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Linden säumten den steilen Weg und Holzbänke mit einer grauen Patina luden zum Verweilen ein. Das kleine Dörfchen schmiegte sich in das Tal und zeigte sich von seiner schönsten Seite. Obwohl ihnen ein ruppiger Wind um die Ohren pfiff, genoss Julia diesen Spaziergang.

      Hinter der letzten Biegung entdeckte sie eine Kapelle und direkt dahinter verbarg sich eine kleine Lichtung, die von hochgewachsenen Bäumen umsäumt wurde. Je näher Julia der Lichtung kam, desto heftiger blendete das Sonnenlicht. Immer wieder kniff sie die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Dann zog etwas ihre gesamte Aufmerksamkeit auf sich und sie glaubte zu träumen.

      Mitten auf der Lichtung standen zwei kleine Mädchen und winkten ihr zu. Der noch immer schwach vorhandene Nebel und das gleißende Licht der Sonne verhinderten, dass Julia Genaueres erkennen konnte. Alles wirkte schemenhaft und sie beschleunigte ihre Schritte. Vielleicht stammte das kleine Mädchen ja doch aus dem Dorf und die Sache hatte sich damit geklärt.

      „Christian, kannst du auch die Mädchen sehen?“

      „Welche Mädchen?“

      Julia zeigte in die Richtung. „Na, die zwei da vorn auf der Lichtung. Vielleicht ist es ja die Kleine, die ich vorhin getroffen habe.“

      „Und warum ist dir das so wichtig?“, murrte er. „Ich will spazieren und keinen Marathon laufen.“

      Sein Charme konnte einen umhauen, dachte sie nüchtern und ließ Christian einfach stehen. Sie eilte voraus und achtete nicht auf den unebenen Boden. Unglücklicherweise verhakte sich ihr linker Fuß im Wurzelwerk einer Linde und sie strauchelte. Ihre Hände griffen ins Leere, während sie auf den gefrorenen Boden zuraste. Der Aufprall war hart und sie rieb sich wimmernd den schmerzenden Knöchel.

      „Mit Sicherheit verstaucht“, jammerte sie.

      „Du hast aber auch ein Talent, dich in unmögliche Situationen hineinzumanövrieren, und das für nichts und wieder nichts. Siehst du hier irgendwo ein Kind?“

      Er deutete mit seiner Hand auf die menschenleere Lichtung. Inzwischen hatten sich dichte Wolken vor die Sonne geschoben und keines der Mädchen war mehr zu sehen.

      „Leidest du unter Gleichgewichtsstörungen?“ Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Oder brauchst du vielleicht eine Brille?“

      „Jetzt werd bitte nicht unverschämt“, fauchte sie. „Ich habe eine Brille, aber die setze ich nur in der Uni auf. Ansonsten ist mit meinem Oberstübchen alles in bester Ordnung.“

      „So war das doch gar nicht gemeint, du bist aber auch immer empfindlich.“ Christian zog eine beleidigte Miene und half ihr auf. „Wir sollten zurückgehen und in der Gaststätte einen Happen essen.“

      Er stützte sie, während sie neben ihm den Weg hinunterhumpelte. Das Auftreten fiel ihr schwer und am liebsten wäre sie sofort nach Hause gefahren. Hin und wieder warf sie einen verstohlenen Blick zurück, aber von den Mädchen fehlte jede Spur. Die noble Gaststätte entpuppte sich als schlichte Dorfkneipe. Julia konnte nicht so recht nachvollziehen, warum sie ausgerechnet hier eingekehrt waren, wo es doch in der Küche im Schloss so appetitlich geduftet hatte. Die Gerichte der Dorfkneipe waren einfach und preiswert und so gar nicht ihr Ding. Dann doch lieber zum Dönerstand um die Ecke.

      Sie bestellte sich eine Lauchcremesuppe und erkannte sofort am Geschmack, dass die aus einer Dose stammte. Christian hatte einen Teller mit Pommes und Bockwurst vor sich und genehmigte sich ein Bierchen dazu. Zufrieden schaufelte er das Essen in sich hinein. Sollte das tatsächlich der Mann sein, der beim ersten Treffen seine Kochkünste in den Himmel gelobt hatte? Sie schob die fade Suppe demonstrativ zur Seite und knabberte am trockenen Toast.

      „Hat es dir nicht geschmeckt?“

      „Nein. Eine Dosensuppe kann ich auch preiswert zu Hause essen.“

      „Du konntest den Unterschied schmecken? Hätte ich dir gar nicht zugetraut.“

      „Wie du siehst, in mir verbergen sich noch ungeahnte Möglichkeiten.“

      So langsam, aber sicher musste sie sich eingestehen, dass Christian und sie in Zukunft lieber getrennte Wege gehen sollten. Da sie aber ein höflicher Mensch war, wollte sie ihm vor versammelter Mannschaft keinen Korb geben.

      Christian übernahm anschließend ganz gentlemanlike die Rechnung und sie kehrten ins Schloss zurück. Im Hotelzimmer ließ er sich aufs Bett fallen und seufzte zufrieden.

      „Hast du noch etwas geplant?“, fragte sie vorsichtig.

      „Nein. Und selbst wenn, mit deinem verstauchten Fuß kommst du sowieso nicht weit. Ich werde jetzt den fehlenden Schlaf nachholen.“ Er schüttelte das Kopfkissen auf und drehte ihr den Rücken zu.

      Julia hatte das Gefühl im falschen Film gelandet zu sein. So leise wie möglich trat sie hinaus in den Flur und wagte einen Abstecher in die Bibliothek. Gelangweilt nahm sie in einem der Sessel Platz und blätterte lustlos in einem Roman. Leon, der Jungkoch, schlenderte vorbei und warf einen neugierigen Blick in den Raum.

      „Na, so ganz allein?“

      „Schaut wohl so aus“, erwiderte sie missmutig. „Hast du schon Feierabend?“

      „Schön wär’s.“ Er lachte. „Eigentlich will ich nur meine Sucht stillen.“ Er zog eine Zigarette hinter seinem Ohr hervor und steuerte den Ausgang an.

      Julia warf einen Blick aus dem Fenster. Das Brautpaar hatte sich inzwischen auf den Weg zur Kirche begeben und die Glocken läuteten hell und klar. Nicht ohne Neid nahm sie zur Kenntnis, dass sie nur zu gern mit diesem glücklich ausschauenden Pärchen getauscht hätte. Ein leises Geräusch unterbrach ihre Gedankengänge.

      „Hallo?“

      Die Tür zur Bibliothek stand offen und im Flur hallten Schritte. Neugierig schaute Julia um die Ecke, in der Hoffnung, das Mädchen wiederzusehen, doch im Flur herrschte gähnende Leere. Schulterzuckend lief sie zum Sessel zurück. Die Dämmerung senkte sich allmählich über die Landschaft und Julia fragte sich wohl zum zwanzigsten Male, ob Christian noch immer schlief. Genau in diesem Moment trat er durch die Tür und drückte ihr den Zimmerschlüssel in die Hand.

      „Ich sollte mal wieder mein Reich aufsuchen, das Essen für die Hochzeitsgesellschaft muss fertig werden.“

      „Wann hast du denn Feierabend?“

      „Wenn ich Glück habe nach dem Mitternachtssnack.“

      „Heißt das, ich bleibe den ganzen Abend über allein?“

      „Ja, was dachtest du denn? Ich habe dir doch gesagt, dass ich arbeiten muss.“

      „Na dann, viel Spaß.“

      Enttäuscht wandte sie sich ab und ließ ihn ziehen. Was für ein bescheidenes Wochenende. Wenn sie wenigstens eine Kompresse für ihren Knöchel gehabt hätte. Wahrscheinlich war es das Beste, wenn sie sich ins Bett legte und den Fuß ruhigstellte. Sie humpelte die Holztreppe hinauf und die Dielen knarrten leise unter ihren Schritten. Jetzt war sie ganz allein auf dieser Etage und mit einem Schlag fühlte sie sich unwohl. Kein Gast war weit und breit zu sehen und die unheimliche Stille wirkte beängstigend.

      Die letzten Meter bis zur Tür legte Julia zügig zurück. Ihre Hände zitterten leicht, als sie den Schlüssel in das Schloss steckte. Die Tür klemmte und sie musste sich mächtig dagegenstemmen. Ein kühler Luftzug streifte Julias Wange und sie drehte sich erschrocken um. War da jemand an ihr vorbeigehuscht? Doch sie konnte niemanden entdecken und versetzte der Tür einen anständigen Stoß. Die sprang endlich auf und Julia flüchtete in das Zimmer. Ohne Christian und die anderen Gäste auf diesem Stockwerk war ihr doch ziemlich mulmig zumute und sicherheitshalber verriegelte sie die Tür von innen.

      Nach einer heißen Dusche im großzügigen Badezimmer schlüpfte sie unter die Bettdecke und räkelte sich wohlig, bis das antike Bett unter ihr ächzte. Ja, so konnte man es aushalten, dachte sie zufrieden. Der einzige Störfaktor war Christian, der mit Sicherheit nach Mitternacht aufkreuzen und sie unsanft aus den Träumen wecken würde. Aber wenn sie sich schlafend stellte, war sie garantiert auf der sicheren

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