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sie glichen fluoreszierenden Funken. Einmal rannte Claudia vornweg, sie griff nach einem Zweig und rief: „Wenn ich Akazien sehe, muss ich immer Blätter abrupfen. Was hältst du eigentlich von dem Zählspiel?“

      „Nichts“, sagte ich. „Außerdem ist’s keine Akazie.“

      „Sondern?“

      „Eine Robinie.“

      Ich reagierte, wie mir später bewusst wurde, so unwirsch, weil ich mich zweifach erinnert fühlte: zum einen an Edit, da auch wir die gefiederten Blätter abgezählt hatten und uns die Ergebnisse so bedeutsam erschienen waren wie die Wasserberührungen, die meine flach über den Teich geworfenen Steinchen schafften, ehe sie, kaum erkennbare Kreise auslösend, mit leichtem Glucksen versanken; zum andern an Berit, die mich, während wir uns, vom Rundgang durchs Dorf müde geworden, auf dem Weg zu Lenharts Gasthaus befanden, um eine Kleinigkeit zu essen und Kracherl zu trinken, darum bat, einen Akazienzweig herunterzuziehen. Als wir, den Zählreim halblaut murmelnd, bei unterschiedlichen Blättern zum gleichen günstigen Ergebnis kamen, fragte sie: „Glaubst du dran?“

      „Ich möchte es gern.“

      Claudia ließ den Ast los, er schnellte nach oben, Sekunden stand sie unschlüssig, verharrte aber, bis ich heran war, dann schritt sie neben mir, den Kopf leicht gesenkt, sie sprach kein Wort.

      Zuletzt hatte ich Berit oft so erlebt. Dabei war’s anfangs ganz anders gewesen. Immerhin hatte es viel Gemeinsames gegeben: Wir entdeckten ein zweites Mal die Stadt und ihre Umgebung, es existierten wenige Straßen, auf denen wir nicht gingen, kaum Gasthäuser in den nahen Dörfern, worin wir nicht saßen. Berit mochte die Atmosphäre in den meist niedrigen Räumen, manchmal hielten wir uns stundenlang darin auf, sie trank indessen gewöhnlich nur einen Saft, sah aber interessiert zu, wie ein paar Grauköpfe am Stammtisch würfelten, eine ältliche Dame ihren Pudel mit Bockwurst fütterte, oder der Wirt emsig an den blitzenden Getränkehähnen hantierte. Damals fühlten wir uns einander nahe wie später in Lenharts Gasthaus, wo vielleicht schon meine Großeltern an unsrem Tisch gesessen hatten, fluchten nur hin und wieder über die schäbige Mansarde, in der wir hausten, träumten von einer richtigen Wohnung und konnten uns noch über Kleinigkeiten freuen.

      Einmal holten wir aus einem versteckt gelegenen Tal Äpfel, die wuchsen auf Bäumen, um die sich keiner kümmerte, wir füllten zwei Rucksäcke, doch Berit war unersättlich, sie kletterte einen schrundigen Stamm empor und pflückte etliche rotschalige Früchte aus dem Wipfel. Als sie herabstieg, fetzte sie sich ein Loch in die Nahthose, wir schlossen den Riss mit zwei Sicherheitsnadeln und marschierten barfuß über glitschige Wege. Sobald Leute kamen, sangen wir lauthals und amüsierten uns, wenn sie uns scheele Blicke zuwarfen oder befremdet die Köpfe schüttelten. Zu Hause legten wir die Äpfel in Stiegen und brachten sie in den Keller, der war ungewöhnlich geräumig, eine Art Ausgleich für die dürftige Bodenkammer, und wenn wir die Früchte aßen, dachten wir an ihre Ernte und den Transport, was uns jedes Mal ziemlichen Spaß bereitete.

      Oft frage ich mich, ob unsre Ehe scheitern musste, sinne darüber nach, warum ich nicht wenigstens versucht habe, Berit vor den Traualtar zu führen, stoße auf andre Stellen, an denen ich nicht weiterkomme, zu vieles, scheint mir, spielt eine Rolle, möglicherweise bin ich auch nicht ehrlich genug zu mir selbst, wenngleich ich jedes Mal wünsche, dass ich unser Verhältnis so eindeutig zu sehen vermöchte wie die Affäre mit Beate.

      Ihr begegnete ich vor Wochen auf einer Konferenz. Als Kollegin kenne ich sie schon etliche Jahre. Anfangs hatte sie mir gefallen, vor allem auf Grund ihrer gepflegten Erscheinung, aber auch wegen der klugen Art, über Probleme zu diskutieren. Ich wusste, dass sie seit kurzem geschieden war. Ihr Gesicht sah verbittert aus, die Mundwinkelfalten schienen tiefer. Wer wollte behaupten, dass er jünger würde?

      Öfter blickte sie zu mir. Wenn ich hinschaute, senkte sie die Lider. Was danach folgte, geschah auf geradem Weg: In einer Pause kamen wir ins Gespräch, tranken einen Kaffee im Espresso nebenan, verabredeten uns. Der richtige Schneid fehlte zwar, aber ich dachte an die einsame Wohnung, die Wände, die immer enger zusammenrückten, die Decke, die sich senkte. Raus dort, bloß raus! Wag einen Versuch. Damit vergibst du dir nichts. Und vielleicht ...

      Wir gingen ins Kino. Es lief jener französische Film, in dem sich ein Mann und eine Frau im matten Spannungsfeld der Entfremdung neunzig Minuten lang aufeinander zu bewegen und doch nur für eine Nacht zueinander finden. Es geschieht zum Schluss in einer Bettszene. Da wird von der Kamera herangeholt, was möglich ist, und es dauert lange.

      Warum müssen die das immer so auswalzen?, dachte ich. Zuerst hatte ich mich nur gelangweilt, jetzt fand ich’s peinlich. Am liebsten wäre ich gegangen, aber Beate blickte gebannt zur Leinwand.

      Nachher sagte sie: „Ich hätte Lust auf Kaffee. Du auch?“

      Eigentlich mochte ich nicht. Aber jetzt nach Hause gehen? Die Wände, die Decke...Und vielleicht...

      Sie hat eine kleine, gemütliche Wohnung. Aus dem Radio tönte Musik, der Kaffee war gut, aber die Küsse schmeckten schal. Ich verließ Beate, als es dämmerte.

      Claudia ging schweigend neben mir. Rechts schimmerte matt der Fluss, der Wasserspiegel war glatt, nur manchmal fegte ein Windstoß darüber, dann kräuselten sich viele kleine Wellen. Vor uns, dicht am Weg, gewahrte ich die Umrisse eines Gasthauses. Lichtschein fiel aus den Fenstern und versickerte im Dunkel. Ich fragte: „Hast du Hunger?“

      Sie antwortete nicht.

      „Durst?“

      Da sie stumm blieb, fasste ich nach ihrem Arm und führte sie die wenigen Stufen zum Schankraum hinauf, sie sträubte sich nicht. Wir setzten uns an einen Ecktisch, es waren nur wenige Gäste anwesend. Der Kellner bediente beflissen. Geraume Zeit nippte Claudia an ihrem Saft, dann fragte sie: „Wie war eigentlich deine Frau?“

      Ich sah sie erstaunt an. Woher wusste sie’s? Ich hatte kein Wort davon erzählt.

      „Deine Mimik ist köstlich“, meinte sie. „Bisher hatte ich’s nur vermutet, jetzt bin ich sicher.“ Sie schaute auf meine rechte Hand und fügte hinzu: „Die Druckstelle an deinem Ringfinger war ein zu unsicheres Indiz.“

      Ich nahm mein Bierglas und schüttelte es, ein bisschen Schaum schwappte heraus. „Hübsch war sie“, sagte ich, „und sehr intelligent.“

      „Trotzdem ging’s nicht?“

      „Nein“, entgegnete ich. „Es gab zu viele Missverständnisse.“

      „Und es wäre nichts zu ändern gewesen?“

      „Vielleicht“, sagte ich. „Allerdings klappt’s nur bis zu einer bestimmten Grenze, danach wird jede Mühe sinnlos.“

      „Hast du’s gar nicht versucht?“

      „Doch. Aber vielleicht zu wenig.“

      „Möglicherweise tun wir alle nicht genug“, sagte sie. „Dabei sollte man’s. Zerbrechen kann nämlich schnell was. Mit dem Kitten ist’s schwieriger. Oder wie siehst du’s?“

      „Genauso.“

      „Würdest du jetzt also anders handeln?“

      „Es käme darauf an.“

      „Worauf?“

      „Die Umstände.“

      „Nicht auf den Partner?“

      „Doch“, gab ich zu, „auch darauf.“

      Als ich Claudia ansah, wich sie meinem Blick aus, und da ahnte ich, woran sie dachte. In letzter Zeit hatten wir nicht mehr über ihn gesprochen, ich empfand es wie eine stille Übereinkunft, dennoch erinnerte ich mich oft daran, und einmal fiel mir das mit der Taube ein. Es geschah vor Jahren, als ich in den Semesterferien Christoph, einen Kommilitonen, in seinem Dorf besuchte. Er besaß eine Luftbüchse, damit schossen wir. Mich packte jene Jagdleidenschaft, die unsre Vorfahren zu findigen Besessenen werden ließ. Christoph sagte: „Einen Vogel abzuschießen, ist das eine, den noch warmen Körper in die Hand zu nehmen, das andere.“

      Er hatte Recht. Als die

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