn, o Ifrit, die Bilanz, und als ich zweitausend Dinare Gewinn fand, dankte ich dem Schöpfer (er sei erhöht und erhoben!), gab meinem Bruder die eine Hälfte und behielt die andere für mich. Da beeilte er sich und tat einen Laden auf, und so lebten wir viele Tage. Nach einer Weile aber begannen meine Brüder, mich zu drängen, ich solle mit ihnen reisen; doch ich lehnte es ab und sprach: ›Was gewannet ihr durch eure Reise, daß ich durch sie gewinnen sollte?‹ Und da ich ihnen kein Ohr leihen wollte, so kehrten wir jeder in seinen Laden zurück und kauften und verkauften wie zuvor. Sie aber drängten mich ein ganzes Jahr lang, zu reisen, und ich weigerte mich immer, bis volle sechs Jahre verstrichen waren, und dann willigte ich mit diesen Worten ein: ›O meine Brüder, hier stehe ich, euer Reisegefährte; jetzt laßt mich sehen, wieviel Geld ihr besitzet.‹ Ich fand nun, daß sie keinen Deut mehr hatten, denn sie hatten das Ihre verschwendet durch Prassen und Trinken und fleischliche Lust. Aber ich sprach kein Wort des