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Meer zu blicken. Es gab Plätze, von denen aus sie Ua Pou sehen konnte, zwar nur ganz schwach, aber wenn man wusste, wo die Insel lag, dann war es auch einfach sie am Horizont auszumachen.

      *

      Florence saß wieder in der Abflughalle und sah sich ihre Notizen aus Paris an. Sie dachte über ihre Reise nach, über die vergangenen drei Wochen. Die erste Woche war noch sehr anstrengend gewesen. Die Tage waren lang. Der Messebesuch, das lange Laufen durch die Messestände, die unzähligen Gespräche mit den Firmenvertretern. Auch abends war das obligatorische Treffen mit den Delegationsteilnehmern nur die ersten Tage eine Abwechslung. Die zweite Woche war schon angenehmer. Sie hatte sich an alles gewöhnt. Vor allem störte sie die Zeitverschiebung nicht mehr so sehr. In der zweiten Woche war sogar ein ganzer Tag für einen Ausflug nach Versailles reserviert. Obwohl viele Teilnehmer den Ausflug mitmachten, bot sich hier die Gelegenheit, auch einmal allein in den weitläufigen Gärten spazieren zu gehen und etwas zu entspannen. An diesem Tag war das Wetter für Mitte März sogar überraschend gut.

      Florence steckte die Schreibmappe in ihre Tasche zurück. Auf dem Tisch vor ihr lagen einige tahitianische und polynesische Magazine. Die Zeitungen hatten fast alle einen Lokalteil, der neben Bora Bora, Moorea und weiteren Archipelen auch über die Marquesas berichtete. Sie musste schmunzeln. Ein Artikel handelte über die missglückte Anlandung eines Geländewagens. Das Fahrzeug sollte von einem Lastenponton auf den Quai gefahren werden und war dabei abgerutscht. Die Hinterachse war bei dem Aufprall gebrochen. Der Eigentümer des Neuwagens hatte daraufhin die Annahme verweigert. Florence las auch über die archäologischen Ausgrabungen, die seit einiger Zeit auf den Marquesas durchgeführt wurden. Es handelte sich dabei um die Freilegung alter Kultstätten und Steinskulpturen. Es wurde regelrecht ein Programm ins Leben gerufen, das auch dazu diente, die Inseljugend mit den Ausgrabungs- und Freilegungsarbeiten zu beschäftigen.

      Eine halbe Stunde später saß Florence bereits im Flugzeug. Die Turboprop-Maschine nahm schnell Fahrt auf. Nach vielleicht dreihundert Metern hob sie ab. Die Maschinen, mit denen die Tahiti Nui flog, waren vielseitig einsetzbar. Nicht immer wurden ausschließlich Passagiere mitgenommen. Oft bestand die Ladung sogar größtenteils aus Fracht, mit denen die Marquesas versorgt wurden. Heute war kein Touristentag, an dem die Maschine in der Regel voll besetzt war. Neben Florence waren nur neun weitere Passagiere an Bord. Die hinteren Sitzreihen waren herausgenommen und der entstandene Stauraum mit Kisten und Kartons ausgefüllt worden. Spanngurte sicherten die Ladung und ein kleiner Vorhang trennte die Fluggäste von der Fracht. Die Tragflächen, an denen die beiden Propellermotoren befestigt waren, lagen über der Kabine, sodass der Blick aus dem Fenster frei war. Aus der Luft wurde noch einmal die endlose Weite des Pazifiks deutlich, in der sich die Inseln Polynesiens verloren. Der Flug auf die Marquesas dauerte viereinhalb Stunden. Florence hing gerade ihren Gedanken nach, als ein Mitreisender auf dem Platz vor ihr die Inseln entdeckte. Schräg voraus war die Ausdehnung der gut zehn Hauptinseln zu sehen, vom Süden her, beginnend mit Fatu Hiva. Etwas weiter südöstlich folgte das berühmte Hiva Oa mit dem Ort Atuona. Hier lagen die Gräber des Malers Paul Gauguin und des belgischen Chansoniers Jacques Brel. Atuona war auch das erste Ziel, das die Maschine der Tahiti Nui anflog. Der Aufenthalt sollte keine zehn Minuten dauern. Passagiere stiegen weder ein noch aus, lediglich die Fracht wurde um zwei Kisten erleichtert. Florence war sitzen geblieben und beobachtete die Leute auf dem Flugfeld. Sie atmete die warme, feuchte Luft ein, die durch die offene Kabinentür in das Innere des Flugzeugs strömte. Es war ihre Luft, ihr Zuhause. Wenig später verschloss der Pilot die Kabinentür wieder. Das Flugzeug holperte über die Piste und hob schließlich ab. Mit einer Linkskurve ging es wieder hinaus auf das Meer.

      Die südliche Marquesas-Gruppe, zu der auch Hiva Oa gehörte, umfasste insgesamt sechs Inseln. Noch weiter südöstlich lagen Ua Pou, Ua Huka und schließlich Nuku Hiva, die bereits zur nördlichen Marquesas-Gruppe zählten. Neben Hiva Oa und Nuku Hiva besaßen auch Ua Pou und Ua Huka einen Flugplatz für reguläre Flugzeuge. Hubschrauber konnten dagegen überall auf den Marquesas eingesetzt werden. Am nördlichsten lagen die sehr kleinen Inseln Hatu Iti, Hatutaa, Motu One und Eiao, die am Horizont kaum auszumachen waren, obwohl die Maschine schon dicht an Nuku Hiva herangekommen war. Von diesen Vieren wurde nur noch Eiao von wenigen Hundert Menschen bewohnt. Das Flugzeug befand sich bereits im Landeanflug und brauchte noch etwa zehn Minuten, bis es nach einer leichten Rechtskurve auf die Landebahn zusteuerte. Die gesamte Flugzeit hindurch war es sehr laut, da die Laufgeräusche der Propeller deutlich in die Kabine schallten. Florence war daher sehr froh, als endlich die beiden Triebwerke ausliefen und es stiller wurde. Ein kleiner Flughafenbus fuhr auf das Rollfeld und kam neben der Maschine zum Stehen. Ihm folgte ein LKW, der sich um die Fracht kümmern sollte. Die Passagiere stiegen von der Kabine in den Bus um. Die Fahrt ging zu einem Flachbau, der als An- und Abflughalle des Flugplatzes bei Hinahaa Papa diente. Neben dem Eingang stand ein Jeep. Florence erkannte Maurice Gall, der an der Motorhaube lehnte und zu der Maschine hinübersah. Sie hatte ihn gestern Abend vom Hafen in Papeete aus angerufen. Maurice war der Pilot des Krankenhaushubschraubers. Der Hubschrauber beförderte fast jeden Tag auch Fracht, die für das Krankenhaus bestimmt war, und wurde nicht allein für Krankentransporte eingesetzt. Maurice war ein ehemaliger Militärpilot, wie sicherlich fast alle Hubschrauberpiloten, die auf den Inseln arbeiteten. Er war bereits fast fünfzig, klein, dafür aber drahtig und muskulös. Florence mochte ihn. Sie hatten so manche gemeinsame Tour im Hubschrauber über die Inseln gemacht. Maurice lebte schon seit zwanzig Jahren auf Nuku Hiva. Durch ihn hatte Florence ihre Marquesas aus der Luft kennengelernt. Maurice hatte sich einen Jeep ausgeliehen, wahrscheinlich von jemandem, den er auf dem Flugplatz kannte. Der Hubschrauberlandeplatz war etwa fünfhundert Meter vom Flughafengebäude entfernt. Florence hatte ihm gestern schon ihre beiden schweren Koffer angekündigt. Der Bus hielt einige Meter von dem Jeep entfernt. Bevor die Türen aufgingen, stand Maurice schon bereit, sie zu begrüßen.

      »Na mein Mädchen, wieder sicher gelandet?«, sagte er strahlend.

      Sie umarmten sich und Florence küsste ihn auf die Wangen.

      »Endlich«, sagte sie. »Es ist zwar toll, etwas von der Welt zu sehen, aber der Weg dorthin und wieder zurück ist einfach zu weit.«

      »Ich habe jedes Mal Angst, wenn du nach Paris fährst, dass du nicht wiederkommst«, meinte Maurice spöttisch. Er wusste genau, dass dies wahrscheinlich nie geschehen würde.

      »Ich glaube das passiert nicht mehr, nicht mehr in diesem Leben«, bestätigte Florence. Sie lachte. »Außerdem habe ich dort ja keinen Privatjet.«

      »Oh, Madame, das Lufttaxi steht bereit. Wir brauchen nur noch eure Koffer zu verladen«, scherzte Maurice. »Deine Tasche kannst du mir schon geben.«

      Maurice brachte zuerst die Tasche zum Jeep und stellte sie auf den Beifahrersitz. Florence drehte sich um. Der LKW war mittlerweile ebenfalls am Flughafengebäude angekommen. Er hatte nur einen Teil der Fracht aus der Maschine geladen, um zunächst das Gepäck der Passagiere zu bringen. Die Gepäckausgabe erfolgte nicht über ein Transportband, sondern direkt vor dem Flughafengebäude. Die Passagiere stellten sich in eine Schlange und zeigten ihre Flugtickets. Das Gepäck wurde dann direkt aus dem LKW heraus übergeben. Sie gingen gemeinsam hinüber und stellten sich in die Schlange. Bei nur neun Reisenden war Florence schnell an der Reihe. Sie zeigte dem Flughafenmitarbeiter ihr Ticket. Sie hatte gar nicht die Gelegenheit, ihre Koffer selbst zu nehmen. Maurice griff sofort danach und trug sie ebenfalls zum Jeep. Sie fuhren die wenigen Hundert Meter und erreichten die Maschine, die schon für den Start vorbereitet war. Maurice fuhr direkt hinter den Hubschrauber, stieg aus und öffnete die hintere Ladetür. Er klappte die beiden Türflügel weit auseinander. Es standen bereits einige Kartons auf der Ladefläche, direkt neben der Trage. Er schaffte Platz, indem er die vordere Reihe der Kartons vorsichtig nach hinten schob und mit Gurten sicherte. Er lud die Koffer aus dem Jeep und wuchtete sie hoch. Er stellte sie vor die Ladung und sicherte sie ebenfalls mit Gurten. Florence gab ihm noch ihre Reisetasche. Maurice stellte die Tasche zu den Koffern und sicherte sie mit einem extra Gurt. Mit Schwung schlug er die Heckklappen zu und überprüfte noch einmal, ob alles fest verschlossen war.

      »Ich fahre den Jeep nur schnell zurück«, sagte er.

      Florence nickte. Sie blieb bei der Maschine stehen und sah sich um. Sie sah aufs Meer hinaus. In dieser Richtung lag Hatu Iti, aber sie konnte die Insel natürlich

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