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von euch war enger mit Katharina befreundet?“

      Alle schüttelten die Köpfe oder starrten Hans an, der darauf erschrocken reagierte. Konnte es sein, dass keiner der Mitschüler mit dem Opfer befreundet war?

      „Ich habe sie manchmal mit einem Mädchen aus der 11b gesehen. Ich glaube, sie heißt Simone“, sagte ein Mädchen in der ersten Reihe.

      „Hat jemand etwas gesehen oder gehört, das uns weiterhelfen könnte?“

      „Die Kathi hat oft die Schule geschwänzt, die war ja kaum noch da“, sagte ein Mädchen in der zweiten Reihe.

      „Ja, das kann ich bestätigen“, sagte Frau Seizinger. „Wir waren sogar gezwungen, der Schülerin einen Verweis zu erteilen, da sie nur noch selten am Unterricht teilnahm.“

      „Haben Sie eine Erklärung für ihr Fernbleiben?“

      „Nein, meine Kollegen und ich konnten das Verhalten nicht nachvollziehen. Katharina war immer eine vorbildliche und zuverlässige Schülerin gewesen. Kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag hatte sie sich sehr verändert.“

      „Die Kathi wurde mehrmals abgeholt. Von einem Wagen mit Altöttinger Kennzeichen“, sagte ein Schüler in der letzten Reihe.

      „Das habe ich auch gesehen!“

      „Ich auch!“

      „Was ist daran so ungewöhnlich?“ Leo verstand nicht.

      „Die Kathi wurde nie gebracht oder abgeholt, ihre Eltern haben noch nicht einmal ein Auto. Wir haben das im letzten Jahr rausgefunden und uns darüber lustig gemacht. Kathis Eltern sind komische Leute, die erlauben fast nichts. Außerdem sind die ziemlich assi.“

      „Die Kathi war irgendwie komisch“, fügte ein anderer hinzu.

      „Komisch? Kannst du das erläutern?“, hakte Leo nach, der nicht im Traum daran dachte, diese Schüler zu siezen.

      „Die sah mit ihren billigen Klamotten immer beschissen ärmlich aus, eben echt unterste Schiene“, sagte derselbe Junge aus der letzten Reihe und lachte, woraufhin einige einstimmten. „Außerdem tauchte sie immer noch mit einem Schulpack aus der Grundschulzeit auf. Ich glaube, die Eltern haben keine Kohle. Außerdem schien es ihnen egal zu sein, wie ihr Kind herumläuft und ob es dazugehörte. Zu allem Übel durfte sie nichts machen was Spaß macht. Eben voll assi“, wiederholte er seine Aussage von vorhin. Es war offensichtlich, dass er das Wort „assi“ gerne aussprach. Einige lachten. Diejenigen, die nicht mitlachten, machten ein betrübtes Gesicht.

      Leo war wütend. Wenn er sich umsah, konnte er sich vorstellen, dass es ein Kind aus einfachen Verhältnissen hier sicher nicht leicht hatte.

      Hans wusste, wie es unter Schülern zugehen konnte, das war früher nicht anders, auch wenn er zu den Klassenclowns gehörte und immer beliebt war. Er versuchte zu beschwichtigen, um noch mehr über die Tote zu erfahren. Aber sehr viel mehr kam dabei nicht raus. Er entließ die Schüler, was alle erfreut aufnahmen. Der Tag war sehr aufregend gewesen. Während einige direkt nach Hause gingen, blieben andere auf dem Schulgelände, da noch zwei Nachmittagsstunden in Wahlpflichtfächern und Nachhilfestunden anstanden, auf die auch heute die Lehrer bestanden. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde sehr viel Unterrichtsstoff versäumt, der auf diese Weise nachgeholt werden sollte.

      „Kann es wirklich sein, dass das Opfer keine Freunde in der Klasse hatte?“, fragte Hans die Lehrerin, nachdem er die Liste aller Schüler an sich genommen hatte.

      „Das weiß ich nicht, dazu kann ich nichts sagen. Ich unterrichte zweiunddreißig Schüler allein in dieser Klasse, dazu habe ich weitere Klassen zu unterrichten. Es ist unmöglich, dass ich alles über jeden Schüler weiß.“

      „Kennen Sie die Schülerin Simone, über die vorhin gesprochen wurde?“

      „Leider nicht.“

      „Wie war die Schülerin so? Wie ist Ihr persönlicher Eindruck?“

      „Die Kathi hatte es nicht leicht. Sie durfte zu keinem Schulausflug mit, obwohl das Pflicht gewesen wäre. Wir haben uns im Lehrerkollegium einmal darüber unterhalten. Es wäre für die Schülerin gut gewesen, an den Schulausflügen teilzunehmen, zumal sie Probleme hatte, sich in die Klasse zu integrieren. Sie haben die Schüler ja selbst gehört. Immer wieder gab es Sticheleien, Streiche und Auseinandersetzungen, die während einer Klassenfahrt vielleicht hätten geklärt werden können.“

      „Was war mit den Eltern? Hätte man nicht vernünftig mit ihnen sprechen können?“

      „Ich kenne sie kaum. Zu Elternabenden waren sie nie gekommen. Vor einem Jahr kamen sie gemeinsam zu einer Besprechung, nachdem es einen unschönen Vorfall auf der Schultoilette gab. Der Rektor hatte auf ein Gespräch bestanden, bei dem er aber aufgrund anderer Verpflichtungen nicht persönlich anwesend sein konnte und deshalb habe ich das übernommen. Die Eltern waren während des Gespräches sehr zurückhaltend. Ich hatte den Eindruck, dass sie alles sehr schnell hinter sich bringen wollten.“

      „Was genau war vorgefallen?“

      „Die Kathi wurde mit Fäkalien beschmiert und ich war gezwungen, sie nach Hause zu schicken. Ja, das war ein dummer Streich und so etwas sollte in einer elften Klasse nicht mehr vorkommen. Selbstverständlich wurden die beiden verantwortlichen Schüler bestraft.“

      „Lassen Sie mich raten: Die Strafe ist sehr milde ausgefallen.“ Leo konnte sich vorstellen, wie man auf Schulen mit solchen Vorfällen umging.

      „Beide Schüler durften eine Woche nicht am Unterricht teilnehmen, außerdem wurden die Eltern informiert. Ich halte das für eine angemessene Strafe.“

      „Naja“, sagte Leo, der zwar damit gerechnet hatte, aber trotzdem enttäuscht war. „Um welche beiden Schüler handelte es sich dabei?“

      Frau Seizinger zögerte. Es gab wegen des neuen Datenschutzgesetzes schon viele Diskussionen. Durfte sie die Namen der beiden Jungs herausgeben, auch wenn die Polizei danach fragte? Sie hatte bereits die Klassenliste übergeben, was sicher auch ein Fehler gewesen war.

      „Wir bekommen die Namen so und so heraus, darauf können Sie sich verlassen“, drängelte Leo, der die Bedenken der Frau ahnte und nichts auf dieses in seinen Augen völlig überzogene Datenschutzgesetz gab.

      „Adrian Neuwirth und Bernd Schmidt“, sagte Frau Seizinger und wusste jetzt schon, dass das noch riesigen Ärger gab. „Sie sollten wissen, dass Adrians Vater Rechtsanwalt und Bernds Mutter Biologin und dazu noch angehende Politikerin ist.“

      „Und? Was wollen Sie uns damit sagen?“ Leo und Hans waren völlig unbeeindruckt. Die beiden scherten sich nicht darum, wer oder was jemand war.

      „Die beiden reagieren sehr empfindlich, wenn es um ihre Sprösslinge geht.“ Frau Seizinger hätte sich auf die Zunge beißen können, dass sie jetzt auch das noch ausgeplaudert hatte. Würde diese Bemerkung irgendwann auf sie zurückfallen? Sie wusste, wie mit indiskreten Äußerungen von Seiten des Rektors und des Lehrerkollegiums umgegangen wurde und ahnte auch hier nichts Gutes. Trotzdem hatte sie immer noch den Anschiss Belzigs im Ohr, den sie sich hatte anhören müssen, nachdem er mit Herrn Neuwirth und Frau Schmidt-Niersmann eine lautstarke Auseinandersetzung gehabt hatte.

      „Waren die beiden Schüler heute hier?“

      „Ja. Sie sind befreundet und sitzen nebeneinander.“

      Leo stutzte und sah die Lehrerin an.

      „Lassen Sie mich raten: Mit mindestens einem von den beiden haben wir vorhin gesprochen.“

      Frau Seizinger nickte nur. Sie hatte beschlossen, jetzt nichts mehr dazu zu sagen, um den Ärger in Grenzen zu halten. Aber sie ahnte, dass es dafür jetzt zu spät war. Es würde nicht lange dauern, und der Rektor Belzig würde davon erfahren.

      Leo und Hans hatten nach den beiden Jungs gesucht, sie aber nicht gefunden. Es war tatsächlich so, dass die beiden sofort abgehauen waren, nachdem Frau Seizinger alle Schüler in die Pause verabschiedet hatte, obwohl beide noch Unterricht gehabt hätten.

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