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      Gesammelte Schriften

      Friedrich Gerstäcker

      In Mexiko

      Ein Charakterbild

      1. Band

      Volks- und Familien-Ausgabe

      2. Serie Band Neun

      der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena

      Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

      Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“. Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Thomas Ostwald.

      Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und

      die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig

      Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar

      Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17

      38108 Braunschweig

      Alle Rechte vorbehalten. © 2020

      1.

      Verschiedene Parteien.

      Am 30. Mai des Jahres 1864 war die erste Etage des großen und schönen Hauses in Mexiko, das der General und frühere Präsident Miramon mit seiner jungen Frau bewohnte, festlich erleuchtet, und die geschäftige Dienerschaft noch in voller Arbeit, um die verschiedenen Säle für den Empfang der erwarteten Gäste in Stand zu setzen. Im Spielzimmer wurden die Tische arrangirt und die Lichter angezündet; im großen Saal rückte man das Instrument etwas von der Wand ab, und Alles verrieth, daß der Besuch ein sehr zahlreicher und auch äußerst glänzender sein würde - keine der gewöhnlichen Tertulias1, die in der letzten Zeit fast wöchentlich eine Anzahl von Freunden wie Gesinnungsgenossen in dem gastlichen Haus des jungen Kriegers und Staatsmannes versammelt hatten.

      Es war auch in der That eine bewegte und lebendige Zeit in Mexiko - dies Frühjahr von 1864, denn es schien fast, als ob es Frühling im ganzen Lande werden, und Krieg und Blutvergießen, die ihre Schrecken seit langen Jahren über die schöne Erde gegossen, nun doch ein Ende nehmen sollten.

      Allerdings standen die Franzosen überall im Land; das Blut, das ihre Waffen vergossen, rauchte noch aller Orten in den Thälern - mexikanisches Blut, den Herzen Derer entströmt, die sich den fremden Usurpatoren keck entgegengeworfen und ihr eigenes Vaterland, den eigenen Herd vertheidigt hatten; /2/ aber daran war man ja in Mexiko gewöhnt. So lange die jetzige Generation lebte, hatte sie cs - mit kurzen Unterbrechungen vielleicht - nie anders gesehen und gekannt, und was deren Eltern erzählten, drehte sich nur ebenfalls um Geschichten von Revolutionen und Pronunciamentos, um Erpressungen und Executionen. Sie wußten es nicht besser, und von der übrigen Welt so ziemlich abgeschlossen, schien es fast, als ob ein anderer staatlicher Zustand gar nicht denkbar sei.

      Aehnlich wie jetzt war es freilich schon oft im Land, schlimmer aber noch nie gewesen; denn wie zu Zeiten der Spanier drang ein fremdes Heer herein und benutzte die eine Partei, um mit deren Hülfe die andere zu schlagen und zu unterjochen. Auch war ein Ende dieses Kampfes kaum vorauszusehen, konnte wenigstens noch lange Jahre dauern, und mußte dann Mexiko vollständig ruiniren.

      Da plötzlich zeigte sich Rettung, und wie ein schönes, wunderbares Märchen klang es fast, denn drüben, weit drüben über dem Meere, in einem fremden Welttheile, auf hohem, die See überschauendem Felsenschloß, hatte ein Fürstensohn eingewilligt, die Zügel ihres Landes in die Hand zu nehmen, und schon, wie das Gerücht ging, trug ihn die Welle ihrem Ufer entgegen.

      Es war eigenthümlich, welchen Eindruck diese Nachricht auf alle Parteien - wenigstens für kurze Zeit - hervorbrachte. Wie das Läuten der Friedensglocken die Streitenden trennt und sie dem Klange horchen, so schienen sich auch hier die Parteien für kurze Frist geeinigt zu haben, um wenigstens erst einmal den neuen Zustand der Dinge anzuschauen.

      Das eigentliche Volk sehnte sich übrigens nach Frieden, und wer ihn brachte, war willkommen; jede der anderen Parteien aber hoffte den neuen Fürsten ihrer Seite zu gewinnen, und selbst zahlreiche Führer der Liberalen, die bis dahin noch auf des zurückgetriebenen Juarez Seite gestanden, waren es müde geworden, das schöne Land zu nichts als einem Schlachtfeld zu verwenden, auf dem sie den Boden ewig mit Blut düngten, ohne je ein Saatkorn hinein zu legen oder eine Ernte zu ziehen.

      Ob die Führer der Parteien nicht ihre Absichten und /3/ Pläne dabei hatten und allein nach dem Grundsatz handelten, kein Mittel zu scheuen, um nur ihre Zwecke zu erreichen, sollte erst die Zeit enthüllen - jetzt zeigte sich, wenigstens äußerlich, nichts davon, und in der Hauptstadt selber schien Alles nur von dem Wunsch beseelt, die neue Monarchie in Kraft, in's Leben treten zu sehen. - Wie es nachher wurde - wen in dem ganzen weiten Reich hätte das gekümmert? Welcher Einzelne von all' den Hunderttausenden der spanischen Colonisten in ganz Amerika sorgte sich um das nächste Jahr, ja nur um den nächsten Tag, und eine neue Regierung? was hinderte sie, dieselbe wieder abzuschaffen, sobald sie ihnen nicht behagte? es war ja doch weiter nichts als ein Versuch. Daß irgend Jemand so thöricht sein könne, mit vollem und heiligem Ernst an eine solche Sache zu gehen und sein ganzes Leben, seine Ehre, sein Alles dafür einzusetzen, wäre ihnen nicht einmal im Traum eingefallen, selbst wenn sie nur einen Begriff von dem gehabt hätten, welchen Werth das Alles für einen europäischen Prinzen haben mußte.

      Nur unter den höheren Klassen des Staates herrschten hier und da noch Zweifel, und Solche besonders, die mit den außermexikanischen Verhältnissen nur ein klein wenig vertraut waren, konnten es sich nicht denken, daß ein österreichischer Prinz, von Frankreich aufgefordert, sein ruhiges Asyl daheim verlassen sollte, um sich einen Palast über dem Krater eines Vulkans zu bauen. Das eigentliche Volk aber hatte keine solchen Bedenken, - es erwartete den versprochenen Kaiser und jubelte ihm schon von vornherein entgegen.

      Allerdings stand mitten in der Stadt der alte Palast Iturbide. Das war auch ein Kaiser gewesen, - der Erste, seit Mexiko das spanische Joch abgeschüttelt, und sein Blut hatte den mexikanischen Boden gefärbt, mexikanisches Geschoß sein Herz durchbohrt - aber Niemand dachte daran, zwischen den beiden Kaisern, die ihren Thron inmitten einer Republik aufpflanzen wollten, eine Parallele zu ziehen, wahrend die mexikanische huate volée schon im Vorgenuß all' der Herrlichkeiten schwelgte, die ihr ein Kaiserreich ja im natürlichen Verlauf der Dinge bringen mußte. Waren sie doch gerade die eigentliche und einzige Aristokratie im Lande, ohne welche nun einmal kein /4/ Hof bestehen konnte - und was die politischen Schwierigkeiten betraf, ei! das blieb Sache des Kaisers wie seiner Räthe, und sie dachten nicht daran, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

      General Miguel Miramon stand, wenn auch in vollständiger Toilette, sich aber um die Vorbereitungen in seinem Hause wenig kümmernd, und nur aufmerksam eine vor ihm ausgebreitete Karte von Mexiko betrachtend, in seinem Zimmer.

      Er war von jeher eine der Hauptstützen der klerikalen Partei gewesen, und gerade diese hatte die Berufung des Kaisers am stärksten und unermüdlichsten betrieben, weil sie besonders auf einen österreichischen Prinzen ihre größte Hoffnung setzte. War nicht von dem Republikaner und Indianer Juarez2 die Kirche, und damit, ihrer Meinung nach, die ganze Religion unter die Füße getreten worden? Hatte er nicht die Kirchengüter confiscirt, ja sogar den Priestern verboten, in ihrem Ornat auf der Straße zu erscheinen? Durfte denn selbst unter seiner Regierung nur noch eine Procession die Stadt durchziehen, oder das Allerheiligste offen und frei einhergetragen werden? Das Letztere hatten nun allerdings die Franzosen schon wieder beseitigt, seit sie Juarez nach Norden hinausgejagt und unschädlich gemacht, aber die Liegenschaften der Kirche befanden sich noch immer in den Händen von Laien, die Gewalt selber hatten sie noch nicht zurückgewinnen können, und dazu sollte und mußte ihnen jetzt Maximilian helfen. Er mußte, denn nur durch sie war er auf den Thron berufen - nur durch sie konnte er sich, wie sie glaubten, halten.

      Miramon dachte aber jetzt nicht an die Interessen der Geistlichkeit, wenn sie auch mit den seinigen vielleicht Hand in Hand gingen. Die Linke auf den Tisch gestützt, mit dem Zeigefinger der Rechten den Punkt bezeichnend, wohin die Franzosen seinen alten Feind und politischen Nebenbuhler Juarez getrieben, und wo er in dieser Zeit nur noch einen Rang wahrte, dem schon keine Macht

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