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      „Was soll der trotzige Tonfall? Warum bist du nicht gekommen?“

      „Ich habe verschlafen, tut mir leid.“

      „Das verstehe ich nicht, die Mittagszeit ist doch schon längst vorüber, wie kann man denn da verschlafen?“

      „Ich war gestern aus.“

      „Warum hast du denn nicht Bescheid gegeben? Dann hätte ich eine Portion weniger gekocht.“

      Julia holte tief Luft. „Mam, es war bestimmt keine Absicht.“

      „Was ist jetzt, kommst du noch oder soll ich abräumen?“

      „Ich setze mich gleich ins Auto und fahre los. Kannst du dich damit arrangieren?“

      „Habe ich eine Wahl?“

      Julias Eltern machten immer sofort ein Drama daraus, wenn nur eine Kleinigkeit aus dem Ruder lief. Leider gehörte eine fünfminütige Verspätung schon dazu und sie hatte das vorgeschriebene Zeitlimit bereits deutlich überschritten. Dieses Wochenende stand unter keinem guten Stern, aber das nächste würde sicher besser werden.

      Auf der Fahrt zu ihren Eltern versuchte Julia, das Erlebte zu verarbeiten. Was hatte es mit diesem mysteriösen Mädchen nur auf sich? Schon bei dem Gedanken an das dünne Sommerkleidchen begann sie zu frösteln. Erneut rief sie sich die unheimliche Geräuschkulisse ins Gedächtnis und wie der Ball allein von Stufe zu Stufe nach unten gehüpft war. Diese Erinnerungen lösten ein unangenehmes Kribbeln in ihrer Bauchgegend aus. Hatten ihr die Sinne vielleicht einen bösen Streich gespielt?

      Nachdem Julia den Wagen in der Einfahrt des Elternhauses abgestellt hatte, drückte sie auf die Klingel und vernahm die schlurfenden Schritte ihrer Mutter hinter der Tür.

      „Da bist du ja endlich, komm rein.“

      Julia zog die Jacke aus und folgte ihrer Mutter ins Esszimmer.

      „Hallo Paps, hallo Beatrice.“

      Ihre Schwester grinste. „Na, wo hast du dich denn herumgetrieben? Warst du mit dem Herrn von neulich unterwegs?“

      Julia warf ihr einen giftigen Blick zu. „Und wo hast du deine neue Liebe gelassen, wenn ich fragen darf?“

      „Wage es ja nicht …“, knurrte Beatrice. Ihr Schwesterherz war stets darauf bedacht, alles geheim zu halten.

      „Müsst ihr euch ständig kabbeln? Kann man nicht wenigstens zur Vorweihnachtszeit etwas Rücksicht aufeinander nehmen?“ Der strenge Blick der Mutter ließ die Schwestern verstummen. „Hast du einen neuen Freund, Julia?“

      Augenblicklich schnellten Beatrices Mundwinkel voller Schadenfreude nach oben. Warum hakte Mutter eigentlich nie nach, wenn Julia etwas von Beatrice preisgab? Stattdessen musste sie nun Rede und Antwort stehen.

      „Nein, er hat mich nur zum Essen eingeladen, mehr war da nicht.“

      Hoffentlich lief sie nicht rot an, denn sie hasste es, zu lügen. Glücklicherweise war ja nichts passiert, dessen sie sich schämen müsste.

      „Wenn ich es mir recht überlege Julia, wäre ein reiferer Mann vielleicht gar nicht so schlecht. Er steht mit beiden Beinen im Leben und verfügt über eine gewisse Erfahrung, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Mit Sicherheit wird er dich besser zu nehmen wissen, als so ein Jungspund in deinem Alter. Bis jetzt ist leider jede deiner Beziehungen in die Brüche gegangen.“

      „Danke Mam, dass du mich daran erinnerst.“

      Dieser Vorwurf versetzte Julia einen Stich und ihr stand die Empörung ins Gesicht geschrieben. Beatrice schien hingegen ihre Freude an dem Wortgefecht zu haben.

      „Was macht er eigentlich beruflich?“, erkundigte sich ihre Mutter nun genauer.

      „Chefkoch.“

      „Na, sieh mal einer an. Dann bekommst du endlich etwas auf die Rippen, wenn er dich bekocht.“

      „Es reicht jetzt!“ Julia sprang auf und schob den gefüllten Teller zur Seite. „Danke für das leckere Essen, aber mir ist soeben der Appetit vergangen. Ihr könnt euch gern über das Liebesleben von Beatrice austauschen, sie hat da sicher einiges auf Lager. Und was mich betrifft, ich ziehe mich jetzt diskret zurück. Einen schönen Advent noch.“ Krachend flog die Tür ins Schloss.

      Zornig humpelte Julia zum Auto und reagierte auch nicht auf die beschwichtigenden Worte, die ihre Mutter aus dem Küchenfenster rief. Sie wollte nur noch in Ruhe gelassen werden und konnte nicht verstehen, warum ihre Mutter ständig herumnörgelte. Der Motor ihres Kleinwagens jaulte gequält auf, als sie auf das Gaspedal trat, um in Richtung Apartment zu flüchten.

      Kaum hatte sie es sich auf der Couch bequem gemacht, klingelte das Telefon. Freundin Emily verlangte eine Audienz.

      „Hallo Julia, ich wollte nur nachfragen, ob du noch lebst. Sonst textest du mich immer das ganze Wochenende zu und diesmal keine einzige Message. Hast du etwa einen Neuen?“

      Himmel, hörte das denn nie auf?

      „Nein, Emily. Und wenn, dann würdest du es als Erste erfahren, das bin ich dir schließlich schuldig.“

      „Das will ich schwer hoffen. Trotzdem, irgendetwas ist doch los?“

      Julia stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich bin gerade von meinen Eltern zurückgekommen, die müssen mich adoptiert haben, anders kann ich mir das nicht erklären.“

      „Du Arme. Hat Beatrice wieder ihren Diplomatenstatus ausgespielt?“

      „Ach, es ist immer die gleiche Leier. Meine Mutter ist der Meinung, dass ein älterer Mann genau der Richtige für mich wäre. Der brächte nämlich die nötige Lebenserfahrung mit, um nicht gleich davonzulaufen, “

      „Stopp, Julia! Das mit dem älteren Mann musst du mir bitte genauer erklären.“

      Oh nein, dieser Satz war ihr im Eifer des Gefechtes einfach so herausgerutscht. Nun musste sie wohl Farbe bekennen.

      „Während meines Einkaufsbummels bin ich mit einem Mann zusammengestoßen und er hat mich anschließend auf einen Kaffee eingeladen. Er ist Koch, arbeitet in einem Schlosshotel und ich war ihn gestern besuchen.“

      „Das sind jetzt aber sehr dürftige Details. Hat es zwischen euch gefunkt? Seid ihr euch näher gekommen? Hat er dich geküsst?“

      „Entschuldige, wenn ich dich jetzt ausbremse, aber darüber möchte ich nicht reden.“

      „Ach Julia, warum zäumst du das Pferd immer von hinten auf? Wie alt ist er überhaupt?“

      „Um die vierzig.“

      „Oh.“

      „Das ist nicht der springende Punkt. Er ist ein komischer Kauz und tendiert ein bisschen in Richtung Narzisst. Auf Dauer wird das zu anstrengend.“

      „Ach Julchen, ich wünsche dir so sehr die große Liebe.“ Emily seufzte theatralisch.

      „Keine Sorge, irgendwann wird sich der Prinz melden. Bis morgen Emily.“

      Um sich auf die bevorstehende Klausur vorzubereiten, kramte Julia ihre Lehrbücher hervor. Wenn es schon mit einer vernünftigen Beziehung nicht klappen wollte, dann sollte zumindest eine anständige Lehrerin aus ihr werden. In Gedanken sah sie sich bereits von einer Horde Kinder umringt, die ihr ein glückliches Zahnlückenlächeln schenkten, während sie die guten Noten verteilte.

      Ziemlich abgekämpft verließen Julia und Emily am Nachmittag die Uni.

      „Sag mal Julchen, hast du Lust am Abend eine Runde um die Häuser zu ziehen?“

      „Ist

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