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auf. Die Kamera gehörte Simon, er hatte das Foto von dem Ölgemälde gemacht und er hatte die Kamera später im Wagen vergessen. Colettes Fehler war es, dass sie aus Versehen einfach alle Fotos, die sich auf der Kamera befanden, an Florence versendet hatte. Sie ärgerte sich, dass sie die Bilder nicht sofort kontrolliert hatte. Sie biss sich auf die Unterlippe. Die Sache mit dem Ölgemälde konnte harmlos sein, Simon konnte das Bild in einem Museum oder einer Ausstellung entdeckt haben und hatte es einfach nur aus Interesse fotografiert. Es konnte aber auch sein, dass es sich um das Bild eines Kunden handelte. Sie überlegte, was sie Simon sagen sollte. Es war ihr klar, dass alles, was mit dem Kunst- und Auktionshaus Blammer im Zusammenhang stand, immer einer gewissen Diskretion unterlag. Es war sicherlich nicht sehr schlimm, dass Florence diese Aufnahme von dem Ölgemälde erhalten hatte, aber es hätte nicht vorkommen dürfen. Sie sah sich jetzt die anderen Bilder an, die mit Florence Mail gekommen waren. Sie öffnete die Dateien am Bildschirm. Die Fotografien schienen schon sehr alt zu sein. Auf dem ersten Foto stand eine Gruppe von Menschen vor einem Fischerboot. Einige Kinder hatten sich hingehockt. Auf dem zweiten Bild waren nur Kinder zu sehen, die vor einer Holzbaracke, vermutlich einem Kaufmannsladen warteten. Florence hatte auf beiden Fotografien eine der Personen mit einem Kreis gekennzeichnet. Es war ein kleines Mädchen, das auf dem einen Bild einen Sonnenhut trug und auf dem anderen ohne Kopfbedeckung zu sehen war. Colette zoomte den Ausschnitt näher heran. Die Kleine hatte langes, vermutlich dunkelblondes Haar. Es dauerte einige Sekunden, bis Colette in dem Mädchen das Kind auf dem Ölgemälde erkannte, dann war es ihr aber eindeutig klar. Sie öffnete noch einmal das Foto von dem Ölgemälde, um ganz sicher zu gehen. Es war tatsächlich so. Noch ganz fasziniert ging sie wieder auf die Mail ihrer Freundin und las noch einmal den Teil der Nachricht, den sie anfangs nicht verstanden hatte.

       ...mir war gleich klar, dass ich dieses Gesicht schon einmal gesehen habe. Es gibt eine ganze Ausstellung mit diesen alten Fotografien. Die Bilder hängen jetzt bei uns im Krankenhaus und ich bin losgezogen und habe diese beiden Aufnahmen gefunden. Es ist doch erstaunlich. Der berühmte Paul Gauguin hat das kleine Mädchen gemalt und ich finde eine Fotografie von ihr, sie muss auf Hiva Oa gelebt haben...

      Colette stutzte. Die Aufnahme von dem Ölgemälde war noch im Hintergrund ihrer Bildschirmanzeige geöffnet. Sie holte es in den Vordergrund und suchte die Bildränder nach der Signatur ab. In der rechten unteren Ecke wurde sie fündig, »Paul Gauguin, 1902, Julie des Bois«. Colette war sich der Bedeutung von Florence Entdeckung nicht sicher. Vielleicht war es etwas, das Simon bereits wusste, vielleicht hatte aber auch der Zufall neue Informationen ans Tageslicht gebracht. Sie überlegte kurz, dann wanderte sie mit der Maus quer über den Monitor und drückte auf die Schaltfläche Weiterleiten. Sie wählte Simons Geschäftsadresse aus dem Verzeichnis und übertrug sie in die Mail. Bevor sie die Nachricht versendete, schrieb sie noch eine kurze Erklärung.

      *

      Das Timing wollte es, dass Heinz Kühler an diesem Nachmittag wieder in München landete und per Handy sofort ins Büro beordert wurde. Er hatte keine Wahl, obwohl er eigentlich direkt nach Hause fahren wollte. Eine knappe Stunde nach dem Anruf stand er schon vor der Tür seines Chefs und wurde von Frau Hoischen ohne weitere Ankündigung durchgewunken. Simon hatte bereits einiges vorbereitet. Auf dem Besprechungstisch standen gleich zwei Beamer mit angeschlossenen Laptops. Vor dem Tisch war eine Leinwand aufgebaut, auf der sich bereits die beiden Lichtkegel der Beamer abzeichneten.

      »Setzen Sie sich.«

      Heinz Kühler kam der Aufforderung wortlos nach. Sein Chef zog sich ebenfalls einen Stuhl heran und setzte sich zu ihm an den Besprechungstisch. Mit zwei Fingern stellte er die Bildschirmansicht am ersten Laptop ein. Das auf die Leinwand geworfene Licht flackerte auf und zeigte nach weniger als einer Sekunde die Oberfläche des Betriebssystems mit den Icons des Desktops an. Das Gleiche führte er mit dem zweiten Laptop durch. Dann ging er wieder an das erste Gerät. Auf der rechten Leinwandseite huschte der Mauszeiger über den Bildschirm. Simon öffnete einen der Ordner und klickte auf eine Datei aus der angezeigten Liste. Wieder verging eine halbe Sekunde, bis sich schließlich ein Bild öffnete und den rechten Teil der Leinwand einnahm. Es war das Ölgemälde, der Gauguin, dem Heinz Kühler in den letzten Tagen in London nachgejagt war.

      »Und jetzt passen Sie auf«, kündigte Simon an.

      Er griff in die Tastatur des zweiten Laptops und öffnete auch hier eine Datei, die jetzt auf der linken Leinwandseite angezeigt wurde. Das Bild war zunächst sehr klein. Simon ging mit dem Mauszeiger auf das Menü und aktivierte die Vollbildanzeige. Die Wiedergabe dauerte eine Sekunde, dann war aber auf der Leinwand ein zweites Foto zu sehen. Es war eine Schwarzweiß-Aufnahme. Es zeigte eine Gruppe von Männern, Frauen und Kindern, die links und rechts neben einem Boot standen oder vor dem Rumpf des Bootes hockten. Um das Gesicht eines der Kinder war ein schwach zu sehender Kreis eingezeichnet. Heinz Kühler wusste zunächst nicht, was er da sah. Er verglich instinktiv die Fotografie mit dem Bild des Ölgemäldes. Die Gemeinsamkeiten waren der Strand und auch das Fischerboot. Die markierte Person beachtete er zunächst nicht. Simon zoomte die Personen auf der Fotografie näher heran. Heinz Kühlers Augen wanderten weiter zu dem Ölgemälde und zurück auf das Schwarzweiß-Foto. Er stand auf und ging extra ganz dicht an die Leinwand heran.

      »Sie ist es. Das sehen Sie doch auch, oder?«, sagte Simon euphorisch.

      Heinz Kühler drehte sich zu seinem Chef um und nickte nur. Dann sah er sich wieder die Bilder an.

      »Das Foto wurde von einem Victor Jasoline aufgenommen«, erklärte Simon, »einem französischen Offizier, der um die Jahrhundertwende auf Tahiti und den Marquesas stationiert war und der wohl nebenbei fotografiert hat.«

      »Woher haben Sie das?«, fragte Heinz Kühler.

      »Ein Zufall!« Simon räusperte sich. »Meine Frau hatte Besuch von einer Freundin. Sie erinnern sich vielleicht, es war vor gut drei Wochen, meine Frau ist noch hier ins Büro gekommen und hat sich den Schlüssel von meinem Wagen geholt. Wir haben die Autos getauscht, weil sie ihre Freundin samt Gepäck vom Flughafen abholen wollte. Also diese Freundin ist wie meine Frau Französin, nur dass sie nicht in Frankreich lebt, sondern in der Südsee. Tahiti und die Marquesas gehören auch zu Frankreich, Sie verstehen.«

      »Und die Schwarzweiß-Aufnahme kommt von dieser Freundin?«, griff Heinz Kühler seinem Chef vor.

      »Richtig, aber es geht ja noch weiter«, sagte Simon. »Es klingt wie im Film. Meine Frau und ihre Freundin sind zwei Tage zusammen in München unterwegs, mit dem Cabriolet meiner Frau. Sie findet im Handschuhfach meine Kamera, die ich dort vergessen habe, weil wir doch die Wagen getauscht hatten. Auf der Kamera befand sich noch die Fotografie des Ölgemäldes. Am selben Tag, an dem auch die Freundin meiner Frau in München angekommen ist, hat uns nämlich Herr Linz das Gauguin-Gemälde präsentiert, es war tatsächlich am selben Tag. Ich habe das Gemälde fotografiert, eben mit der Kamera, die ich dann im Cabriolet vergessen habe. Meine Frau findet also die Kamera und macht fröhliche Ausflugsbilder. Ihre Freundin lebt immerhin fast fünfzehntausend Kilometer von hier entfernt. Per Mail schickt sie die Bilder, zu den Marquesas, alle Bilder, die auf der Kamera waren, auch die Aufnahme von dem Ölgemälde. Sie hat es gar nicht gemerkt, dafür aber ihre Freundin. Die heißt übrigens Madame Florence Uzar und lebt auf einer Insel namens Nuku Hiva, schon einmal davon gehört?«

      Heinz Kühler schüttelte mit dem Kopf. Er überlegte. »Marquesas, Nuku Hiva«, wiederholte er. »Herr Brahm hat doch von einer Insel namens Hiva Oa erzählt, Gauguins Insel.«

      »Ganz richtig, Hiva Oa gehört auch zu den Marquesas, aber egal. Madame Uzar sieht das Ölgemälde, was eigentlich nicht in unserem Sinne ist, schließlich sollten wir die ganze Angelegenheit ja diskret behandeln. Unser Glück ist nur, dass Madame Uzar das kleine Mädchen schon einmal gesehen hat und zwar auf diesem Foto hier. Ich habe sogar noch eine weitere Fotografie, auf der sie abgebildet ist. Die alten Aufnahmen stammen aus einer Ausstellung. Madame Uzar konnte dann auch noch herausfinden, wer der Fotograf war. So sind wir an den Namen Victor Jasoline gekommen.«

      »Dann hätte ich mir London ja sparen können«, sagte Heinz Kühler. »Gibt es auch eine Aufnahme, die Gauguin zusammen mit dem Mädchen zeigt, dann hätten wir nämlich einen guten Herkunftsnachweis, wenn wir beweisen können, dass Gauguin

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