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und sie stolperte ihm hinterher. Er wartete nicht, bis sie zu ihm aufgeschlossen hatte, sondern lief unbeirrt weiter. Was für ein merkwürdiger Zeitgenosse, dachte sie und begutachtete ihn neugierig von hinten. Für sein Alter war er ein recht knackiges Kerlchen. Breite Schultern, ein forscher Gang und eine vollständige Kopfrasur. Da will wohl jemand mit seinem Testosteronspiegel protzen, lächelte sie belustigt.

      Urplötzlich drehte er sich um, als hätte er ihre Gedanken erraten. Sein undefinierbarer Blick ließ Julia erröten.

      „Gleich um die Ecke ist ein gemütliches Bistro, dort kehren wir ein.“

      Ohne ihre Zustimmung abzuwarten, lief er weiter, während sie kaum Schritt halten konnte. Schwungvoll riss er die Glastür auf und hatte sofort die komplette Aufmerksamkeit aller Gäste. Betreten sah sie zu Boden und huschte hinter ihm zu einem freien Tisch. Eigentlich hatte sie erwartet, dass er ihr gentlemanlike aus der Jacke half, aber er setzte sich sofort. Sie hängte ihre Jacke locker über die Stuhllehne und nahm ebenfalls Platz. Beinahe herrisch winkte er die Bedienung an den Tisch.

      „Bitte zwei Kaffee“, gab er mürrisch die Bestellung auf.

      Die Servicekraft verkniff sich ein Schmunzeln, ihr Gegenüber schien also kein Unbekannter zu sein.

      Kaum war die junge Frau in Richtung Theke verschwunden, raunte er Julia zu: „Das Essen hier schmeckt grauenvoll, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

      Verstand sie nicht, schließlich hatte er sie nur auf einen Kaffee eingeladen und nicht zum Dinner. „Aha“, lautete ihre knappe Antwort, mit der er sich nicht so recht zufriedengeben wollte.

      „Ich arbeite ebenfalls in der Gastronomie, ich bin Koch.“ Einige Augenblicke verstrichen, bevor er mit geschwellter Brust hinzufügte: „Chefkoch.“

      „Das klingt nach einem spannenden Aufgabenbereich“, heuchelte sie Interesse.

      Hoffentlich entlarvte sie nicht ihr gelangweilter Blick, denn sie wünschte sich sehnsüchtig in die eigenen vier Wände zurück. Leider saß sie jetzt mit diesem Chefkoch an einem Tisch und wusste nicht so recht, worüber sie reden sollte. Kochen war definitiv nicht ihre Stärke, aber das wollte sie ihm nicht auf die Nase binden.

      „Ich heiße übrigens Christian“, stellte er sich ganz formal vor.

      „Und ich bin Julia.“

      „Was machst du so beruflich? Auch im Service tätig?“

      Sie musste lachen. „Ja, irgendwie schon.“

      „Wie darf ich das verstehen? Bist du noch Auszubildende?“

      „So könnte man es auch nennen.“ Sie wollte keine persönlichen Dinge preisgeben. Er fragte einfach viel zu viel und das ging ihr gehörig auf die Nerven.

      „Service oder Küche?“

      „Nichts dergleichen, ich studiere Lehramt, viertes Semester.“ Dieser Koch war ziemlich hartnäckig. Hoffentlich gab er jetzt endlich Ruhe.

      „Hätte ich dir gar nicht zugetraut.“

      Hallo? Für wen hielt sich dieser Möchtegern-Sternekoch eigentlich? Seine Worte hatten sie verletzt und erbost dachte sie an Florian - Männer waren doch alle gleich.

      Endlich standen die Kaffeetassen auf dem Tisch und sie nippte mit kleinen Schlucken am heißen Getränk. Die vielen Leute engten sie ein und sie sehnte sich nach ihren eigenen vier Wänden. Christian seufzte mehrmals hintereinander und höflich, wie sie war, widmete sie ihm wieder ihre volle Aufmerksamkeit.

      „Na, wo drückt der Schuh?“

      „Frag lieber nicht.“

      Er nahm einen großen Schluck, verbrannte sich die Lippen und fluchte einen Tick zu laut. Pikiert drehten sich die Damen vom Nebentisch in seine Richtung, jetzt war er definitiv in Ungnade gefallen. Doch das kümmerte ihn nicht. Unbeeindruckt fuhr er fort und redete sich fest. Schimpfte über das unfähige Personal, seinen schwulen Chef, die unbeholfenen Küchenhilfen und die völlig untalentierten Jungköche. Warum hatte sie ihn bloß ermuntert, sich alles von der Seele zu reden? Hatte sie nicht noch einen dringenden Termin?

      Mit Sicherheit!

      Demonstrativ warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Oh, das tut mir wirklich sehr leid“, unterbrach sie ihn und schenkte ihm ihren charmantesten Augenaufschlag, „aber ich muss noch ein Rezept zur Apotheke bringen. Meine Großmutter braucht ihre Herztabletten, sie kann unmöglich darauf verzichten.“

      Eine unglaublich plumpe Ausrede, aber sie brachte es einfach nicht fertig, geschickt zu lügen. Christian blickte missmutig zu ihr auf, als sie sich erhob.

      „Vielen Dank für den Kaffee, man sieht sich …“

      Sie verabschiedete sich hastig und eilte nach draußen. Vor der Tür atmete sie erleichtert auf und lief in Richtung Parkplatz. Sie schämte sich ein wenig, ihn einfach sitzen gelassen zu haben, aber sie hätte es keine Sekunde länger ausgehalten.

      Christian war schon ein komischer Kauz - selbstverliebt und arrogant. Warum hatte er sie so herabgestuft? Musste man einem Menschen immer genau ansehen, welchen Beruf er ausübte? Sie liebte Kinder und nach dem Abitur war nur das Studium in Frage gekommen.

      Außerdem, irgendeine Mahlzeit konnte doch schließlich jeder zaubern? Der ganze Hype um diese trivialen Kochsendungen war ihr einfach suspekt. Da stiefelte ein Team aufgeplusterter Köche in irgendwelche Restaurants und bemängelte die Arbeit der Dilettanten am Herd. Und so, wie Christian über seine Kollegen vom Leder zog, würde er wunderbar in diese Truppe passen.

      Endlich hatte Julia ihr Apartment erreicht und schloss die Eingangstür auf. Der aromatische Geruch von Zimt und eine wohlige Wärme strömten ihr entgegen. Wie sehr hatte sie diesen Augenblick herbeigesehnt. Die kärgliche Ausbeute ihrer Shoppingtour verstaute sie im Schlafzimmer, das eher einer winzigen Abstellkammer glich.

      In der Küche brühte sie sich einen Tee, denn sie fror noch immer. Anschließend sprang sie unter die Dusche. Während das Wasser auf sie niederprasselte, musste sie unweigerlich an Florian denken. Wie oft hatten sie hier gemeinsam gestanden, das warme Nass und die prickelnde Körpernähe genossen. Zu den Wassertropfen auf ihrem Gesicht gesellten sich salzige Tränen. Ihre Liebesbeziehungen standen unter keinem guten Stern und bei der Partnerwahl bewies sie meist kein glückliches Händchen. Mit Florian, so hatte sie gehofft, würde alles besser werden. Aber dachte sie das nicht jedes Mal?

      Nachdem sie ihren Eltern das Trennungsdrama gebeichtet hatte, bemerkte sie den flüchtigen Seitenblick ihrer Mutter. Wie sie zum Vater hinüberschaute, die Augen leicht verdrehte, getreu dem Motto: Hatten wir das nicht vorausgesagt?

      Und nun stand sie hier, mutterseelenallein und umschlang mit ihren Armen den Oberkörper. Selbstmitleid hatte ihr noch nie gutgetan. Trotzdem heulte sie wie ein Schlosshund, hatte Sehnsucht nach Florian und wollte ihn wieder zurück. Sie pfiff auf ihren Stolz. Vielleicht sollte sie ihn anrufen? Aber war das wirklich eine Option? Warum konnte sie Florian nicht zum Teufel jagen, anstatt ihm hinterherzutrauern?

      In Wahrheit fürchtete sie sich vor dem Alleinsein und diese Angst war tief in ihrem Unterbewusstsein verankert. Mehr als einmal hatte sie sich gefragt, woher diese zwiespältigen Gefühle stammten, die einfach aus dem Nichts auftauchten und über sie hinwegfegten. Wehleidig schluchzend verkroch sie sich im Bett, der Tee blieb unberührt in der Küche zurück.

      Am nächsten Morgen hatte sie sich wieder etwas gefangen. Mit einer Tasse Kaffee saß sie vor ihrem Laptop und loggte sich in eines der sozialen Netzwerke ein. An diesem täglichen Ritual hatte sie stets festgehalten. Die witzigen Sprüche, die ihre Kommilitonen fleißig teilten, entlockten ihr oft ein herzhaftes Lachen. Sie war kein Morgenmuffel und liebte es, aktiv in den Tag zu starten.

      Kaum im Netz wunderte sie sich über eine gewisse Freundschaftsanfrage. Wie hatte Christian sie bloß ausfindig

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