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laß uns hinfahren, Edmund!" bat die junge Frau- „nur fort von hier, denn mir schnürt es bei dem Anblick die Seele zu."

      „Gern, mein Herz, aber weißt Du, wo jene Frau wohnt?"

      „Gleich dort hinüber - sie war die nächste Nachbarin meiner armen Mutter und immer lieb und freundlich gegen mich."

      „Was war sie?" schrie die Frau an der Thür, bei den Worten aufmerksam werdend - „die Nachbarin Ihrer Mutter - wie ist mir denn? - das Gesicht! Jesus, die Falleri!"

      „Fort - fort!" drängte die junge Frau, und der Postillon berührte die Pferde mit der Peitsche, daß sie rasch anzogen und der Wagen die Straße hinabrollte. Hinter ihnen her aber fluchte die Halbtrunkene, raufte sich die Haare, und warf sich dann in Wuth und Haß und Ingrimm auf den Boden nieder.

      Der Postillon sah sich manchmal um, die Richtung angegeben zu bekommen, die er zu nehmen hatte, aber der Weg war nicht zu fehlen; er führte um das Dorf herum, der Stelle zu, wo zwei kleine Häuser nahe beisammen lagen.

      Die alte Nachbarin wohnte aber nicht mehr in ihrem /87/ früheren, jetzt baufälligen Quartier, sondern war zur Miethe in die nämliche Wohnung gezogen, die früher Valeriens Mutter inne gehabt. Wie staunte freilich die arme, alte Frau, als die elegant gekleidete, jugendfrische Dame aus dem Wagen stieg, auf die in der Thür Stehende zuging, ihr weinend um den Hals fiel und sie küßte.

      „Die Falleri!" rief sie da plötzlich aus und schlug die Hände zusammen, „oh Du grundgütiger Gott, die Falleri! - und wie hübsch und groß Du geworden bist, Kind! - ach, wenn Dich Deine Mutter selig jetzt so sehen könnte, die würde eine Freude haben - und hat so wenig auf der Welt gehabt!" Die großen hellen Thränen liefen dabei der Frau über das gute alte Gesicht.

      Auch Valerie weinte, als sie das Haus betrat und jetzt die Stätte sah, auf der sie mit ihrer guten Mutter so trübe - und doch auch wieder so frohe Tage verlebt. Dort hatte ihr Stuhl - dort das Bett gestanden, in dem sie gestorben, und ihr armes Kind allein gelassen in der Welt - aber der Schmerz hatte das Bittere verloren, denn er löste sich ja in Thränen auf, und bald konnte sie wieder lächeln, als sie, ihren Knaben auf dem Arm, mit ihm durch die alten lieben Räume schritt.

      Es sah hier freilich noch so ärmlich aus als früher, wenn auch lebendiger, denn die beiden Waisenzwillinge, die sie oft selber hatte pflegen helfen, sprangen munter hinter ihr drein, und jubelten über die Kleinigkeiten, die sie ihnen mitgebracht.

      Aber Valerie hatte auch gelernt, wie weh Armuth thut, und wollte wenigstens in etwas an der alten Frau, die immer gut mit ihr und ihrer Mutter gewesen, den Dank abtragen, den sie ihrem neuen Leben schuldete. Die Frau bekam allerdings von der Gemeinde die nothwendigsten Auslagen für die ihrer Pflege übergebenen Kinder, die man jetzt nicht im Gemeindehaus lassen konnte, bezahlt, aber sie war selber zu arm, um Weiteres für sie zu thun, und Valerie versprach deshalb, für sie zu sorgen. Auch das Häuschen sollte der alten Nachbarin eigenthümlich gehören, und Assessor Buntenfeld, den sie nicht vergessen, bekam noch an dem nämlichen Tage Auftrag, es für sie anzukaufen. /88/

      Blitzesschnell hatte sich indeß im Dorfe das Gerücht verbreitet, die Falleri, die Gemeinde-Waise, sei wieder zurückgekommen und eine vornehme Dame geworden. Daß sie unschuldig eingesperrt gewesen und der alte Brenner eigentlich das Feuer angelegt, wußte man schon lange. Aber es getraute sich Niemand hinaus zu ihr, denn Niemand im ganzen Dorfe wußte sich von Schuld rein, das arme, hülflose Wesen damals nicht mit unterdrückt - nicht mit verachtet zu haben. Ja, als der Wagen endlich wieder durch das Dorf fuhr und vor dem Hause des Schulzen hielt, in dessen Hände Valeriens Gatte jetzt eine Summe Geld legen wollte, die das vergüten solle, was das Dorf damals an Auslagen für die Waise gehabt, weigerte sich der neue Schulze auf das Bestimmteste, das Geld zu nehmen - er sagte, er könne es vor seinem Gewissen nicht verantworten. Auch aus den benachbarten Häusern kam kein Mensch heraus, und nur scheu hinter den Fenstern lugten sie vor, um die „Falleri" noch einmal in ihrem Staat zu sehen.

      Erst als der Officier das Geld als Geschenk für das Armenhaus deponirte, durfte und konnte es der Schulze nicht zurückweisen. Er lud auch jetzt die beiden Gatten ein, doch auszusteigen und in seinem Hause einen Imbiß einzunehmen, aber Valerie fühlte sich von dem scheuen, schuldbewußten Vernehmen der Dorfbewohner so beengt, daß es sie drängte, wieder hinaus in's Freie - fort von den nur zu gut gekannten Häusern zu kommen.

      Die Pferde zogen an; der leichte Wagen rollte durch das Dorf, und nur noch wie ein Schleier lag die Erinnerung an Osterhagen auf der Seele der schwergeprüften jungen Frau.

      Der Fuchsbau.

      1.

      Die Forstei im Spessart.

      Oben im Spessart, an der nördlichen Abdachung desselben und ziemlich versteckt in einem wilden, hochstämmigen Nadelholzwalde, lag eine alte Forstei, deren Insasse, der alte Förster Buschmann, schon lange um einen Gehülfen petitionirt hatte, weil ihm die Wilddieberei zu arg wurde und er's in dem weiten und wilden Revier nicht mehr allein „erwachen" konnte.

      Ja petitioniren - das sollte Alles „kein Geld kosten", wie er meinte, und dabei wurde das Gesindel immer dreister und stahl zuletzt an Wild mehr weg, als es gekostet haben würde, zwei Gehülfen anzustellen. Es kam und kam eben keiner, bis er zuletzt wild wurde und das Gesetz in seine eigene Hand nahm.

      Alle Schliche und Wege kannte er, aus dem über Nacht draußen im Holz Liegen machte er sich auch nichts, und Streusucher fanden bald nacheinander zwei übelberüchtigte junge Burschen aus dem nächsten Dorf erschossen auf einem der Waldpfade liegen und trugen sie zu Thal.

      Jetzt kamen freilich die Gerichte auf die Beine; eine Untersuchung jagte die andere, und Buschmann wurde alle Augenblicke vorgefordert, um Auskunft über die Erschossenen zu geben - aber was wußte er davon? Er stak allein da auf seiner Forstei im Wald, überall konnte er natürlich nicht ein, und wenn sich das Wilderergesindel untereinander selber /90/ todtschoß - ei, dann wohl bekomm's! er hatte nichts dagegen. Wissen thue er übrigens nichts von der ganzen Geschichte, und da er vergebens und immer wieder vergebens Hülfe von der obern Forstverwaltung erbeten, aber nie auch nur einmal eine Antwort erhalten habe, so müsse sie es sich eben jetzt gefallen lassen, wenn es Mord und Todtschlag auf dem Revier gäbe.

      Das half. Schon in nächster Woche wurde nicht allein ein aus drei Schützen bestehender Forstschutz in das Revier gelegt, sondern eines Sonnabend Abends traf auch ein junger kräftiger Forstgehülfe auf der Forstei ein, gab sein Einführungsschreiben ab und wurde von dem alten Förster auf das Herzlichste empfangen.

      Bis jetzt hatte Buschmann mit seiner „Alten", da ihre Ehe kinderlos geblieben, hier allein die langen Jahre gewirthschaftet. Nur eine alte Magd war noch im Hause, die die Küche und ein paar Kühe besorgte, und zwei Kreiser oder Forstläufer schliefen ebenfalls dort oben, wenn sie ihre Pflicht nicht zwang, auf irgend einem andern Punkt des Reviers zu übernachten. Daß das ein einsames Leben im Walde gewesen, läßt sich denken, besonders wenn draußen der Schnee seine weiße Decke über das Land breitete. Die beiden alten Leute hatten dann mit der Magd im Zimmer gesessen, der Förster seinen kurzen Pfeifenstummel im Mund, die Frauen am Spinnenrocken, während oft Stunden lang kein Laut, als das Schnurren der Räder, die Stille unterbrach.

      Jetzt kam junges Leben dahinein, und der neue Forstgehülfe Bernhard Raischbach, der schon in Aschaffenburg, Würzburg und selbst in München gewesen, ja gar in den Alpen seine Lehrzeit bestanden, und sonst auch ein manierlicher Bursche und guter Leute Kind war, konnte von allem Möglichen erzählen und erzählte auch, und die alten Leute trugen ihn dafür auf Händen. Was ihm die alte Frau an den Augen absehen konnte, that sie ihm, und besserer Kaffee war noch nicht in der Forstei gebraut, so lange sie stand, als seit der junge Raischbach dort eingezogen. Ja sogar ein Fäßchen Bier wurde angeschrotet - und zwar Lagerbier, kein einfaches - damit er nicht versucht werden sollte, Abends in das allerdings immer noch gut /91/ anderthalb Stunden entfernte Wirthshaus hinab zu steigen - was er freilich auch nur sehr selten that. Der Hinweg ging noch - aber der Rückweg durch den stockdunkeln Wald und über die rauhen Wege war nichis weniger als angenehm.

      Auch draußen im Wald erwies sich der junge Forstgehülfe bald außerordentlich brauchbar und kannte seine Pflicht so genau, daß der alte Förster

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