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das Band ab. Die Bilder erschienen wieder vor meinem inneren Auge und ich befand mich mehr dort als hier und hatte Tränen in den Augen, als ich auf meine verträumte Stimme lauschte.

      ‘Ich trage eine... Uniform. Wir kommen in Warna an. Noch jung, vielleicht achtzehn und ich habe braune Haare. Mein Name ist Adam…’

      Nach der Beschreibung des kurzen Lebens eines britischen Soldaten während des Krimkrieges, der an gebrochenem Herzen litt und sich deshalb absichtlich in Schusslinie begeben hatte, fand ich mich auf einmal an einem noch fremdartigeren Ort wieder.

      Hügel mit spärlichen, rauen Grasbüscheln breiteten sich rings um mich herum aus. Aber nicht dort wo ich stand. Hier umgaben mich prachtvolle, farbige Blüten, gepflegte Rasenflächen, Springbrunnen und Bäume.

      Ich sah eine junge Frau mit hellbraunen, geflochtenen Haaren, schön, wenn auch ungewöhnlich, mit grünen Mandelaugen und hohen Wangenknochen. Sie hieß Nusrat, die junge Frau. Das wusste ich einfach. Ich wusste auch, dass ich selbst irgendwie Nusrat war.

      Sie saß auf einer geschnitzten Bank an einem klaren Fischteich, in dem sich Blätterschatten im Sonnenlicht spiegelten. Mandarinenten zogen ihre Kreise. Der Garten war von hohen Mauern umgeben.

      Im Alter von fünfzehn Jahren fand ich mich selbst ziemlich unhübsch. Aber ich wusste einfach, dass ich es war, die auf dieser Bank saß. Ich konnte das Holz fühlen, roch den würzigen, harzigen Duft.

      Es gab da eine gewisse Ähnlichkeit zwischen uns. Ihr Haar war auch hellbraun. Nur meine Augen waren graublau und kein bisschen mandelförmig. Leider hatte ich auch nicht ihre vollen Körperformen. Ich besaß den schlanken Körper eines Teenagers, der Sport liebte. Besonders Rudern.

      Nusrat trug ein farbenfrohes Wickelgewand aus bestickter Seide und ziemlich viel teuer aussehenden Schmuck. Ich selbst trug als Schmuck nur einen billigen Anhänger aus grünem Glas an einem dünnen Lederband um den Hals. Teurer Schmuck bedeutete mir nichts. Mir gefiel einfach, wie Sand und Meereswellen das Glas rund geschliffen hatten. Ich versuchte mich wieder auf die Tonaufnahme zu konzentrieren und der Raum um mich herum verschwand im Hintergrund.

      ‘Ich höre Radschput. Radschput,’ sagte ich auf Deutsch. ‘Imran ist ein Freund aus Kindertagen. Wir haben manchmal heimlich draußen vor den Dorfmauern mit Pfeil und Bogen gespielt. Ich bin ein Mädchen und er gehört nicht zu unserer Kaste, aber wir sind noch so jung. Nicht einfach… die Dienstboten passen auf, aber wir sind gewitzt.’

      Ich konnte fühlen, wie ich innerlich lächelte, als ich die Worte aussprach. ‘Mein Vater ist großzügig. Er hat keinen Sohn und lehrt mich sogar mit dem Khanda Schwert zu kämpfen. Mein Pferd heißt Kalyan. Wir gehören einem wichtigen Zweig des Klans an.’

      Danach entstand eine Pause. Da war dieser junge Mann, mit dem ich mich unterhielt und der Imran hieß. Ich wusste einfach was gesagt wurde. ‘Wir sprechen. Es gibt ein Problem. Ich bin sechzehn und muss bald heiraten. Es geht um die Ehre der Familie. Ich bin die einzige Tochter.’ Sie war nur ein Jahr älter als ich, sah aber schon fast erwachsen aus. Und Nusrat musste heiraten!

      ‘Was bedeutet Radschput?’ fragte Dr. Albrecht ruhig auf Band.

      ‘Ich weiß nicht… unsere Familie, unser Klan… Krieger… Adelige vom Chandra Vamsch,’ stammelte ich, dann fuhr ich in einer fremd klingenden Sprache fort.

      ‘Die Villa gehört meinem Vater und Dienstboten halten sich im Schatten der Bäume auf, um ein Auge auf mich zu haben. Die Schatten werden schon länger.’ Was ich da gesagt hatte wusste Dr. Albrecht noch nicht, weil er natürlich nichts verstanden hatte. Ich sprach ja Ausländisch.

      “Können Sie denn noch verstehen, was Sie da sagen?” Dr. Albrecht stoppte die Aufnahme und sah mich erwartungsvoll an.

      “Ich weiß nicht, ob man das ‘verstehen’ nennen kann. Ich weiß es einfach.” Besser konnte ich es nicht erklären. Die Worte klangen guttural. Da waren Gefühle. Traurigkeit, Herzschmerz… ich hatte einen Kloß im Hals. Davon erzählte ich dem Therapeuten aber nichts. Es war mir ungeheuer peinlich. Diese ganzen Gefühle.

      Die Kassette spielte weiter. ‘…darf dich nicht länger sehen,’ brachte ich gequält hervor. ‘Mein Vater hat uns ein letztes Treffen erlaubt.’

      Der junge Mann trug einen einfachen weißen Turban auf dem Kopf, wie es sich ziemte. Ein langes, weißes Seidenhemd, dunkle Brokatweste und weite Hosen. Unerfüllte Leidenschaft…

      “Imran stammt aus einer guten Mogulen-Familie und wir lieben uns. Jedenfalls denken wir das,” erklärte ich Dr. Albrecht.

      Was wusste ich schon von Leidenschaft? Renate hatte wenigstens schon Erfahrung mit Küssen. Ich wurde rot. Dr. Albrecht bemerkte mein Unbehagen und hielt die Kassette an. “Möchten Sie weitermachen oder wird es zu schwierig?”

      “Ich weiß nicht. Man kann das nicht so genau übersetzen.”

      “Das ist ja auch gar nicht notwendig. Ich will ja nur wissen, um was es so ungefähr geht. Wollen es mir sagen?”

      “Ja Ok. Ich kann ihn nicht länger sehen, weil ich heiraten muss.”

      “Aha.” Dr. Albrecht schrieb und schrieb. Die Kassette lief. Es war eine Weile still. Ich konnte mich atmen hören und Imrans Stimme. Ich werde sterben, wenn dein Vater darauf besteht.’ Imrans Ton war zornig. Seine nußbraunen Augen blitzten.

      ‘Wir haben nichts dabei zu sagen. Das weißt du doch. Unsere Sitten sind anders. Du bist Moslem. Wir dürfen nicht heiraten. Ich bin Mansur versprochen und muss mich an das Gesetz des Klans halten.’

      ‘Was sehen Sie jetzt?’ wollte Dr. Albrecht auf Band wissen. ‘Versuchen Sie es zu beschreiben.’

      Die Worte machten nicht mehr so viel Sinn. ‘Bin mir nicht sicher. Er ist wütend.’ Ich redete wieder auf Deutsch. Dann wurde es still. Ich war zu sehr mit Imran beschäftigt. Die Kassette surrte.

      ‘Dann werde ich Mansur herausfordern müssen – zu einem Duell,’ sagte Imran hitzköpfig. ‘Ich werde dich nicht aufgeben. Nicht an einen Mann, den du nicht liebst.’ Hey, das war ja hochromantisch. Ein Duell!

      ‘Nein, Imran, Mansur ist ein guter Mann. Sie werden dich umbringen. Dann kommt es zur Blutfehde. Willst du das?’

      ‘Dann muss ich eben fortgehen und vor Einsamkeit sterben.’

      Imran legte seine Hand auf meine Schulter und schoss einem der Dienstboten mit dem Namen Pratap, einen kommandieren Blick zu. Pratap hielt sich in unserer Nähe auf, um mich zu beschützen. Um wie seit meinen Kindestagen meine Ehre zu schützen. Der graubärtige Mann zog sich weiter in den Baumschatten zurück.

      Swisch, Klick. Der Doktor hielt die Kassette an. Er fragte was ich erlebt hatte und kritzelte Notizen auf seinen Schreibblock.

      “Hochinteressant. Dass Sie das noch verstehen können…,” staunte er. “Mein erster Fall von Xenoglossie. Das muss ich im Wörterbuch nachsehen – dieses Wort Radschput, das sie erwähnen. Dann noch Mogulen und Chandra Vamsch. Möglicherweise ist das in Indien… Wirklich hochinteressant.”

      Über Indien hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht. Lag das nicht irgendwo bei China? Wo genau lag China?

      “Kennen Sie diesen jungen Mann Imran?”

      “Nein, ich kenne ihn nicht,” erwiderte ich bestimmt.

      Dr. Albrecht meinte damit die Möglichkeit, dass ich Imran in der Gegenwart als eine andere Person erkannte. Die Frage war bei dieser Art von Hypnose üblich.

      Zum Beispiel hatte ich einfach gewusst, dass ein Kamerad aus dem Krimkrieg einer meiner jetzigen Lehrer war. Einer von zwei Lehrern, die ich einigermaßen mochte. Ich kann nicht sagen, ob es die Augen waren oder der Gesichtsausdruck. Ich wusste es einfach. Das würde komisch werden in der Schule, wenn ich ihn wiedersah. Leider war mir dieser Imran noch nicht untergekommen. Schade, er sah wirklich gut aus.

      Ich war in Gedanken vertieft, als ich die Praxis von Dr. Albrecht verließ. Wie verabredet

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