Скачать книгу

Einwand gleich zu Beginn abzuschneiden. „Aber was können wir tun, um unsere Lage zu wenden?“ Er schaute zunächst Albanus streng und vorwurfsvoll in die Augen, sodass dieser die Luft wieder entweichen ließ, die er gerade eingesogen hatte, um lautstark zu protestieren. Dann blickte er zu seinem Sohn und den übrigen Ratgebern. „Ich will euch sagen, was zu tun ist“, fuhr Vortigern fort, nachdem er das betretene Schweigen einige Augenblicke genossen hatte. „Wir müssen die Einigkeit unserer Feinde zerstören und sie gegeneinander kämpfen lassen.“

      „Wie willst du das anstellen?“, platzte Vortimer heraus. Auch Albanus und Muirdoch reckten angriffslustig die Hälse vor.

      „Wir rufen die Sachsen übers Meer“, antwortete Vortigern ruhig.

      Lauter Widerspruch erhob sich, aber Vortigern hob wieder die Stimme und übertönte die Rufe der Ratgeber. „Wir geben ihnen Silber und etwas Land an der Küste. In Ruohim, was ihrem Land ähnlich ist und auch genau gegenüber liegt. Da haben wir sie stets unter Kontrolle. Von dort können wir sie gegen die Pikten senden und auch ihre Stammesgenossen werden es nicht mehr wagen, über unsere Küsten herzufallen oder in die Thamesa einzudringen und unsere Dörfer zu plündern. Und falls doch, müssen sie sich mit ihresgleichen schlagen. Es wird billiger für uns, die sächsischen Piraten zu bezahlen, als von den Pikten einen brüchigen Frieden zu erkaufen, zumal wir so alle unsere Feinde auf einmal beschäftigen. Und wenn viele von ihnen im Kampf fallen? Dann wird es nur billiger. Zumal wir sie mit der Beute der Pikten aushalten können.

      Ich habe lange nachgedacht: Pikten, Skoten und Iren sprechen, wie wir alle, ähnliche Sprachen. Wenn wir eines dieser Völker auswählten, würden sie sich bald einigen und ihre Waffen gemeinsam gegen uns richten. Das Gegrunze der Sachsen hingegen versteht niemand und so werden sie uns allein zu Diensten sein!“

      Vortigern beobachtete zufrieden die Mienen seiner Ratgeber.

      Muirdoch saß mit offenem Mund da und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und selbst aus Albanus’ Gesicht war der ständige leicht herablassend-spöttische Ausdruck für einen Augenblick gewichen. Aber restlos überzeugt war er nicht.

      „Ich hoffe, du weißt, was du tust, Vortigern“, sagte er gedehnt. „Die Sachsen sind eine Plage Gottes und nicht durch Heer oder Kraft soll es geschehen …“

      Vortigern runzelte die Stirn. Dieser Griesgram.

      Doch da fiel ihm schon sein Sohn Vortimer ins Wort. „Du bist der einzige Hochkönig von Britannien!“, rief er aufgeregt.

      Oceanus Germanicus, Juni 441

      Ordulf

      Schon dreieinhalb Tage waren sie gerudert, mal in sengender Sonne gegen die Flut, dann wieder mit frischer Kraft, wenn die Sonne sank und der Strom zu ihren Gunsten kenterte.

      „Sieh nur“, raunte Ordulf Thiadmar zu. „Hengist steht unermüdlich am Ruder. Als wäre er in Erz gegossen.“ Voll Bewunderung blickte er auf den berühmten Seesachsen.

      „Wetter und Müdigkeit scheinen für ihn Worte ohne Bedeutung zu sein“, nickte der junge Haduloher.

      Hengist steuerte die Heritog immer dicht unter Land und die Gefährten in den anderen Schiffen folgten in mehr oder weniger großer Entfernung. Am Abend landeten sie stets auf einer kleinen Insel oder an einem unbewohnten Abschnitt der Küste. Der inzwischen fast volle Mond spiegelte sich bis an den Horizont in den grauen Wellen. Mit Ausnahme der kurzen Begegnung mit den Friesen hatten sie kaum jemanden zu Gesicht bekommen. Ihr Anblick schlug alle kleineren Schiffe und die Küstenbewohner in die Flucht.

      Wahrscheinlich, überlegte Ordulf, hatte sich die Nachricht, dass Hengist selbst zur See fuhr, wie ein Lauffeuer an der friesischen Küste verbreitet. Der Gedanke erfüllte ihn mit Stolz und eine Woge der Loyalität zu seinem neuen Herrn und Heritog durchströmte ihn.

      Inzwischen hatte sich Ordulf mit einigen Schiffsgenossen angefreundet. Der Gefährte des finsteren Gerolf auf der Ruderbank vor ihm hieß Ypwine. Beide waren schon zu Zeiten von Witgis auf dem späteren Hengisthof geboren und nachdem sie aufgehört hatten mit Hengist zu spielen, waren sie seine Gefolgsleute geworden. Beide waren mit ihm in Friesland gewesen. Ganz anders als Gerolf war Ypwine ein stiller, etwas zurückhaltender, aber durchaus freundlicher Zeitgenosse. Ordulf schien es, als wäre er lieber als Bauer in Haduloha geblieben als auf einen Raubzug nach Britannien zu fahren. Für Ordulfs eigenen Rudergenossen Thiadmar war es ebenfalls die erste Fahrt in die Fremde.

      „Ob wir heute Abend schon Britannien erreichen?“, richtete Ordulf eine Frage an die beiden erfahrenen Gefährten vor sich.

      „Will ich hoffen, hier auf der offenen See können wir schließlich nicht bleiben“, knurrte Gerolf düster.

      Am Morgen hatte Ceretic, nach sorgsamer Musterung der Küste, den Kurs auf die offene See hinaus gewiesen. Kurz vor Mittag versank schließlich der letzte Streifen Festland achtern in den Wogen. Das machte selbst erfahrene Seeleute wie Ypwine und Gerolf nervös.

      Doch nicht lange nach dem kurzen Gespräch tauchte vor ihnen endlich das ersehnte Land aus der diesigen See. Hengist selbst entdeckte es zuerst.

      „Vor uns liegt Britannien. Ruhm, Ehre und Silber warten auf euch, Männer“, rief er ermutigend.

      Die Schlagleute setzen aus und alle drehten sich aufgeregt um.

      „Britannien!“, rief auch Gerolf und Ordulf meinte Erleichterung in dem Wort mitschwingen zu hören. Er selbst konnte noch nichts erkennen, aber am späten Nachmittag setzte Hengist die Heritog bei ablaufendem Wasser tatsächlich auf den Sand eines neuen Ufers. Bald schob sich ein zweiter Kiel daneben. Es war die Heldir, was soviel wie „Held“ bedeutete, womit Hengist sich in früheren Tagen ebenfalls selbst betitelt hatte. Zuletzt kam die Selah der Keydinger. Dieser Name bedeutete schlicht und einfach „Seehund“ und stand, soweit Ordulf wusste, in keinem engeren Bezug zu dem Eigner des Schiffes.

      „Das ist die Insel Ruohim. Meine Heimat“, verkündete Ceretic stolz.

      Soweit Ordulf erkennen konnte, lag vor ihnen ein völlig unberührter Strand, der zum Land hin durch hohe dornenbestandene Sanddünen abgeschlossen war. Ceretic wies mit der Hand nach Westen. „Dort liegt der Wantsum und auf der anderen Seite der Ort Rutupiae.“

      Ordulf hörte gebannt zu, als Ceretic über das neue Land berichtete und versuchte sich alles zu merken. Er kniff die Augen zusammen und schaute suchend in die angegebene Richtung, doch so sehr er sich auch mühte, Rutupiae entdeckte er nicht.

      „Auf Männer, genug herumgelungert. Wir gehen an Land!“, ließ sich da Hengist lautstark vernehmen.

      Ordulf griff nach seinem Schild und sprang hinter Hengist ins niedrige Wasser. Sie wateten langsam, mit erhobenen Schilden, durch den feuchten Sand zum Ufer. Tang und Treibholz markierten die Flutwasserlinie, die sie ohne Gegenwehr erreichten.

      „Wir müssen König Vortigern von unserer Ankunft unterrichten“, bemerkte Hengist. „Wohnt er in einer dieser grauen Hallen dort drüben?“

      Anscheinend konnte Hengist mehr erkennen als Ordulf, denn er selbst sah immer noch nicht mehr als einen dunklen Schatten am Horizont, der sowohl Land als auch eine Wolke sein konnte.

      Doch Ceretic lachte nur. „Dort soll Vortigern wohnen? Nein. Das sind nur die Römerruinen von Rutupiae. Wenn wir Glück haben, hält sich Vortigern in Durovernum auf. Ein ganzes Stück im Landesinneren, aber immer noch viel dichter als Londinium.“

      Ordulf war bei einem der ersten Wörter hängen geblieben. Hatte Ceretic tatsächlich Römerruine gesagt? Von den Römern und ihrem sagenhaften Reichtum, der Macht ihrer Heere und einer unglaublich großen Stadt, in einem Land, in dem es immer Sommer war, hatte er vernommen. Bisher war ihm das alles wie ein Märchen vorgekommen. Und hier sollten diese geheimnisvollen Römer nun tatsächlich Spuren hinterlassen haben?

      Ruohim, Juni 441

      Ceretic

      „Ich werde selbst gleich morgen früh aufbrechen, um König Vortigern von unserer Ankunft zu unterrichten“, schlug Ceretic vor, als er wenig später mit Hengist und den übrigen Anführern

Скачать книгу