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verpassten jedem eine fette Abreibung, der ihnen auf die Füße trat. Und wie sie aussahen, war denen scheißegal. Aber wie sollte Katy damit klar kommen? Ihr war es nicht egal, wie verdreckt oder verlaust sie oft ankam. Ihr war es nicht egal, dass die anderen über sie herfielen und sie verspotteten. Katy wollte so gern ihr Leben auf die Kette kriegen. Einmal verweigerte sie aus Protest den Küchendienst. „Lass mich zur Schule Mutter dann koch ich wieder!“ „Streik?“, blaffte die Larve zurück, „spinnst du! Das hast du von den Kommunisten. Ich wusste es gleich, unser linker Bürgermeister bringt nichts als Aufstand!“ Die Mutter ließ Katy nicht aus dem Haus. „Schule hilft dir einen Dreck!“, schrie sie ihr ins Gesicht. „Noch so ein Putsch und ich zerstückele dich in mehrere Teile!“ Alles zusammen gerechnet besuchte Katy die Schule ungefähr sechs Monate im Jahr. Mehr war nicht drin. Logo, dass sie nie nichts folgen konnte. Schulpflicht, pah, nicht bei ihrer Mutter. Die fette Larve holte den Arzt und behauptete, Katy hätte wieder die ganze Nacht gekotzt. Zack und die Krankmeldung war in ihrer Hand.

      Le Havre, August 1967 /// Seit er fünfunddreißig ist geht der Vater Ben Ali keiner regelmäßigen Arbeit mehr nach - soweit er das überhaupt mal getan hat. In Le Havre jedenfalls nicht mehr. In viel früheren Jahren vielleicht, bevor er verheiratet war. Klauen tut er auf jeden Fall immer noch. Besonders jetzt, bei den Gelegenheitsjobs, wo er auftaucht und am nächsten Tag wieder abhaut. Bei seiner letzten Anstellung als Holzarbeiter hat er einen Unfall gebaut, das brachte dem faulen Sack geschenkte hundert Prozent Invalidität ein, super. Ab da hat er einen Freifahrtschein für die tägliche Dreierwette beim Pferdelotto. / Zu der Sozialwohnung, in der sie hausen, gehört eine Gartenparzelle mit einem kleinen Betonpavillon statt Keller. Katys Vater züchtet Kaninchen und baut Gemüse an. Damit vertreibt er sich die Zeit, wenn er nicht gerade zocken geht. Und natürlich verbessert sein Hobby die Ernährungslage der Familie, insbesondere seine eigene. Katy ist achteinhalb Jahre alt und ganz verschossen in Poupette, ihr liebes graues Hasentier! Ein richtiger Schnuffel. Den nimmt sie beim Füttern in den Arm süß wie der ist. Und wie der mit der Nase schnüffelt, zu niedlich. Katy schiebt ihm zu gerne ein Salatblatt zwischen die weichen Backen, das Poupette dann genüsslich zerkaut. Ein echter Nimmersatt der kleine Kerl. „Mama, darf Poupette heute bei mir schlafen? Bitte, bitte!“ Ein Haustier ist Katys innigster Wunsch. „Kommt überhaupt nicht infrage!“, kreischt die Larve, „so ein Drecksvieh bringt nur Allergien ins Haus!“ „Der ist so lieb...“ protestiert Katy und schiebt ab in den Garten. Dann geht sie eben zu ihm, wenn er nicht zu ihr kommen darf. Als einige Tage später der Vater mit Poupette in der Wohnungstür erscheint, glaubt Katy an ein Wunder. Wow, ihr Vater macht ihr Poupette zum Geschenk? Da wird die Larve schön blöd aus der Wäsche schauen. Der Vater kommt näher, starrt Katy verständnislos an. Katy kreischt vor Vergnügen und klatscht aus Vorfreude in die Hände, jubelnd streckt sie ihrem Vater beide Arme entgegen. „Ja, ja, gib ihn mir. Gib ihn mir!“ „Welche Begeisterung?“, grunzt der Vater, „was glaubst du, kleine Kröte, was das wird?“ Er verpasst Poupette einen beinharten Karateschlag in den Nacken, hängt ihn kopfüber in den Fensterrahmen. Katy schreit auf, stürzt sich auf den Vater und schlägt mit beiden Fäusten wild auf ihn ein. Da hat sie voll einen ausgewischt bekommen. „Mörder du!“, Katy überkommt ein Weinkrampf, dass sie fast keine Luft mehr kriegt, während die Larve ungerührt eine Seite ihres Liebesromans umblätter,. Dann muss Katy mit ansehen, wie der Vater einen Eimer aufstellt. Wie er dem armen Tier ein Auge herausreißt. Das Blut pisst nur so aus Poupette heraus und nicht ein Spritzer landet auf dem Fell. Danach zieht der Vater Poupette die Haut ab und schneidet ihn in Stücke. In der Nacht träumt Katy von Poupette und seinem Auge. Der Vater hat eine grausame Art, Tiere zu schlachten. Er bringt auch Igel um und frisst sie auf, oh ja. Eine kabylische Tradition. Und es ist nicht einmal leicht, einen Igel zu töten, weil man Igel hinter ihren Stacheln so schlecht erwischt. Der Vater stößt sein Jagdmesser hinein und dreht es herum bis der Igel tot ist. Wenn die Stacheln ab sind, bleibt fast nichts über. Katy hasst die Kabylen für diese Morde. Ihr Vater ist ein echter Wilder. Und trotzdem kommt es vor, dass sie ihm Sachen abschaut. Zum Beispiel dass sie sich das Gesichtchen mit seinem Rasierschaum einpinselt. Das darf keiner mitkriegen, Katy ist ja nicht blöd. Als sie sich einmal unbeaufsichtigt an seinen Ricard vergreift, holla, eine scharfe Nummer. Zu bescheuert! Katy schenkt sich zwei Tassen des gelblichen Likörs ein und merkt zu spät, dass auf der Flasche Markierungsstriche sind, verflucht! Katy kippt einen kleinen Rest zurück und streckt die fehlende Menge mit Wasser. Scheiße, der Ricard wird fast weiß! Voll ins Klo gegriffen madre mio. Was jetzt? Und natürlich tritt ein, was kommen muss. „Wer hat meinen Ricard geklaut?“, grölt der Vater, „wer von euch hat das verbrochen?“ „Die Mutter, die Mutter...“ feixt Katy und kichert angeschickert. „Du Miststück. Du verkommene Schlampe! Dem eigenen Gatten den Likör weg saufen!“ Der Vater holt wutentbrannt aus. Aber bevor seine Faust im Kreuz der Mutter landet ertönt ein zitterndes Stimmchen. „Sie war es nicht. ich war es, ich.“ Wumm, der Vater packt Katy bei den Haaren und knallt sie mit Karacho vor die Wand. Er greift sich die Kleine nochmal und schleudert sie in einem Schwung ins Schlafzimmer. Wie ein Stück Scheiße, paff. Über den rauen Boden geschrappt und massig Staub geschluckt - jetzt muss sich Katy erst wieder einkriegen. Schluchz. /// Das wird wieder, Kleine, das wird. Katy, das Herzchen, die liebe Seele. Zum Trost nimmt sie sich selbst in den Arm. Dabei fällt ihr ein, wie sie noch ganz klein war, hat sie mit dem Löffel ein Loch unter dem Fenster aufgekratzt, um von ihrer Drecksfamilie abzuhauen. Sie wollte sich einfach durchgraben. Bis zum Fenstergriff reichte sie noch nicht hoch. Da war ich doch recht schlau, denkt Katy, aber nicht schlau genug. Die Larve hat die Aktion natürlich geblickt und die Katy für zwei Tage in den Schrank gesperrt. Wenn es bei der Familie Ben Ali kracht, dann bleibt kein Auge trocken. Die fette Larve hat ihre Methoden. Weil sie dick ist und hinkt, hängt sie meistens rum wie eine Bettwurst. Aber ab einem bestimmten Punkt kocht sie hoch. Das Geschrei und Gejohle ihrer Brut macht sie fertig. Und je mehr sie hoch kocht, umso verrückter wird sie. Und wenn sie schließlich komplett durchknallt, schmeißt sie ihre Hausschuhe durch die Gegend oder was sie sonst zu fassen bekommt: Pantoletten, Gabeln, Messer, Nippes. Und die zielt noch nicht mal schlecht, irgendeinen erwischt das Weib immer mal. Besonders gemein ist, wenn die Alte Katy mit dem Besen am Kopf trifft - das gibt eine dicke Beule, groß wie ein Kinder Schoko-Ei.

      Dschungelkind im Schnee

      Le Havre, Juni1967 /// Katy stürmt in die Küche, wirft sich heulend an den Tisch und knallt den Schulranzen auf den Boden. Mit einer wütenden Armbewegung fliegen sechs klebrige Kaffeeschalen hinterher, klatsch. Die sind hin. Der Griff ins Klo. Katy ist so was von angefressen, am Nachmittag noch nichts aufgeräumt. Reste vom Frühstück. Reste vom Mittagessen. Als wäre es sonst anders in dieser Gammel-Bude, wenn Katy es nicht macht. Von der Mutter ist da nichts zu erwarten. Katy wischt sich den Rotz von der Oberlippe, sammelt die Scherben ein, schleppt den überquellenden Mülleimer in den Hof zu den riesigen Containern. Holla, da kann man sein Leben richtig hassen. / „Du tickst doch wohl nicht ganz sauber,“ ihre Mutter, die fette Larve, blickt kurz auf als Katy zurückkehrt und die Wohnungstür öffnet. „Mutter, du bist schuld! Du bist an allem schuld, Mutter!“ „Katy, halt die Schnauze!“ Und während die Mutter dem glücklichen Ende ihres neuen Liebesromans entgegenfiebert, macht sich Katy an die Hausarbeit. Ab ins Badezimmer. Im Waschbecken das Geschirr von gestern spülen. Abtrocknen. Betten machen. Kar-toffeln schälen. Für die anderen ist alles scheißegal. Für Katy nicht. Sie ackert und ackert, obwohl sie schon ganz kaputt ist. Zum Schluss noch fegen. Alles ist voll von Staub, festgefressenem Dreck, Fett. Später für Vaters Abendessen Couscous quellen lassen. Nebenher quasselt der Fernseher über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsunion am morgigen 1.Juli - Katy versteht nur Bahnhof. Wenn keine Musik kommt, stellt sie ihre Lauscher auf Durchzug. Der Wetterbericht verspricht einen lauen, frühsommerlichen Abend und einen sonnigen Tag morgen. Im Radio läuft der Sportbericht mit einer Reportage über die 18. Dingsbums Weltmeisterschaft in Le Mans am Sonntag. Großer Preis von Frankreich, zig Runden auf dem Bugatti Soundso. Diese furchtbaren Wörter immer, die quasseln sich einen ab im Radio - versteht keiner. Das wäre der Hit für die Brüder, wenn sie in Le Mans beim Autorennen zuschauen könnten. Bloß, dafür wird der Vater seine DS nicht anwerfen. Der steht auf Pferdewetten und die hat er auf dem Fernseher in seiner Stammkneipe. / Wenn Katy nur wüsste, um welche Uhrzeit der Vater heimkommt. Jeden Tag derselbe Aufstand. Sollen sie vorher essen oder besser auf ihn warten.

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