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haben, dem sie allerdings keinen bestimmten Namen geben konnten, das sie aber nichtsdestoweniger störte und beunruhigte. Ein paar der Dienstboten kündigten auch ihrer wirklich vortrefflichen Herrschaft aus dem einzigen Grunde, weil sie sich fürchteten, Abends spät an dem versteckten Eingange vorüber zu gehen. Hinter der Thür sei es, wie sie sich nicht ausreden ließen, unter keiner Bedingung geheuer, und wenn sie Abends spät mit Wasser oder Holz da vorbei müßten, könnte die alte eiserne Pforte auch recht gut einmal von selber auffliegen und ihnen den Tod vor Schrecken bringen.

      Die Eine behauptete dabei, sie hätte es einmal Abends dahinter klopfen, die Andere sogar, Jemanden schwer athmen hören, bis der Regierungsrath, des Geschwätzes müde, sie fortjagte und andere Leute in's Haus nahm. Er ärgerte sich aber doch über das dumme, abergläubische Volk, wie er es nannte, das sich nur immer die größte Mühe gab, einen Haken zu finden, um seine albernen Ideen daran zu hängen.

      Regierungsrath Hechner war verheirathet, hatte aber nur eine einzige Tochter, ein elfjähriges Mädchen von überdies zarter, schwächlicher Gesundheit, und lebte in seiner kleinen Familie still und zurückgezogen. - Kinder sind übrigens für das Uebernatürliche oder Außergewöhnliche empfänglich, und geben sich demselben leichter und unbefangener hin, als Erwachsene. Ihr Geist ist noch nicht im Stande, die Grenzlinie zwischen dem Wahrscheinlichen und Unwahrscheinlichen - wir dürfen kaum sagen: dem Möglichen und Unmöglichen - für sich selber abzustecken und zu befestigen. So hatte sich auch Marie, durch ihren erregten und kränklichen Zustand /11/noch empfänglicher dafür gemacht, viel und lebhaft mit dem alten Nachbarhause beschäftigt und, wenn die Eltern abwesend waren, das besonders mit Begierde aufgefangen, was die Mädchen im Hause darüber zu sagen wußten.

      Daß in dem alten unbewohnten Gebäude dann und wann ein „Licht" umging, stellte sich ihr gegenüber auch bald als feste Thatsache heraus. Ebenso bezweifelte sie zuletzt, mit den Zeugnissen dreier, hintereinander abgehender Dienstleute, keinen Augenblick mehr die Existenz irgend eines unglücklichen, verbannten Wesens, das hinter der übermalten Thür an ihrer eigenen Treppe sitze und mit Ungeduld schon viele Jahre lang seiner Befreiung entgegen harre. Mit kindisch schauerlichem Behagen malte sie sich dabei die stillen Stunden selber aus, wie hinter den dichten und verblichenen seidenen Gardinen die alten prächtigen Möbel standen und schwere Teppiche lagen, die dicker Staub wohl lange schon bedeckte. Und an den Wänden hingen gewiß alte, düstere, lebensgroße Bilder der früheren, jetzt still in ihren Gräbern schlummernden Bewohner des alten Hauses - Männer mit unbequem steifen Halskrausen und langen Degen, und Frauen mit großblumigen, herrlichen Kleidern und hohem, wunderlichem Kopfputz, die erstaunt und finster auf die zu ihnen Eintretenden niederbückten und den Fremden, wohin sie gingen, mißtrauisch und unheimlich mit den Augen folgten.

      Marie hätte Gott weiß was darum gegeben, das alte Haus einmal betreten zu dürfen. Das war wenigstens, wenn sie sich oben in ihrem sichern Stübchen befand, oft und oft ihr Wunsch gewesen. Kam sie aber Abends einmal von einem Besuche der in der nämlichen Straße wohnenden Tante zurück, und mußte sie an der geheimnißvollen Thür vorüber, dann schlug ihr das kleine Herz doch laut und ängstlich in der Brust, und sie drückte sich scheu und mit zurückgehaltenem Athem an der andern Seite der Treppe vorüber. Sie hätte auch darauf schwören wollen, schon selber zu verschiedenen Malen ein leises Seufzen und Klopfen hinter der Thür gehört zu haben, und einmal - sie vergaß den Schrecken in ihrem Leben nicht - war ein Stück Kalk, gerade als sie vorüberglitt, vom Anwurf über der Thür los-/12/gebröckelt und dicht neben ihr niedergefallen, als ob Jemand von innen dagegen gepreßt und dadurch den Kalk von der Wand abgedrückt hätte.

      Marie war auch dieselbe Nacht noch wieder krank geworden, und das alte Haus spielte in der Zeit eine Rolle in allen ihren Träumen. Wenn sie aber aufwachte, wußte sie immer, daß es eben nur ein Traum gewesen. - Da drüben sah es doch gewiß ganz anders aus, als sie es in ihren Phantasien gesehen und sich ausgemalt.

      Wunderbarer Weise scheute sie sich dabei aus irgend einem, ihr selber nicht klaren Grunde, der Mutter, der sie sonst nichts verheimlichte, von dem sonderbaren Einflusse zu sagen, den die alte Thür auf sie ausübe. Vielleicht war es die Furcht vor dem Vater, der so bös über den Aberglauben der Dienstmädchen wurde. Aber unwillkürlich kam ihr dabei auch das Gefühl, als ob sie es irgend Jemandem recht heilig versprochen hätte, mit Niemandem, wer es auch sei, darüber zu reden, und doch wußte sie, daß ihr noch keine Seele aus der weiten Welt ein solches Versprechen abgenommen haben konnte. Hing das etwa auch mit ihren Träumen zusammen? -

      Wieder hatte ihnen ein Mädchen, der alten Thür wegen, gekündigt. Die Köchin, ein braves, arbeitsames und sonst auch resolutes Frauenzimmer, war vor einigen Abenden ziem- lich spät mit Geschirrscheuern beschäftigt gewesen, und hatte noch vor Schlafengehen, um nicht gleich am frühen Morgen danach laufen zu müssen, eine Tracht Wasser aus dem im Hofe befindlichen Brunnen heraufholen wollen. - Mit ihren beiden gefüllten Kannen - so wörtlich erzählte sie es am nächsten Morgen ihrer Herrschaft - kam sie denn auch langsam die Treppe herauf und blieb aus dem ersten Absatz gerade der Thür gegenüber, an die sie in diesem Augenblicke nicht einmal dachte, zum Ausruhen stehen. Da plötzlich - das heilige Abendmahl wollte sie darauf nehmen, daß sie die Wahrheit rede - hörte sie Jemanden dicht neben sich so recht aus tiefster Brust aufseufzen oder stöhnen. Sie sah sich rasch und erschreckt um; obgleich aber die Laterne, die gerade über ihr auf der Treppe hing, ein ziemlich helles Licht /13/ verbreitete, konnte sie weder nach oben noch nach unten etwas erkennen. Da fiel ihr die Thür ein. Während ihr ein kalter Schauder den Rücken herunterlief, griff sie ihre Wasserkannen auf, um so rasch als möglich die sichere Küche wieder zu erreichen. Da klopfte es auf einmal stark und wie ärgerlich inwendig gegen die Thür an, und eine leise Stimme rief ihren Namen, noch dazu ihren richtigen Namen, Susanne, denn mit dem Dienst im Hause hatte sie auch den für Köchinnen dort erblichen „Rieke" überkommen. Mehr wußte sie aber nicht zu sagen; denn die Kannen fallen lassen, daß sich das freigegebene Wasser in rascher Fluth treppab ergoß, die Stufen hinausstürzen und die Küchenthür hinter sich in's Schloß drücken und verriegeln, war das Werk eines Augenblicks gewesen. Selbst die oben an der Treppe vergessene Lampe wagte sie nicht wieder zu holen - sie mußte ausbrennen wo sie stand, und erst im Bette, unter der bis über den Kopf heraufgezogenen Decke, hatte sie es sich überlegt, ob sie um Hülfe schreien und die Hausbewohner wecken, oder es riskiren solle, da auszuharren, wo sie sich gerade befand. Unter dem Ueberlegen war sie eingeschlafen.

      Am nächsten Morgen erklärte aber die Köchin ihrer Herrschaft auf das Bestimmteste, Nachts oder überhaupt nach Dunkelwerden die Spuktreppe nicht wieder betreten zu wollen, und da sich das mit ihrer Arbeit natürlich nicht vereinigen ließ, kündigte ihr der überdies gereizte Regierungsrath ohne Weiteres wieder den Dienst. Solche stockdumme Dienstleute wollte er, wie er sich ausdrückte, überhaupt nicht in seinem Hause dulden. - Rieke - oder jetzt vielmehr wieder Susanne - war denn auch noch an demselben Nachmittage, vor Dunkelwerden abgezogen, und der Regierungsrath schien selber in einer Sache um Rath verlegen zu sein, die ihm schon zu viel Aerger und Verdruß gemacht hatte und noch zu machen drohte. Er konnte sie nicht gleichgültig vorübergehen lassen.

      „Ich weiß bei Gott nicht, was ich am Ende thun soll," sagte er, indem er, die Hände auf dem Rücken zusammengefaßt, mit schnellen, ungeduldigen Schritten im Zimmer auf- und abging und endlich vor seiner an ihrem Nähtische sticken-/14/den Frau stehen blieb, - Marie lehnte, noch etwas leidend, in der einen Ecke des Sophas und blätterte in einem Bilderbuche. - „Wenn ich nicht noch immer die Hoffnung hätte, das alte Gebäude käuflich an mich zu bringen und dadurch meinen Platz hier um das Doppelte zu verwerthen, verkaufte ich wahrhaftig mein eigenes Haus und zöge in eine andere Straße, um nur nicht mehr den Wahnsinn mit anhören zu müssen."

      „Wenn man die Thür nur könnte fest und dick vermauern lassen," erwiderte die Frau, „dann wäre dem ganzen Aberglauben gleich der Boden unter den Füßen fortgezogen."

      „Ich kann ja den Rath nicht dazu bringen," rief der Regierungsrath in bitterem Unmuth, „und hab' ich nicht einmal selbst schon einen halben Verweis bekommen, als ich es nur auf eigene Hand versuchen wollte, die alte, verwünschte Thür aufzubrechen? Weil man in früherer Zeit übersehen hatte, diesen unglückseligen Aus- oder Eingang ebenfalls zu versiegeln, mögen sie jetzt nicht daran rühren, um unangenehme Erörterungen zu vermeiden, und wünschen das Eisenblech als identisch mit der Mauer zu

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