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erhalten, daß die Wirtin mit ihren Kellnern und Mägden nicht Hände genug hatte, zu schaffen und herzurichten, und die Tische und Bänke im Garten draußen fast alle rundherum von Schmausenden besetzt waren.

       Der Rote Drachen sollte übrigens, wie die Sage ging, seinen Namen von einem wirklichen Drachen bekommen haben, der einmal vor vielen hundert Jahren in der Schlucht weiter oben, die auch noch ebenfalls nach ihm die Drachenschlucht hieß, gehaust und viele Menschen und Rinder verschlungen hatte. Der Wirt des Roten Drachen nun, Thuegut Lobsich, dessen Voreltern schon diesen Platz gehalten, behauptete, einer seiner ,Ahnen’ habe den Drachen im Einzelkampf erlegt (die Gäste meinten, mit schlechtem Bier vergiftet) und dafür von dem damals regierenden Fürsten Platz und Wirtschaft als Gerechtsame, mit dem Schild als Wahrzeichen, erhalten.7

       Wie dem auch sei, Thuegut Lobsich tat wirklich gut auf dem Platz, der im vortreffliche Nahrung bot, und befand sich so wohl, wie sich nur ein Wirt in einer gut gelegenen Wirtschaft befinden kann. Sein Frau war aber dabei der Nerv des Ganzen, in Küche und Stall, in Keller und Haus, und während sich Vater Lobsich (wie er sich gern nennen ließ, obgleich er noch jung und rüstig war) am liebsten zu seinen Gästen irgendwo an einen Tisch drückte und «das Bier kontrollierte», wie er sagte, daß ihm die Burschen kein saures brachten und die Gäste verjagten, arbeitete die Frau im Schweiße ihres Angesichts vor dem Herd, die bestellten Portionen herzurichten und zu gleicher Zeit auch den Verkauf von Kaffee, Tee, Milch und Kuchen zu überwachen. Dabei führte sie die Kasse und rechnete mit Kellnern und Mädchen ab, und wehe denen, die eine halbe Portion Kaffee oder Kuchen vergessen, ein nichtbezahltes Glas nicht aufnotiert oder einem schlechten Kunden noch einmal gegen den direkt gegebenen Befehl geborgt hatten.

       Böse Zungen meinten nicht selten, Frau Lobsich sei der ,einzige Mann im Hause’ und Thuegut dürfe nur tanzen, wenn sie nicht daheim wäre. Böse Zungen erwähnten dann aber nicht dabei, daß sie wirklich allein das Hauswesen in Zucht und Ordnung hielt, und so scharf und heftig sie draußen in Küche und Wirtschaft, wo sie fremde Leute doch auch eigentlich nur zu sehen bekamen, sein konnte, und so große Ursache sie dabei oft hatte ärgerlich zu sein, und die Ursache dann auch für vollkommen genügend hielt, es wirklich zu werden, so still und freundlich konnte sie sich betragen, wenn sie allein mit ihrem Mann war, und so gern gab sie ihm in allem nach, was nicht eben zu Ruin und Schaden trieb. Salome Lobsich war das Muster einer Hausfrau und, was ebensoviel sagen will, eine gute Gattin dabei; ob ihr Mann dasselbe auch von sich sagen konnte, stand auf einem anderen Blatte.

       Heute hatte sich nun eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft in dem gar so freundlich gelegenen Garten des Roten Drachen eingefunden, und dicht vor der Tür desselben, unter der alten breitschattigen Linde, die ihre Arme so weit nach rechts und links hinüberstreckte, daß man sie schon hatte stützen müssen, um nur den Weg zu ihr und den Platz darunter frei zu behalten, saß Lobsich selber mit einem kleinen Kreis guter Bekannten, das heißt alter Kunden und quasi Stammgästen von i h m, denn er selbst kam selten irgendwo anders hin, und wer also sein Bekannter b l e i b e n wollte, mußte i h n eben besuchen.

       Zu diesen gehörte besonders Jakob Kellmann, ein Kürschner und Pelzhändler aus Heilingen, dann der Aktuar8 Ledermann von dort, eine lange hagere, etwas ungeschickte Gestalt, doch mit nicht unangenehmen, gutmütigen Gesichtszügen, und der Apotheker aus Heilingen, Schollfeld mit Namen, die es gewöhnlich so einzurichten wußten, daß sie an einen Tisch miteinander zu sitzen kamen. Lobsich nahm ebenfalls am liebsten zwischen dieser kleinen Gesellschaft Platz, und nur dann und wann, besonders wenn er die Stimme seiner Frau irgendwo hörte, stand er auf und ging einmal durch den Garten und die Reihen seiner Gäste, um zu sehen, ob alle ordentlich bedient würden und keine Klagen einliefen gegen unaufmerksame Kellner, die er in dem Fall auch wohl gleich an Ort und Stelle mit einem Knuff oder einer Ohrfeige als warnendes Beispiel abstrafte. Er mußte an irgendjemand seinen Ärger auslassen, daß er nicht bei seinem Bier konnte sitzen bleiben.

       «Ist doch ein prachtvolles Wetter heute», sagte Kellmann, der eben einen tüchtigen Zug aus seinem Glase getan und nun mit vollem zufriedenen Blick über das freundliche Bild hinausschaute, das sich, von der warmen Nachmittags-sonne beschienen, in all’ seinem blitzenden Glanz und Farbenschimmer vor ihnen aufrollte, «und es wächst und gedeiht alles draußen so schön und steht so prächtig – merkwürdig dabei, daß alles so teuer bleibt und die Preise, statt herunter zu gehen, immer nur steigen und steigen.»

       «Ja, das weiß Gott», seufzte der Aktuar, dem der Gedanke selbst den Geschmack am Bier wieder zu verderben schien, denn er setzte das schon zum Mund gehobene Glas unberührt vor sich nieder. «Und wenn das noch eine Weile so fort geht, können wir alle miteinander verhungern oder davonlaufen.»

       «Nun, I h r habt gut reden», sagte Kellmann, «Ihr bekommt vom Staat Euer Gewisses und könnt Euch genau danach einrichten - E u e r Geld muß Euch werden, wenn der Erste jedes Monats kommt; unsereins hängt aber allein von den Zeiten ab, und wenn die Lebensmittel knapp werden, kauf niemand einen Pelz. Holz müssen sie doch haben, und daran kann sich nachher die ganze Familie wärmen.»

       «Ihr redet, wie Ihr’s versteht», brummte der Aktuar. «Unser Gewisses bekommen wir, das ist wahr, aber nur deshalb, damit wir gewisses Elend vor Augen sehen. Ich habe fünfhundert Taler Gehalt, und Frau und Kind und Dienstmädchen zu ernähren, und soll anständig dabei gekleidet gehen, denn vor zehn und zwanzig Jahren hatte ein Aktuar in meiner Stellung auch nicht mehr und machte das alles möglich, ja befand sich wohl dabei. Jetzt aber wird Brot, Butter, Fleisch, Holz, Wohnung, kurz alles, was wir nun einmal zum Leben brauchen, gesteigert von Tag zu Tag, aber meine fünfhundert Taler b l e i b e n. Vor zehn Jahren kaufte ich zwanzig Pfund Brot für dasselbe Geld, für das ich jetzt nicht zehn bekomme – aber m e i n e fünfhundert Taler b l e i b e n. Auch mein Hausherr verlangt höheren Zins – schon voriges Jahr bin ich höher gegangen, um nicht gesteigert zu werden, das heißt für denselben Preis aus der zweiten in die dritte Etage gezogen, aber für dies Jahr muß ich ganz hinaus, denn will wieder zehn Taler mehr haben und k a n n’s ihm nicht geben. I h r Leute habt Euch gut in die Zeiten schicken, denn wenn das Brot teurer wird, schlagt Ihr desto mehr auf Eure Ware, der kleine Beamte aber, der Staatsdiener um geringen Lohn, das ist das geplagte, gefährdete Geschöpf, und jede neue Taxe macht im keine neue Berechnung, sondern schnallt ihm nur den Leibriemen um ein Loch enger, daß er weniger ißt, bis er ins l e t z t e Loch geworfen wird, um zum ersten Mal von seinen irdischen Strapazen, ohne Furcht vor rasch ablaufenden Ferien, wirklich ungestört auszuruhen.»

       «Ach geht mit Euren erbärmlichen Lamentationen an solch’ freundlichem Tag», fiel ihm der Wirt hier in die Rede, der sich erst vor ein paar Augenblicken wieder mit zum Tisch gesetzt und schon eine ganze Weile unruhig mit dem Kopf geschüttelt hatte. «Das Reden macht’s nicht besser, und Stöhnen und Seufzen hilft auch nichts – Kopf oben, das ist die Hauptsache; das andere macht sich von selber. – Aber hallo», unterbrach er sich plötzlich, von seinem Sitz aufstehend und die Straße hinunterzeigend, die in das weite Tal führte. «Was kommt dort für ein Trupp den Weg entlang?» Und in der Tat wurde dort oben ein ganzer Zug Männer, Frauen und Kinder mit kleinen Handkarren und ein paar einspännigen Wägelchen sichtbar.

       «Das sind Auswanderer!» rief Jakob Kellermann, von seinem Stuhl aufspringend und dem Zug entgegenschauend. «Seht nur ein Mensch an, wieder ein ganzer Schwarm aus dem Hessischen; Heiland der Welt, da muß doch endlich einmal Platz werden!»

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       «Na, nu ist wieder der Frieden beim Henker!» rief aber der Apotheker mürrisch. «Hier, Lobsich, setzt Euch auf Euren Stuhl und trinkt Euer Bier aus, und Ihr, Kellmann, laßt das Volk da draußen laufen, wohin sie wollen – unzufriedene Bande, die es ist, und die es nirgends gut genug kriegen kann, wo ihr nicht das Konfekt auf goldenen Tellern präsentiert wird. Na, kommt nur hinüber, wenn Euch hier der Hafer zu sehr sticht – Euch werden sie schon noch das Fell über die Ohren ziehen, daß Ihr am hellen, lichten Tag die Sterne zu sehen bekommt.»

       «Nein, was für ein Zug!» rief aber Kellmann, die langsam näher kommende Schar mit unverkennbarem Interesse betrachtend. «Die armen Teufel!»

       «Hört, Kellmann», rief aber Schollfeld ärgerlich, «jetzt tretet mir

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