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der einen Serviette aus, einen Moment lang meinte er, sich seiner Sache sicher zu sein, dann trat Verwirrung in seine Hand.

      Wieder wollte er zugreifen, als ein plötzlicher Windstoß sie erfasste und vom Tisch trug.

      Der Kellner stellte die Gläser mit dem Mangosaft ab.

      Hendrik griff nach der liegengebliebenen Serviette, er drehte sie um und las den Namen „Iris“.

      Er hielt ihr die Serviette mit dem Namen hin.

      „Das Essen kommt in wenigen Minuten,“ sagte der Kellner. „Wollen Sie viel Curry und scharf? Oder wenig Curry und wenig scharf?“

      „Ein bisschen scharf,“ sagte die junge Frau, „nicht zu sehr scharf.“

      „Nicht zu sehr scharf,“ sagte Hendrik.

      Der Keller entfernte sich wieder.

      Die junge Frau lächelte die Serviette an.

      „Also – ich habe es richtig getroffen?

      Ich spürte es. Zunächst bevorzugte ich die andere Serviette. Aber da war ein falsches Kribbeln in meinen Finger. So habe ich noch einmal gewechselt.

      Gut. Jetzt weiß ich, dass du Iris heißt.

      Und auch in Indien bist du gewesen.

      Hast du indische Freunde dort?“

      „Viele und gute Freunde, ja.

      Meine Mutter ist Inderin.“

      „Oh! Warum sieht man es nicht?“

      „Du meinst –: die braune Haut und die dunklen Haare? – Nein, die habe ich nicht abgekommen.“

      „Dein Vater ist deutsch?“

      „Meinen Vater kenne ich nicht.“

      „Du sprichst ein perfektes Deutsch.“

      „Das spricht auch meine indische Mutter.“

      „Und du – sprichst du indisch mit ihr?“

      „Beides. Wir wechseln, immer nach Stimmung.“

      Sie trug eine Bernsteinkette, in die eine Feder eingearbeitet war. Eine eher schmucklose Feder, weiß mit kleinen Punkten von Grau und Rot. Hendrik entdeckte eine solche Feder jetzt auch in ihrem Haar, etwas versteckt, von einer kleinen Spange gehalten.

      „Du trägst eine Feder im Haar?“

      „Ja, eine Feder.“

      „Kann man fliegen damit?“

      „Gewiss.“

      „Braucht man zum Fliegen nicht eine Ganzfederausstattung? von Kopf bis Fuß?“

      „Nein, es genügen zwei.“

      „Davon habe ich immer geträumt,“ sagte Hendrik.

      „Vom Fliegen?“

      „Ja, vom Fliegen.“

      „Mit dem Träumen fängt alles an.“

      „Du heiratest mich?“

      „Wann?“

      „Morgen?“

      „Morgen? – Das ist sehr bald.“

      „Ist es zu rasch?

      Ich warte auch eine Woche.“

      Sie wiegte den Kopf. Wieder dies Lächeln, ein unwiderstehlicher, sie umströmender Duft.

      „Wenn du ein halbes Jahr sagst, warte ich auch ein halbes Jahr.

      Auch ein Jahr, wenn du sagst: ein Jahr.“

      Er saugte sich an seinem Mangosaft fest, den Strohhalm umklammernd. „Meine Frage ist verrückt, ich weiß es, doch ich musste sie einfach stellen.“

      „Verrückt? Warum meinst du, dass sie verrückt ist?“

      „Doch ich hätte sie besser vielleicht erst in einer Stunde gestellt…

      Oder nach zwei.“

      Er zog an einer seiner welligen Haarsträhnen über dem Ohr. „Versteh – auch wenn du mich auslachst: Ich musste dir diese Frage stellen.

      Ich malte mir eben aus, wir verabschieden uns, später nach dem Essen – und ich hätte die Frage nicht gestellt! ich hätte sie in der Aufregung einfach vergessen…! Ich würde es für den ganzen Rest meines Lebens bereuen.

      Du lachst mich nicht aus?“

      „Dich auslachen? Warum sollte ich das?“

      Sie saß eingehüllt in dies Lächeln, es war kein Lachen, schon gar kein Auslachen. Was immer er fragen würde – ein Auslachen kannte sie nicht.

      Der Kellner brachte das Tablett mit dem Essen, wieder mit kerzengeradem Gang. Neben den Tellern baute er eine ganze Batterie von Gewürzen auf und murmelte jeweils einen Namen dazu.

      Iris nickte jedes Mal und bedankte sich.

      Hendrik ruckte auf seinem Stuhl in die Höhe, es war ein Versuch, sich wieder auf seinen klaren Verstand zu besinnen.

      Das Essen war gut gewürzt. Doch jede der kleinen Gewürzdosen verbarg ein weiteres eigenes Duftgeheimnis, es wäre Verschwendung gewesen, es nicht auszuprobieren, Hendrik ließ auf jeden Löffel einen neuen kleinen Duftregen nieder.

      Alles war Seligkeit.

      Der Mangosaft war es und diese Gewürze waren es. Die milde Augustabendluft war es.

      Die Augen von Iris waren es.

      Ihr Nicken. Ihr Lächeln.

      Durch den vorderen Garten war eine Schnur mit Lampions gespannt, jetzt in der zunehmenden Dämmerung des Augustabends hatte der Kellner sie angezündet und die bunten Lichter wiegten im Wind.

      Von der halb offenen Restauranttür kam Musik: meist der Gesang einer hohem Frauenstimme mit den leicht verzitternden Tönen eines indischen Gesangs, manchmal in ein dunkles geheimnisvolles Timbre wechselnd.

      Hendrik und Iris sprachen im Flüsterton. Ihre Köpfe waren näher und näher zusammengerückt.

      „An diesen zwei Federn kannst du mich immer erkennen,“ sagte sie.

      „Ja. An diesen zwei Federn.

      Und an den Augen.“

      „Und an den Augen.“

      Er hatte ihr von all seinen Reisen erzählt, durch Europa, durch Asien, durch Nordamerika. Nach dem Abitur hatte er zwei Jahre als Weltenbummler verbracht. Iris lauschte mit wachen leuchtenden Augen. Er berichtete auch von den traurigen Dingen: dem frühen Tod seiner Großeltern bei einer Bergwanderung. Er berichtete vom Tod seines Schwagers. Und dass er jetzt nach Frankfurt gekommen sei, um aufzuklären, was tatsächlich passiert sei. Es war da ein übles Spiel gegen seine Schwester in Gang, er habe es bereits aufgedeckt und er werde jetzt für Gerechtigkeit sorgen.

      Vier Stunden waren inzwischen vergangen. Fünf Mangosaftgläser hatten sie leer getrunken.

      Hendrik spürte keine Zeit. Seine Sätze sprudelten. Immer wieder tauchte er ein in diese Glocke von Seligkeit und von Trance, die über ihnen lag. Es gab keine Zeit.

      Der Kellner meldete sich. Er kündigte an, das Restaurant werde in Kürze geschlossen.

      Hendrik wollte für Iris zahlen, doch sie wehrte ab.

      Seine Finger spielten auf ihren, ihre spielten auf seinen. Über ihnen lag diese Glocke von Trance.

      „Gib mir deine Telefonnummer,“ sagte er jetzt. Er schob ihr die Serviette mit dem Namen ‚Iris’ zu.

      Sie nickte, lächelnd, schrieb die Nummer auf die Serviette.

      Hendrik griff die Serviette und las die Nummer laut vor sich hin.

      „Hendrik.“ Ihre Stimme hatte plötzlich einen

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