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Staates notwendig waren, verschlangen Unsummen. Dazu kamen Kindergarten, Schule, Sporthalle und weitere Gemeinschaftseinrichtungen, die ebenfalls nicht günstig waren. Den größten Teil verschlangen aber die Neubauten, an denen mit Hochdruck gearbeitet wurde. Trotzdem hielt man an dem fest, was hier seit über dreißig Jahren aufgebaut wurde und was stetig wuchs: Ein eigener Staat im Staat. Das war einer der Träume des verstorbenen Xaver Amann, dem man hier an allen Ecken gedachte. Es gab kein Haus, in dem nicht mindestens ein Bild von ihm hing. Die Zentrale war das herrschaftliche Anwesen der Witwe Gudrun Amann, wo auch der Sohn Harald lebte – und hier wurden auch die Versammlungen abgehalten, die von einem engen Freund des verstobenen Xaver Amann, Rolf Leidhat, wie immer geleitet wurden. Da Gudrun Amann sich zurückhielt und nur selten zu sehen war, war Leidhat derjenige, der das Zepter in der Hand hielt und der der eigentliche Chef war.

      „Wir sind so kurz vorm Ziel, wir müssen durchhalten“, sagte einer derjenigen, der von Anfang an dabei war und den verstorbenen Xaver Amann noch persönlich gekannt hatte. Für alle, die erst später dazukamen, waren diese Leute etwas ganz Besonderes, weshalb man ihnen mit Hochachtung entgegentrat.

      „Aus dem Amann-Vermögen gibt es bereits seit Wochen erhebliche Zuschüsse, was aber nicht die Norm sein darf.“

      „Wann werden die Corona-Einschränkungen aufgehoben? Hast du etwas gehört?“

      „Es kann nicht mehr lange dauern, die Bundesregierung kann uns ja nicht ewig am Gängelband führen. Flüge zu unseren Freunden werden sicher demnächst wieder stattfinden, da bin ich mir sicher. Bis wieder Unterstützung aus Argentinien eintrifft, müssen wir versuchen, es aus eigener Kraft zu schaffen.“

      Es gab allgemeine Zustimmung, auch wenn man nicht wusste, wie das zu stemmen sein sollte. Viele Mitglieder der Gruppe gingen ganz normaler Arbeit nach und gaben von ihrem Lohn einen großen Teil ab, was für alle selbstverständlich war. Das funktionierte normalerweise gut und man musste nur wegen großer Anschaffungen oder außergewöhnlichen Ausgaben bei der Familie Amann vorsprechen und um Zuschuss bitten. Aber die momentane Lage war nicht die Norm, was dem Corona Shut-Down zu verdanken war, den die Bundesregierung angeordnet hatte und was bei der ganzen Gruppe mit Unverständnis und jeder Menge Wut zur Kenntnis genommen wurde. In vielen Firmen gab es Kurzarbeit, was die Löhne deutlich schmälerte und somit auch die Zahlungen in den großen Topf immer weniger wurden. Der Hass auf die Bundesregierung wurde durch diese krassen und für alle nicht nachvollziehbaren Maßnahmen nur noch gesteigert. Aber was sollten sie tun?

      „Wir müssen an den Häusern für unsere Freunde weiterbauen. Wie stehen wir denn da, wenn sie zu uns kommen und dann kein Dach über dem Kopf haben?“

      Wieder gab es Zustimmung. Alle waren derselben Meinung. Auch wenn das Geld für das Baumaterial zu Ende ging, musste es weitergehen. Aber wie?

      „Wie geht es unseren Freunden in Argentinien?“, unterbrach eine Frau die Sorge ums Geld.

      „Die sind noch schlechter dran wie wir. Die dortige Lage ist immer noch unübersichtlich. Zum Glück wurden unsere Freunde vom Corona-Virus verschont.“

      „Steht die Ausreise?“

      „Bis jetzt spricht nichts dagegen. Auch in Argentinien liegt das Leben brach und dort funktioniert nichts mehr. Trotzdem sind wir zuversichtlich, dass sich die Lage in den nächsten Wochen beruhigt und bis zum ersten Juli die Ausreisen wie geplant starten können.“

      „Dieser Virus wurde doch gezielt eingesetzt, um die Bevölkerungszahl zu minimieren“, rief einer, worauf sofort Beifall folgte.

      „Es gibt zu viele Menschen auf der Erde und auf diese Art will man einen Großteil der Menschen eliminieren.“

      Es entbrannte eine heftige Diskussion, in der sich aufgestaute Wut entlud. Rolf Leidhat musste einschreiten.

      „Ich bitte darum, nicht noch einmal eine solche Diskussion zu führen. Es geht heute nur darum, wie es bei uns weitergehen soll. Wie können wir unsere Kosten weiter senken? Wie können wir unsere Finanzen aufstocken?“

      Es folgte Schweigen, da keiner eine Ahnung hatte, wie man die augenblickliche Situation verbessern könnte.

      „Wenn wir das Sicherheitspersonal reduzieren?“

      „Nein, das ist keine gute Idee. Die Bevölkerung hat sowieso schon etwas gegen uns. Wenn die merken, dass wir weitgehend ungeschützt sind, wird es Übergriffe geben. Nein, das Sicherheitskonzept steht und bleibt.“ Rolf Leidhat selbst hatte nach einem unschönen Vorfall vor drei Jahren das Sicherheitskonzept entwickelt, das sehr viel Geld gekostet hatte und immer noch kostete. Der Zaun und die vielen Kameras rund um das ganze Areal waren wichtig und mussten bleiben – ebenso das Sicherheitspersonal, das aus vierundzwanzig Personen bestand. Leidhat hatte es geschafft, dass mehr als die Hälfte dieser Leute der Gruppe beigetreten war, was ihm sehr viel Lob von Seiten der Familie Amann einbrachte.

      Wieder folgte Schweigen.

      „Wir könnten unseren Schmuck und Wertgegenstände verkaufen“, sagte eine unscheinbare Frau, die sich sonst nur selten zu Wort meldete. „Der Goldpreis ist momentan sehr hoch.“

      „Gute Idee, Franziska. Seid ihr alle dafür, dieses Opfer für unsere Gruppe und unsere Freunde zu bringen?“

      Alle stimmten zu, auch wenn viele nicht begeistert waren, da der eigene Schmuck bis dato zur Sicherheit diente. Darüber hinaus hingen an einigen Stücken Erinnerungen, die man jetzt weggeben musste. Die Gruppe ging nach Hause und kam mit allem, was sie zum Wohle der Gemeinschaft entbehren konnte, wieder zurück. Es stapelten sich Wertgegenstände und einiges an Schmuck auf dem Tisch, was geprüft und in eine Liste eingetragen wurde.

      „Das reicht für die nächste Materialbestellung. Ich danke euch, auch im Namen von Gudrun Amann.“ Leidhat erwähnte Harald mit keinem Wort, was niemanden verwundert. Der Sohn der Witwe Amann wurde innerhalb der Gruppe nicht ernst genommen, wofür vor allem Rolf Leidhat gesorgt hatte. Der verwöhnte Spross war ihm schon immer ein Dorn im Auge gewesen, denn er teilte die Ansichten und Träume seines verstorbenen Vaters nicht, sondern eckte mit seinen Kommentaren und Vorschlägen überall an. Leidhat hatte es geschafft, sogar Gudrun auf seine Seite zu ziehen, indem er immer wieder gegen Harald wetterte und ihn diffamierte. Gudrun war leicht zu beeinflussen, sie dachte längst wie Leidhat und vermied es, mit ihrem Sohn über die Gruppe zu sprechen. Sobald die Sprache darauf kam, wiegelte sie ab und änderte das Thema. Auch für sie war es besser, ihn weiterhin außen vor zu lassen und nicht mit internen Angelegenheiten zu betrauen. Leidhat war es gelungen, Harald in den letzten Jahren zu beschäftigen und auf Distanz zu halten – und das musste auch so bleiben.

      2.

       Vier Wochen später.

      Katharina Oberwinkler hielt den Druck nicht mehr aus. Sie sah keine andere Möglichkeit, als auf diesem Weg dem ganzen Wahnsinn zu entfliehen. Über das, was mit ihr geschah, hatte sie längst keine Kontrolle mehr – und gegen die, die ihr Leben bestimmten, konnte sie sich nicht wehren. In den letzten Wochen hatte sie aufgrund der Corona-Krise Ruhe gefunden, aber damit war es jetzt wieder vorbei. Die Lockerungen katapultierten sie wieder in das zurück, womit sie nichts mehr zu tun haben wollte. Je mehr Zeit verstrich, desto tiefer hatte sie sich in Dinge verstrickt, die sie nie für möglich gehalten hätte. Wenn sie sich doch nur jemandem anvertrauen könnte! Aber sie hatte niemanden, sie war völlig allein mit ihrer Schuld und ihrem schlechten Gewissen. Es gab nur Simone - und die war in derselben Situation wie sie. Katharina hatte schon vor Tagen realisiert, dass sie nur zwei Möglichkeiten hatte: Entweder ergab sie sich ihrem Schicksal und machte weiter, oder sie setzte dem Ganzen endlich ein Ende. So oder so, sie musste sich entscheiden, bevor sie noch wahnsinnig wurde. Und sie hatte sich für diesen Weg entschieden, von dem es kein Zurück mehr gab. Der Schlafentzug und die Tabletten taten ihr übriges. Diese verdammten Tabletten! Sie konnte nicht mehr ohne sie leben, sie war längst abhängig. Wenn sie die doch nur nie angenommen hätte!

      Jetzt stand sie auf dem Gebäude ihrer Schule. Es war noch früh, alles war ruhig und friedlich. Sie hatte den frühen Morgen immer geliebt. Es war Mitte Juni und trotz der Trockenheit

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