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er einfach, »und Sie sind die Organisation mit Namen ‚Die Vier Gerechten‘«.

      Keiner gab ihm eine Antwort.

      »Ich sah Sie schießen«, fuhr er gelassen fort, »weil ich Sie von dem Moment an beobachtet habe, wie Sie den Saal betraten; und als die Polizei mit ihrer Erkennungsmethode anfing, beschloss ich, mein Leben zu riskieren und für Sie einzutreten.«

      »Das bedeutet«, unterbrach Poiccart ruhig, »Sie beschlossen das Risiko – von uns getötet zu werden?«

      »Stimmt genau«, meinte der junge Mann mit einem Kopfnicken, »rein äußerlich betrachtet wäre dies natürlich ein scheußlicher Akt der Undankbarkeit; aber ich muss erkennen, dass eine solche Konsequenz nach meinem Eingreifen völlig logisch wäre.« Er sah, wie Manfred sich in die roten Plüschkissen zurücklehnte. »Sie haben so oft gezeigt, dass das menschliche Leben der am wenigsten berechenbare Faktor in Ihrem Plan war, dazu so deutliche Beweise geliefert für die Einzigartigkeit Ihrer Ziele, dass ich vollauf zufrieden bin, wenn mein Leben – oder das von einem von Ihnen – vor der Erfüllung Ihrer Ziele so enden würde«, dabei schnipste er mit den Fingern.

      »Nun?«, sagte Manfred.

      »Ich weiß von Ihren Heldentaten«, fuhr der seltsame junge Mann fort, »und wer wüsste das nicht?« Er zog ein Lederetui aus der Tasche, dem er einen Zeitungsausschnitt entnahm. Keiner der drei anderen zeigte das geringste Interesse an dem Papier, das er nun auf dem weißen Tischtuch ausbreitete.

      Ihre Augen waren auf sein Gesicht gerichtet. »Hier ist eine Liste von Leuten, die um der Gerechtigkeit willen getötet wurden«, sagte Courtlander, indem er eine zerknitterte Seite des »Megaphone« glättete, »Männer, denen das Gesetz des Landes egal war, Ausbeuter und Lüstlinge, Diebe von öffentlichen Kassen, Verführer von Kindern – Männer, die ‚Gerechtigkeit‘ kauften, so wie Sie und ich Brot kaufen.« Er faltete den Ausschnitt wieder zusammen. »Ich habe zu Gott gebetet, dass ich Sie eines Tages treffen möge.«

      »Und nun?«, fragte Manfred ein weiteres Mal. »Ich will bei Ihnen sein, will einer von Ihnen sein, Ihren Feldzug mitmachen und – und«, er zögerte und fügte nüchtern hinzu, »wenn es sein muss, auch den Tod, der Sie erwartet.« Manfred nickte langsam und bedächtig, schaute dann den hinkenden Mann an. »Was sagst du, Gonsalez?«, fragte er. Dieser Leon Gonsalez konnte in Gesichtern lesen wie kein Zweiter – so viel wusste der junge Mann von ihm – und er drehte sich zu ihm um und sah ihm in die prüfenden Augen.

      »Enthusiast, Träumer und natürlich intelligent«, sagte Gonsalez langsam; »da ist Zuverlässigkeit – gut; und inneres Gleichgewicht, das ist noch besser; aber...«

      »Aber?«, fragte Courtlander ernüchtert.

      »Ich sehe Leidenschaft, und das ist schlecht«, erfolgte die Abfuhr. »Das ist doch eine Sache von Training«, antwortete der andere ruhig. »Mein Schicksal hat mich unter Leute getrieben, die in Verzückung denken und in Wahnsinn handeln; es ist der Fehler all der Organisationen, die bei unterschiedlichsten Verbrechen nach richtig oder falsch suchen, deren Verstand nur Gefühle sind, die Empfindung zur Sentimentalität herabgewürdigt haben und die Könige mit Königswürde durcheinanderbringen.«

      »Sie gehören zu den Roten Hundert?«

      »Ja«, sagte der andere, »weil die Roten Hundert mich ein Stück auf dem Weg begleiten, auf dem ich gerne gehen möchte.«

      »In welche Richtung?«

      »Wer weiß?«, erwiderte der andere. »Es gibt keine direkten Straßen und man kann nicht beurteilen, wo für einen die richtige Bestimmung liegt.«

      »Ich kann Ihnen nicht sagen, welches Risiko Sie selbst eingehen«, sagte Manfred, »auch nicht, welche Verantwortung Sie auf sich nehmen wollen. Sie sind wohlhabend?«

      »Ja«, sagte Courtlander, »wie das so ist mit dem Reichtum; ich habe große Besitzungen in Ungarn.«

      »Ich frage nicht ohne Grund, obwohl es keinen Unterschied machen würde, wenn Sie arm wären«, sagte Manfred. »Sind Sie darauf vorbereitet, Hoheit, all Ihre Ländereien zu verkaufen – Buda-Gratz heißen sie, meine ich?«

      Zum ersten Male lächelte der junge Mann. »Ich habe es mir gedacht, dass Sie mich kannten; was meinen Besitz anbelangt, den verkaufe ich ohne zu zögern.«

      »Und übergeben mir das Geld zu meiner Verfügung?«

      »Ja«, gab er augenblicklich zurück.

      »Ohne Vorbehalt?«

      »Ohne Vorbehalt.«

      »Und«, sagte Manfred langsam, »wenn wir uns veranlasst fühlten, dieses Geld scheinbar für unseren eigenen persönlichen Vorteil zu verwenden, würden Sie Einwendungen erheben?«

      »Keine«, sagte der junge Mann ruhig.

      »Und als Beweis?«, forderte Poiccart und beugte sich ein wenig vor.

      »Das Wort eines Glücks-«

      »Genug«, sagte Manfred, »Wir wollen Ihr Geld gar nicht, wenn es auch der wichtigste Test war.« Er dachte eine Weile nach, bevor er weitersprach. »Diese Frau von Gratz«, sagte er unvermittelt, »wenn es zum Schlimmsten kommt, muss sie getötet werden.«

      »Es ist schade«, sagte Courtlander ein wenig traurig. Er hatte sich dem finalen Test gestellt, aber das wusste er auch. Eine zu nachgiebige Haltung, sein übereifriges Zustimmen zu der extremen Aussage der »Vier«, irgendetwas, das das Fehlen des von den Vier geforderten genauen Gleichgewichts in seinem Gemüt offenbarte, hatte ihn unumkehrbar ins Abseits gestellt.

      »Bringen wir einen anmaßenden Toast aus«, meinte Manfred und rief einen Kellner herbei. Man öffnete den Wein, die Gläser wurden gefüllt und Manfred sprach leise den Trinkspruch. »Auf die Vier, die auf einmal drei waren, auf den Vierten, der starb und den Vierten, der schon geboren ist.« Vor einiger Zeit wurde ein Vierter in einem Café in Bordeaux von Kugeln durchlöchert und auf ihn tranken sie nun.

      In der Middlesex Street, in einer fast leer gewordenen Halle, stellte sich Falmouth einer Armee von Reportern.

      »Waren das ‚Die Vier Gerechten‘, Mr. Falmouth?«

      »Haben Sie sie erkannt?«

      »Haben Sie Anhaltspunkte?«

      Im Sekundentakt traten weitere Zeitungsreporter auf den Plan, Taxi auf Taxi kam in die anrüchige Straße und die Kette der Autos, die sich vor der Halle stauten, sah wie eine vornehme Versammlung aus.

      Die Telefon-Tragödie beherrschte immer noch die Köpfe der Allgemeinheit, und es bedurfte nur der Nennung des magischen Begriffes Die Vier Gerechten, um den Funken des allgemeinen Interesses zu einer Flamme werden zu lassen. Die Abgeordneten der Roten Hundert hatten sich zu einer internen Versammlung in einem verwilderten Vorhof zusammengefunden und wurden von den Journalisten emsig umkreist. Smith vom »Megaphone« und sein jugendlicher Assistent Maynard schlüpften durch die Menge und nahmen sich ein Taxi. Smith rief dem Fahrer das Ziel zu und sank erschöpft schnaufend zurück in den Sitz.

      »Hast du die Kerle über Polizeischutz reden hören?«, fragte er; »all diese verflixten Anarchisten aus der ganzen Welt – und reden wie bei einer Muttertagsversammlung. Wenn man ihnen zuhört, glaubt man, die ehrenwertesten Mitglieder der Gesellschaft vor sich zu haben, die die Welt je gesehen hat. Unsere Zivilisation ist schon eine tolle Einrichtung«, fügte er ironisch hinzu. »Ein Mann«, sagte Maynard, »fragte mich in sehr schlechtem Französisch, ob das Verhalten der Vier Gerechten strafbar sei.«

      In diesem Augenblick stellte ein Anführer der Roten Hundert eine Frage an Falmouth und der, ein wenig verärgert, antwortete mit aller Höflichkeit, die er noch aufbringen konnte. »Sie mögen Ihre Versammlungen abhalten«, sagte er mit einiger Schärfe, »so lange Sie nicht durch irgendwelche Äußerungen den Frieden brechen; sie mögen Aufruhr predigen und Anarchie, bis Sie schwarz werden. Ihre englischen Freunde sagen Ihnen schon, wie weit Sie gehen können – und ich könnte sagen, weit genug – Sie können die Ermordung eines Königs gutheißen, so lange sie sich nicht festlegen, welcher das ist; Sie können Verschwörungen gegen Regierungen aushecken

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