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Geschichte zu erzählen.“ Sie schluchzte auf. „Gerade bei uns hatte ich gedacht, dass wir eine besonders gute Ehe führen würden. Aber Du bist so ordinär und erbärmlich wie die meisten anderen Männer auch.“ Tränen liefen jetzt über ihr Gesicht. Sie war nur noch ein Häufchen Elend.

      Hilflos blickte ich zwischen den beiden Frauen hin und her. Dann kam mir eine Idee. Ich wartete, bis sich Christine ein wenig beruhigt hatte. Dann sprach ich sie erneut an. „Du meinst also, wir haben heute den 10. Juli 2013. Erzähl mir doch bitte einmal, was heute alles passiert ist. Fang mit dem Aufstehen an, erzähl mir über die Fahrt zur Arbeit, was Du alles an Deinem Schreibtisch im Büro gemacht hast und welche Straßen Du auf der Rückfahrt benutzt hast.“ Sie sah mich aus ihren verheulten Augen an. „Was soll der Quatsch? Ich bin nicht verrückt, und da wirst Du mich auch nicht hinbekommen.“ - „Das will ich auch gar nicht. Ich möchte Dir nur beweisen, dass wir jetzt im Jahre 2015 sind.“ - „Das ist lächerlich.“ - „Fang doch einfach an. Wie war das, als Du heute Morgen aufgestanden bist?“ - „Also gut. Ich weiß zwar noch immer nicht, was das bringen soll, aber wenn es Dich beruhigt, erzähle ich es Dir. Also, ich bin wie immer gegen halb sieben kurz nach Dir aufgestanden. Weil ich heute eine Terminsache auf dem Schreibtisch hatte, habe ich mich im Bad und beim Frühstück beeilt und bin etwa eine viertel Stunde früher als sonst gegen kurz nach sieben losgefahren.“ Ich sah Christine an. Der heutige Tag war eher kühl, die Temperatur betrug kaum 15 Grad Celsius und sie war entsprechend angezogen. Sie trug einen modischen Pullover, schwarze Jeans und ihre Füße steckten in leichten Stiefeletten. Der 10. Juli 2013 hingegen war ein warmer, wenn auch nicht heißer Sommertag mit Temperaturen um die 25 Grad Marke gewesen. Ich erinnerte mich noch genau, wie sie damals angezogen war. Sie trug ein hübsch geschnittenes pastellfarbenes Kleid, das ihr bis an die Knie reichte und Leinenschuhe in passender Farbe. Es war jedenfalls ein deutlicher Kontrast zu ihrer jetzigen Bekleidung. Ich unterbrach sie. „Was hast Du heute Morgen angezogen?“ Sie antwortete ohne nachzudenken. „Mein neues Kleid, was ich mir zusammen mit den dazu passende Schuhen am vorherigen Wochenende gekauft habe.“ Irritiert sah sie auf ihre Jeans und die Stiefeletten. „Weiter“, drängte ich sie, „wie war die Fahrt zur Arbeit?“ Zögernd löste sie den Blick von ihrer Kleidung. „Normal“, sagte sie nach einem Moment, „ich bin auf die Umgehungsstraße gefahren und habe dann nach drei Kilometern die Abkürzung durch den Wald genommen.“ - „Beschreibe mir die Strecke.“ - „Was soll das, Du kennst sie doch.“ - „Tu es trotzdem. Erzähl mir, was Du heute Morgen gesehen hast.“ - „Nichts besonders. Nach gut einem Kilometer kam ich, wie immer, an der Schutzhütte vorbei, sie war leer.“ - „Wie ging es weiter?“ Sie zögerte. „Weißt Du noch, ob auf dem Parkplatz an der Waldlichtung schon Autos standen?“ - „Ich kann mich nicht erinnern, wahrscheinlich habe ich nicht hingesehen.“ - „Was hast Du heute als Erstes im Büro getan?“ - „Ich kann mich auch daran nicht erinnern.“ - „Kannst Du dich überhaupt an irgend etwas erinnern, was dort heute passiert ist?“ Sie sah mich mit großen Augen an. „Nein“, sagte sie schließlich. „Sieh Dich an. Du hast gesagt, Du hast Dein neues Kleid mit dem passenden Schuhen angezogen. Wann hast Du dich umgezogen?“ – „Ich weiß es nicht.“ - „Was für ein Auto fährst Du?“ – „Einen Opel-Astra.“ – „Sag mir die Nummer.“ - „HX-KF 944“. - „In Ordnung. Komm mit nach draußen.“ Offensichtlich nachdenklich geworden, folgte sie mir. Ich öffnete die Haustür. „Mit welchem Auto bist Du gekommen?“ - „Mit dem da“, sie zeigte auf ein Auto, das vorhin hier noch nicht gestanden hatte. Höchstwahrscheinlich war sie mit diesem Fahrzeug gekommen. „Was ist das für ein Typ“, fragte ich sie. „Ein VW-Golf.“ - „Lies mir bitte das Nummernschild vor.“ - „MR-IE 981“ – „Danke. Heute Morgen hattest Du ein Kleid an und bist in einem Opel-Astra zur Arbeit gefahren. Nachdem Du die Schutzhütte an der Nebenstrecke nach Warburg passiert hast, kannst Du dich an nichts mehr erinnern. Abends kommst Du in Jeans und in einem VW-Golf mit fremden Kennzeichen zurück. Ist das nicht alles etwas merkwürdig?“ - „Ja, allerdings. Ich glaube, jetzt möchte ich doch noch mehr von Dir hören.“

      Bevor wir ins Haus zurückgingen, bat ich sie um den Autoschlüssel. Im Handschuhfach fand ich den Kfz-Schein. Er war auf den Namen Ilse Erhardt ausgestellt. Als Geburtsdatum wurde der 12. September 1986 angegeben. Dies entsprach Christines Geburtsdatum. Ich las den Namen laut vor. Christine schüttelte den Kopf. „Dieser Name sagt mit überhaupt nichts.“

      Im Wohnzimmer angekommen, schaltete Christine den Videotext des Fernsehers ein. Nachdem sie sich auch dort von der Richtigkeit des Datums überzeugt hatte, hörte sie sich ruhig und gefasst meinen Bericht an, der meine Erlebnisse der letzten zweiundzwanzig Monate zusammenfasste. Ich erzählte noch einmal von ihrem augenscheinlichen Tod, meiner Verzweiflung und der ihrer Eltern, der Beerdigung und den merkwürdigen Vorgängen danach. Ich berichtete von der merkwürdigen Drang, den ich in meinem Kopf verspürte und der mich in den Bienwald in der südlichen Pfalz führte, wo ich dann auf Angelika traf. Wir hatten, wie wir später erfuhren beide eine extrem seltene Resistenz gegen die Strahlung eines Erzes das auf einem fremden Planeten lagerte. Es wurde von den außerirdischen Bakarern, die es trotz einer überaus hoch stehenden Technologie nicht selber bergen konnten, dringend benötigt. Für diese Aufgabe waren wir ausgewählt worden und das war der Auslöser für die Vorgänge, die das Leben von mindestens vier Menschen durcheinander wirbelten.

      Bevor Angelika und ich auf dem unwirtlichen Planeten Zwielicht viele Gefahren bestanden und uns gegenseitig mehrfach das Leben retten mussten, hatte man unsere Ehepartner aus dem Verkehr gezogen. Wir sollten uns ganz auf unsere Aufgabe konzentrieren und nicht mehr das Gefühl haben, wir hätten noch etwas zu verlieren. Immerhin töteten sie die Bakarer nicht, sondern veränderten lediglich die Erinnerung an ihr früheres Leben und lenkten ihr gegenwärtiges Leben in völlig neue Bahnen. Für die bisherigen Bekannten und Verwandten waren die Personen jedoch offiziell gestorben. Die falschen Leichen von Christine und Angelikas Mann sahen nicht nur echt aus, sie überstanden auch eine Autopsie, ohne Verdacht zu erregen Pikanterweise hatten die Bakarer die beiden als Ehepaar zusammengebracht und sie sie im Mai 2013 in Marburg an der Lahn angesiedelt. Aber wieso konnte Christine sich jetzt plötzlich wider erinnern? An einen Fehler der Bakarer glaubte ich immer noch nicht. Was steckte also dahinter?

      Diese Sachverhalte erläuterte ich nun Christine, auch unsere Begegnung mit den Nachfahren der Cherusker, die noch heute auf Zwielicht leben, erwähnte ich. Ich schilderte die dramatische Bergung des Erzes und unsere Rettung aus höchster Lebensgefahr durch einige Bakarer, die für uns dabei ihr Leben riskierten. Ich berichtete von der Behandlung auf der Raumstation, die uns nicht nur wieder die Gesundheit zurückgab, sondern unsere Körper auch leistungs-und widerstandsfähiger gemacht hatte und den Streit mit Kando, der mir die Rückkehr zu ihr verweigerte. Damit beendete ich meinen Bericht. Kando hatte Angelika und mir zwar ausdrücklich verboten, über alle Dinge im Zusammenhang mit den Bakarern und Zwielicht auf der Erde zu berichten, aber da Christine von den Ereignissen unmittelbar betroffen war, sah ich Kandos Weisung in Bezug auf sie als ungültig an und so war sie die erste Person auf der Erde, die von mir über diese unglaublichen Geschehnisse erfuhr.

      Ich sammelte meine Gedanken. Jetzt kam nur noch die Geschichte von Angelika und mir und da hatte ich berechtigte Zweifel, dass diese Christine gefallen würde. Angelikas Blick traf mich. Die Botschaft, die sie mir damit übermittelte, war eindeutig: „Erzähle auch den Rest.“ Also fuhr ich fort, wobei ich mich so kurz wie möglich fasste: „Nach unserer Rückkehr auf die Erde stellte ich fest, dass Du mit einem anderen Mann zusammen lebtest und mich nicht mehr erkanntest. Angelika und ich heirateten und das Kind auf ihrem Arm ist unsere Tochter.“

      Ich verstummte. Eine ganze Weile sagte niemand etwas. Dann brach Christine das Schweigen. „Ich bin jetzt zurück und beabsichtige, meine durch höhere Gewalt unterbrochene Ehe wieder aufzunehmen.“ Sie sah Angelika an: „Sie können selbstverständlich noch so lange das Gästezimmer benutzen, bis sie eine andere Unterkunft gefunden haben. Vielleicht wollen Sie ja auch zu Ihrem Mann zurückkehren, falls er sie wieder erkennt. Wegen des Kindes wird sich sicherlich eine Regelung finden. Bei uns wird es allerdings nicht bleiben können, ich möchte eigene Kinder haben.“ Angelika sah sie kühl an. „Sie glauben doch wohl nicht ernsthaft, dass ich einfach meine Koffer packe und mich wie ein Dieb in der Nacht davon schleiche. Und wenn einer von uns beiden das Gästezimmer

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