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kann ihn nicht einmal mehr hochfahren.“

      Daniel schwieg einen Moment, Gantenbein vernahm nur ein verstimmtes Brummen.

      „Das ist jetzt nicht wahr, oder? Weißt du eigentlich, wie viel Uhr wir haben? Gott, Papa! Es ist gerade mal zehn nach fünf. Der Kleine hat die ganze Nacht geschrien. Ich bin gerade erst ins Bett gekommen.“

      Gantenbeins Sohn hatte einen Säugling zu Hause. Jahrelang hatten er und seine Frau Lea versucht, ein Baby zu bekommen. Und dann, als sie schon aufgegeben hatten, wurde sie schwanger.

      „Entschuldige. Ich entschuldige mich. Aber kannst du mir jetzt bitte sagen, was ich machen kann? Das Ding arbeitet. Es gibt Geräusche von sich, aber fährt nicht vollends hoch.“

      „Dann zieh den Stecker“, seufzte Daniel.

      „Was für einen Stecker?“

      „Was, was für einen Stecker? Papa, ich bin müde. Ich will schlafen. Den Stecker deines Computers, zieh ihn raus.“

      „Junge, denkst du wirklich, dein alter Herr sitzt langweilig im Büro und arbeitet mit einem altmodischen Computer?“

      Abermals ein verstimmtes Brummen. „Fass dich kurz, Papa.“

      „Ich habe mir letzte Woche bei Damir einen Laptop gekauft. Zwar nicht mehr ganz neu, dafür schreibe ich jetzt wo ich will.“

      „Okay, das freut mich für dich. Dann nimm jetzt den Akku raus.“

      Der alte Gantenbein musterte das Ding eingehend. „Und wo finde ich diesen?“

      „Auf der Unterseite. So. Und jetzt gute Nacht“, schalt Daniel.

      Noch bevor Gantenbein seinem Sohn einen erholsamen Schlaf wünschen konnte, hatte dieser aufgelegt. Nur widerwillig klappte der Rentner den Deckel herunter und folgte der Anweisung seines Sohnes. Er drehte den Laptop und war erstaunt, auf der Unterseite tatsächlich einen Akku vorzufinden. Mit einem Klick löste er diesen aus der Halterung, und der Laptop stellte mit einem Surren ab. Er erwog, es noch einmal zu versuchen, warf aber die Idee über Bord. Jetzt brauchte er Milans Kaffee.

      Er nahm den Laptop unter den Arm, das Handy schob er in die Jeanshose, die er noch von gestern anhatte, griff die Dose und die Tasse und kehrte ins Haus zurück. Den Laptop legte er auf den Bürotisch, Dose und Tasse in den Waschtrog. Vergangene Nacht war nicht die erste, die er in seinen Klamotten verbracht hatte. Mittlerweile war das fast schon so was wie Tradition.

      Er ging ins Schlafzimmer, streifte sich ein weißes Shirt über und schlüpfte in die blauweißen Badelatschen, deren Nähte auf den Seiten bereits ausfransten. Seit er in Kroatien wohnte, zwängte er sich nur noch selten in geschlossene Schuhe.

      Er schnappte den Autoschlüssel, der auf der Kommode lag, zog den Hausschlüssel aus dem Schloss und sperrte hinter sich zu. Auf dem Weg zu seinem Wagen kam ihm in den Sinn, dass heute Samstag war. Und Samstag war der erdenklich schlechteste Tag der Woche, um mit dem Auto in Opatija herumzufahren, denn von Mai bis September herrschte samstags das unbändige Chaos auf den Straßen. Schichtwechsel, nannten es die hiesigen Bewohner. Während auf der einen Straßenseite die Touristen den Heimweg antraten und aus Opatija herausfuhren, rollten auf der anderen Seite neue an, unter denen sich einige tummelten, die nicht wussten, wohin sie fahren sollten und mitten in der Straße umzudrehen versuchten, was nicht selten zu lauten Hupgeräuschen und wild gestikulierenden Autofahrern führte. Opatija war einer der ältesten Fremdenverkehrsorte Kroatiens und hatte sich bereits zu Kaisers Zeiten großer Beliebtheit erfreut. Nur hatte damals nicht das blanke Chaos die Straßen beherrscht. So entschied Gantenbein sich, den fahrbaren Untersatz stehen zu lassen und zum Kvarner Hotel zu spazieren. Es war ein gutes Stück zu Fuß, vorbei am Rathaus, an dem die kroatische Fahne stellvertretend für den Patriotismus und Stolz des Landes wehte. Ein Stück weiter nahm er die Treppe, die zum Lungomare führte. Er genoss es, morgens, wenn die Touristen noch in ihren Hotelzimmern schliefen, dem mit großen Steinen gepflasterten Weg entlang des Meeres zu folgen. Der Lungomare erstreckte sich über mehrere Kilometer. Früh am Morgen duftete die Luft frisch und ein bisschen salzig. Wenn der Sonnenball hoch am Horizont hing und die Luft über dem Meer waberte, roch es nach Touristenschweiß und Menschenmenge, was ihm immer wieder aufs Neue die Galle hochjagte.

      Er passierte die Fischerboote, die mittlerweile zurückgekehrt waren und blieb für einen Augenblick stehen. Er stützte die Arme an der Brüstung ab und schaute zur Insel Cres, die vor ihm aus der Adria ragte. Die lang gezogene Insel lag vom Festland aus gesehen rechts von der Insel Krk, die über eine Brücke mit Rijeka verbunden war. Eines Tages würde er auf Cres gehen, das wollte er schon immer mal. Nur war er bislang nicht dazu gekommen. Für Erlebnisreisen konnte er sich das gut vorstellen. Eine bezahlte Reise, warum auch nicht. Vielleicht kommendes Jahr, mal schauen. Zunächst musste er endlich einmal den Artikel über Hum, die kleinste Stadt der Welt, schreiben. Vielleicht führe er heute Nachmittag mal hin. Oder Morgen. Er schlenderte weiter, zückte sein Handy und schrieb seinem Freund eine Nachricht. Kaffee. Das Restaurant des Kvarner Hotels hatte zwar noch geschlossen, aber Milan, Gantenbeins enger Freund, der als Kellner im Hotel arbeitete, ließ ihn immer hinein. So auch heute. Als Gantenbein an der Hintertür zweimal klopfte, sperrte Milan sie auf. Er hatte bereits den gewünschten Kaffee in der Hand.

      „Hier“, sagte er, „extra stark. Wir müssen leise sein, Balić hat heute besonders schlechte Laune. Komm.“

      Balić war Milans miesepetriger Chef.

      Gantenbein nickte stumm, tat wie geheißen und folgte seinem Freund über die Außenanlage durch die Unterführung.

      „Hör mal, Frank“, begann Milan leise, „ich kann das nicht mehr. Ich riskiere meinen Job, und das nur, damit du in Ruhe Kaffee trinken kannst. Das war jetzt das letzte Mal, dass ich dich reingelassen habe.“ Er machte kehrt und eilte zurück.

      Unbeirrt setzte Gantenbein seinen Weg fort und kam auf der anderen Seite hinaus. Er setzte sich auf einen Liegestuhl, nahm einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse auf den Boden. Er legte die Füße hoch und ließ sich in die Lehne sinken. Beseelt schaute er auf das Meer hinaus. Nicht mehr lange, dann würde es mit der Ruhe vorbei sein. Bereits in einer halben Stunde kämen die ersten Touristen mit ihren Badetüchern, die sie auf den Liegestühlen ausbreiteten, nur um anschließend zu frühstücken und erst drei Stunden später wiederzukommen. Einmal war Gantenbein über dieses Verhalten so sauer geworden, dass er, als die Touristen ins Hotel zurückgekehrt waren, deren Badetücher ins Meer gepfeffert hatte.

      Hinter sich hörte er Schritte. Verdammt. Heute waren die Touris früher dran als sonst. Doch neben ihm erschienen keine rot gebrannten Urlauber, die ihre Farbe noch ein bisschen intensivieren wollten. Eine sportliche junge Frau mit kurzen, rot gefärbten Haaren hatte sich neben ihn geschoben. Piercing an der Unterlippe und am rechten Nasenflügel. Tunnel im Ohr. Mit einem Lächeln und einer nickenden Bewegung begrüßten sie sich. Die Frau legte ihr Tuch auf die Liege nebenan, zog ihr Kleid mit Totenkopfmotiven aus und tauchte mit einem Sprung ins Wasser. Gantenbein beobachtete sie, wie er seit dem Tod seiner geliebten Céline keine Frau mehr betrachtet hatte. Jäh brach ein beklemmendes Gefühl über ihn herein. Es war, als betröge er seine Frau, obschon sie seit zwei Jahren tot war. Es war der schlimmste Tag seines Lebens gewesen. Nur ein paar Tage vor seiner Pensionierung. Schlechtes Gewissen überkam ihn. Er senkte die Augenlider und fokussierte seine Gedanken auf Céline. Er und seine Frau waren im Bett gelegen und hatten Pläne für die Zeit nach seiner Pensionierung geschmiedet. Eine Bodenseerundfahrt hatten sie zuerst machen wollen. Er grämte sich über ihren Verlust.

      Erst als er hörte, dass die junge Unbekannte sich aus dem Wasser hievte, öffnete er seine Augen wieder. Die Frau stand neben ihm und wickelte ihr Badetuch um ihren Körper, der fast schon ein Kunstwerk war, so viele Tattoos zierten ihn. Sie lächelte ihm zu, er erwiderte. Dann lauschte er ihren Schritten, die hinter ihm stetig leiser wurden. Die Frau schien angehalten zu haben, denn er hörte ihr Tapsen nicht mehr. Sie musste auf der Höhe der Duschkabinen sein. Ein angsterfüllter Schrei hallte jäh durch ihn hindurch. Ohrenbetäubend. Erschütternd.

      Gantenbein schnellte hoch, fuhr herum und sah die Frau rückwärtsgehen, weg von der ersten Kabine.

      3

      Wurstig

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