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war. Das ha­be ich in­ der kur­zen Zeit mei­ner Präsenz auch ge­lernt, ob­wohl ich es nicht woll­te. Ich muss­te das ja ler­nen, gehört ja­ zum Geschärft. Und ob­wohl man sich mit Din­gen, die man nicht will, schwe­rer tut, hab ich trotz­dem noch Zeit ge­habt, et­was zu ler­nen, was ich ler­nen woll­te. Ich ha­be in den drei Jah­ren viel über Men­schen ge­lernt. Nicht über al­le Men­schen. Aber über die, die auf dem Kiez le­ben und ar­bei­ten.

      Scha­de, dass sich Men­schen so schnell sche­ma­ti­sie­ren las­sen, in Grup­pen zu­sam­men­ordnen, in Schub­la­den stecken, das Klein­ste Ge­mein­sa­me Viel­fa­che ist schnell ge­fun­den, das Wur­zel­zie­hen kein Pro­blem. Je­der ist durch je­den teil­bar, be­lie­big aus­wech­sel­bar. Man er­kennt sie: an den ganz be­stimm­ten Ver­hal­tens­mu­stern. Schon nach kur­zer Zeit. Wenn man ge­nau hin­sieht.

      Mich wun­dert, mit wel­cher Selbstverständlichkeit und mit wie we­nig er­for­der­li­chem Mut die Leu­te hier ans Werk ge­hen, frech und dreist zu sein, und für sich erst ein­mal den Platz in der Mit­te be­an­spru­chen. Al­le die sich hier rum­trei­ben, sind schwach. Und die mei­sten da­bei so stark. Al­les Men­schen, die nur mit Ih­rer großen Klap­pe ihr klei­nes Le­ben re­geln. Wenn sie es denn re­geln. Kein Ehr­geiz, nur halb­schlau, wie’s geht, weiß oder lernt je­der vom an­de­ren, da merkt man schnell, wer die be­sten Lehr­her­ren hat­te.

      Aber je­der selbst ist ein In­di­vi­du­um, er ist die Aus­nah­me, gut, dass sie nicht so ge­wor­den ist wie er und der doch ganz an­ders als der.

      Je­dem hier ist als Kind et­was für ihn persönlich ganz schlim­mes pas­siert, wes­halb er so ge­wor­den ist, wie er jetzt ist.

      Da kommst Du erst et­was später da­hin­ter. Nicht viel später. Weil je­der ganz toll ist und ganz ger­ne über sich re­det. Und er oder sie erzählt Dir schon bald sei­ne Le­bens­ge­schich­te, als wärst Du ein al­ter Freund. Du musst nur ein we­nig fra­gen, am An­fang ge­schickt noch, nach­her we­ni­ger, nach und nach läuft es dann wie von selbst. Und Du musst zuhören. Die­sen ar­men Men­schen hier hat nämlich vor­her noch nie ei­ner zugehört im Le­ben.

      Die El­tern nicht, die hat­ten an­de­re Pro­ble­me, die ver­meint­li­chen Freun­de auch nicht, de­ren El­tern hat­ten die sel­ben Pro­ble­me, die wa­ren aus der sel­ben Ecke und woll­ten selbst, dass ih­nen ei­ner zuhört. Und so muss ei­ner im­mer lau­ter schreien als der an­de­re, da­mit man ihn den­noch ein we­nig wahr­nimmt im Ge­bell des Ru­dels. Und je­der muss im­mer tol­ler sein in sei­nen Ge­schich­ten, im­mer das Schlimm­ste und noch Schlimmeres er­lebt ha­ben, am mei­sten vom Opa miss­braucht wor­den sein.

      Tän­ze­rin­nen­ge­schich­ten. Kiez­ge­schich­ten. Zwei­fel­los nicht alle er­fun­den.

      Zwei­fel­los mit ei­nem mehr oder we­ni­ger großen Fetz­chen Wahr­heit dar­an. Und zwei­fel­los tra­gisch, für so­li­de Leu­te bei­na­he unerklärlich, nicht nach­zu­voll­zie­hen. ‚Ja gibt’s das denn? Wie konn­te der nur? Wie­so hast Du denn nicht…? Und Dei­ne Mut­ter denn…? Und was war mit dem Leh­rer…? Nie­mand? Ganz al­lein?’

      Ganz al­lein.

      Und so lang­sam le­gen sie sich ei­ne Rüstung zu. Lau­ter bel­len. Lau­ter. Noch lau­ter. LAUT!!! Und sie­he da: ein paar in der Meu­te dre­hen sich tatsächlich um! Se­hen Dich an, sind auf­merk­sam ge­wor­den. So schlimm??

      Ja, so schlimm.

      So! geht das al­so.

      Mei­stens sind es Frau­en, Mädchen, hal­be Kin­der zum Teil noch, die hier ar­bei­ten. Jun­ge, hübsche, net­te Dinger - auf den er­sten Blick. Zwei­fel­los - hübsch sind sie ir­gend­wie al­le. Sie pfle­gen die we­ni­gen Hab­se­lig­kei­ten, die sie ha­ben und die sie ver­kau­fen können: ein net­tes Äußeres, lan­ge Bei­ne, schöne Haa­re. Du wun­derst Dich, in welch fre­chem, vor­lau­tem Ton Dir ei­ne hübsche Da­me hier pat­zi­ge Ant­wor­ten ge­ben kann? Bist Du nicht ihr Freund, dann bist Du ihr Feind. Oder ihr Freier, im Cabaret-Betrieb harmlos „Gast“ genannt.

      Zwischen Freund und Feind gibt es nichts. Und al­le sind zu blöd, zu dumm, halb­schlau. Sie konnten auch gar nichts an­de­res ma­chen, als hier ih­re Trümpfe aus­zu­spie­len, die sie ha­ben: das gu­te Aus­se­hen, das sie glücklicherweise mit­be­kom­men ha­ben auf ih­ren har­ten Le­bens­weg, die ego­i­stisch-ar­ro­gan­te, vor­laut-fre­che, rot­zi­ge Art, sich so­fort und für al­les zu recht­fer­ti­gen und zu weh­ren, auch wenn sie nur zu Un­recht an­neh­men, man wol­le an ih­rem Gla­mour krat­zen. Und die lan­gen Fingernägel, mit Vor­lie­be rot lackiert, die sie selbst oder ih­re Kos­me­ti­ke­rin lie­be­voll gezüchtet und ge­stal­tet ha­ben, da­mit sie Dir, wenn nichts mehr hilft, da­mit die Au­gen aus­krat­zen können.

      Heutzutage –damals gab es die noch nicht für das Normalo-Girl, weil schlichtweg unbezahlbar – kommen auch noch die Platiktiten dazu, stolz vor die stolz geschwellte (oder geschwollene) Brust gehängt, je grösser, je besser – schaut her, meine neuen Titten, -Version 1- selbstbezahlt, ich mach tierisch Kohle!, oder –Version 2- vom Freier bezahlt, ich bin doch nicht so blöd und geb meine Kohle für sowas aus!

      Wenn man all die­se Ver­an­la­gun­gen mit­bringt, ist es nicht schwer, das Geschäft der Ab­zie­he­rei - das Ge­schäft des Kiez - auch noch zu ler­nen. Es bie­tet sich an, es gibt ja auch gar nichts an­de­res, was sich anböte, man muss nicht mehr die schon in der Ver­gan­gen­heit gehasste und oh­ne­hin schwie­ri­ge Schul­bank drücken, braucht kei­ne Leh­re zu ma­chen und sich kaum un­ter­zu­ord­nen - und die, de­nen man sich dann doch hin und wie­der mal beu­gen muss - gehören ja ins sel­be Ka­der. Und in der Fa­mi­lie weiß man doch mit­ein­an­der um­zu­ge­hen.

      Und wenn ich mir dies zu­sam­men­ge­fasst so be­trach­te, dann se­he ich auf ein­mal klar. All dies zu­vor ge­sag­te trifft gleichermaßen auf al­le Da­men in mei­nem Um­feld zu - mehr oder we­ni­ger, in der ein- oder an­de­ren Wei­se.

      Leu­te, die kei­ne Verträge abschließen wol­len, sich nicht fest­le­gen wol­len, im­mer auf dem Weg sind und nie ans Ziel kom­men, weil sie nicht wis­sen, wo das Ziel ist. Die im­mer Letz­tens schon was ganz an­de­res ma­chen woll­ten aber nun ja doch noch ein biss­chen müssen, weil - das Geld, das schöne Geld, wäre ja auch scha­de drum, wo ver­dient man denn heu­te noch so schnell so viel Geld mit so we­nig Ar­beit - als halb­schlau­er Mensch, nicht be­reit, sich zu verändern, an­zu­pas­sen, et­was da­zu­zu­ler­nen?

      Und so wird aus der einst streb­sa­men, hübschen Hauptschülerin mit Qua­li­fi­ka­tion zur Sonderschulreife, die noch nie so rich­tig wuss­te, was sie nun ei­gent­lich wer­den woll­te, außer schnell­stens ge­hei­ra­tet, außer aber viel­leicht doch Al­ten­pfle­ge­rin? - ei­ne Tänzerin. Und sie­he da, wer hätte das zu­vor ge­ahnt? - ei­ne gu­te so­gar noch, ei­ne sehr gu­te, ja! Das spornt doch an! Da tut sich doch ei­ne neue Chan­ce auf! Da kann man noch was wer­den in dem Job, oh­ne lan­ge An­lauf­zeit, oh­ne große Mühen, nur mit den gott­geg­e­be­nen Ga­ben (und kleinen Korrekturen des Schönheitsgottes) und un­ter sei­nes­glei­chen, die auch al­le so viel Selbst­be­wusst­seins­pro­ble­me ha­ben, wenn sie ehr­lich sind, und man ist ehr­lich, un­ter­ein­an­der, muss man ja, und wenn man mit ei­ner Selbst­er­kennt­nis der er­ste ist, dann hört ei­nem we­nig­stens noch ei­ner zu!

      Da gibt es auch die ewig Ge­stri­gen, die voll auf der Über­hol­spur stän­dig in der Ver­gan­gen­heit le­ben, mit ih­rem gan­zen See­len­müll, das sind die an­de­ren fuff­zig Pro­zent, mit hun­dert­acht­zig Sa­chen rückwärts in­ die Parklücke, die al­les souverän und ober­cool mei­stern, im Ram­pen­licht ste­hen und im­mer wie­der glänzend aus­se­hen. Nach dem

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