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Setzerjungen abgefertigt und die verschiedenen eingelaufenen Zeitungen aufgegriffen, in deren Lectüre er sich vollkommen vertiefte. – Die Schreiber waren ebenfalls in voller und eifriger Arbeit, und so mochte es geschehen, daß ein Fremder, von ihnen Allen unbemerkt, das Comptoir betrat und durchschritt. Herr Lerche hatte wenigstens nicht das Geringste gehört, als plötzlich dicht neben ihm eine Stimme sagte:

      „Guten Morgen, Herr Lerche!“

      Guido fuhr in der That zusammen; als er aber über das Zeitungsblatt hinwegsah, erkannte er einen sehr anständig gekleideten Herrn vollkommen in Schwarz, mit sehr sauberer Wäsche, der dicht vor ihm stand und ihm freundlich, ja fast vertraulich zunickte.

      Lerche starrte ihn überrascht an, denn die Züge des Fremden kamen ihm so merkwürdig bekannt vor, und doch konnte er sich in dem Augenblick um’s Leben nicht besinnen, wo er ihn /44/ nur je gesehen hätte. Der Fremde aber, der ihn lächelnd betrachtete, fuhr ruhig fort:

      „Also glücklich im Hafen der Ruhe angelangt? – Sie sehen gut aus, lieber Lerche, und haben sich ordentlich herausgemacht. Das Unterkinn steht Ihnen vortrefflich, und ich hätte Sie beinah gar nicht wiedererkannt.“

      „Mit wem habe ich die Ehre?“ sagte Herr Lerche, der durch das vornehm nachlässige Wesen und diese anscheinende Vertraulichkeit ganz aus seiner gewohnten Rolle fiel und gar nicht grob wurde – „ich muß Ihnen gestehen, daß ich mich nicht erinnern kann, jemals das Vergnügen gehabt zu haben –“

      „Erinnern sich nicht?“ lächelte der Fremde freundlich – „ja, läßt sich denken. Erstlich ist es auch eine Reihe von Jahren, her, daß wir uns trafen, und dann verändert das Glück die Menschen oft wunderbar. Ich selber konnte mir aber doch die Freude nicht versagen, Sie wieder einmal aufzusuchen, und da ich hier gerade ganz in der Nachbarschaft Geschäfte hatte –“

      „Aber wer sind Sie?“ rief Herr Lerche, dem plötzlich eine Ahnung dämmerte, indem er dabei ganz blaß wurde.

      „Ich?“ lachte der Fremde – „der Teufel! Kennen Sie mich nicht mehr?“ –“

      „Jesus, Maria und Joseph!“ sagte Herr Lerche.

      „Seien Sie nicht kindisch,“ erwiderte der Fremde – „die Schreiber werden schon aufmerksam – ich will auch gar nichts von Ihnen, sondern freue mich nur, daß es Ihnen gut geht und – daß mein Rath bei Ihnen angeschlagen ist. – Sie befinden sich wohl?“

      „Danke Ihnen,“ sagte Herr Lerche in der größten Verlegenheit, denn er wußte wahrhaftig nicht, wie er mit dem Manne daran war. Er erkannte jetzt auch die Züge desselben wieder, die er damals allerdings nur undeutlich im Mondenlicht gesehen; es war das nämliche bleiche, aber in nichts veränderte Antlitz – die Jahre waren spurlos an ihnen vorübergegangen, und noch wie damals ruhten die dunkeln, ausdrucksvollen Augen aus ihm und schienen sich fest in ihn hinein zu bohren.

      „Ihr Schwager ist wohl nicht zugegen?“ sagte der Fremde /45/ endlich, als Herr Lerche noch immer keine Worte fand, ihn anzureden.

      „Nur einen Augenblick auf sein Zimmer hinübergegangen; er muß gleich wieder zurückkommen,“ sagte Lerche mit der größten Zuvorkommenheit. „Sie kennen ihn?“

      „Wir sind alte Freunde,“ lächelte der Fremde, „und stehen auch in Geschäftsverbindung.“

      „Wollen Sie denn nicht einen Augenblick Platz nehmen?“

      Es lag ein eigener, malitiös-humoristischer Zug um die Lippen des Fremden. Lerche fühlte sich aber dabei um so unbehaglicher, als er sich bewußt war, ihm noch zwanzig Gulden zu schulden, die er nur höchst ungern zurückgezahlt hätte. – Und wer war der räthselhafte Mensch überhaupt? – Der, für den er sich ausgab, konnte er nicht sein, und jetzt stand er auf einmal mitten in der Stube, und Keiner hatte ihn kommen hören.

      „Herr Lerche,“ sagte der Fremde nach kurzem Nachdenken, „ich möchte allerdings Herrn Köfer erwarten – er wird sich freuen, mich wieder zu sehen. – Bleibt er lange?“

      „Er muß augenblicklich wiederkommen.“

      „Schön,“ sagte der Fremde – „dann wart’ ich,“ und einen der Rohrstühle benutzend – selbst er getraute sich nicht auf das Sopha – nahm er an der Seitenwand Platz, ohne aber auch nur für einen Moment den Blick von Herrn Lerche abzuwenden, den dieser fühlte, ohne ihm zu begegnen.

      „Merkwürdig,“ nahm dann der Besuch das Gespräch wieder auf, „wie sich doch die Zeiten und Menschen verändern! Erinnern Sie sich noch, Herr Lerche, wie wir uns damals in Ems trafen? Damals waren Sie ein junger schlanker Mensch – etwas abgemagert vielleicht und etwas reducirt ebenfalls, am Leben verzweifelnd, und jetzt? Ich habe mir eben das Vergnügen gemacht und Ihre Familie besucht –“

      „Sie waren drüben bei mir?“ sagte Herr Lerche rasch und fast wie erschreckt.

      „Ich glaubte Sie noch zu Hause zu finden. Was für eine prächtige Frau Sie haben – so wohlbeleibt und so resolut – Sie scheinen ein wenig unter dem Pantoffel zu stehen, Lerche – wie?“

      /46/ „Ich?“ sagte Herr Lerche und wurde blutroth – „woher vermuthen Sie das?“

      „Oh,“ lächelte boshaft der Fremde – „nur nach einigen kleinen Andeutungen. Sie werden es mir auf mein Wort glauben, daß ich darin einige Erfahrung besitze. Ich spielte nur zum Scherz darauf an, daß Sie vielleicht heute Mittag nicht zum Essen kommen würden –“

      „Alle Wetter!“ rief Herr Lerche erschreckt– „wir waren gestern Abend etwas lange auf –“

      „Ihre Frau Gemahlin deutete etwas Derartiges an,“ lachte der Fremde, „so daß ich nicht weiter in sie drang. Ich selber streite mich nicht gern mit älteren Damen, denn man zieht stets den Kürzeren. Aber Sie scheinen sich sehr wohl zu befinden – eine sehr hübsche Einrichtung, eine ganze Reihe von Kindern mit so prächtigen rothen Haaren – und die liebenswürdige Gattin!“

      „Ich glaube, da kommt Herr Köfer,“ sagte Lerche, dem das Gespräch anfing unangenehm zu werden, indem er nach einer draußen gehenden Thür horchte. Es dauerte auch nicht lange, so trat der Principal in das Zimmer, ohne aber den Besuch gleich zu bemerken, oder auch zu beachten; denn er ignorirte grundsätzlich alle Leute, die geduldig auf ihn warteten.

      „Donnerwetter,“ sagte er, wie er nur den Raum betrat, „was riecht denn hier nur so furchtbar nach Schwefel?“

      „Sie müssen mich entschuldigen, Herr Köfer,“ sagte der Fremde, „ich habe mir eben eine Cigarre angezündet. Es ist wahrscheinlich das Streichhölzchen.“

      Herr Köfer blieb mit halboffenem Munde vor ihm stehen und sah ihn so stier an, als ob er einen Geist gesehen hätte.

      „Von der Hölle,“ stammelte er endlich, und sein sonst aufgedunsenes rothes Gesicht war merklich bleich geworden – „wo kommen Sie einmal wieder her? Ich – habe Sie in ewig langer Zeit nicht gesehen?“

      „Geschäftsreisen, lieber Freund,“ sagte der Fremde leichthin, indem er den Dampf seiner Cigarre von sich blies – „die mich auch wieder in Ihre Nähe gebracht haben, und doch einmal in X., konnte ich mir natürlich das Vergnügen nicht versagen.“

      /47/ „Ich weiß nicht, ob sich die Herren kennen,“ bemerkte etwas verlegen Herr Köfer – „Herr Lerche – mein Schwager und jetziger Theilhaber des Geschäfts – Herr von der Hölle – mein erster Compagnon, lieber Lerche, mit dem ich das Bureau gegründet habe – aber ich erinnere mich jetzt, Sie brachten mir ja selber seine Karte.“

      „Ja,“ sagte von der Hölle, „und ich freue mich wirklich, zwei so würdige Leute zusammengeführt und befreundet zu haben. Ihr Geschäft muß jetzt blühen, lieber Köfer. Wenn Ihre Charaktere auch ziemlich ungleich sein mögen, so ergänzen sich doch Ihre Eigenschaften – und dann der versprechende Nachwuchs. Ich bin ganz glücklich, Alles so vortrefflich gedeihen zu sehen, und kann jetzt befriedigt X. wieder verlassen.“

      „Und weiter hat Sie nichts hierher geführt?“ sagte Herr Köfer, doch etwas erstaunt.

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