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Mutter hatte den Blick weit über dem Grün des Ufers und hörte Fränzi nur mit halbem Ohr zu.

      "Lass ihn doch. Er muss auch was zum Spielen haben. Männer sind so. Wirst du noch lernen." Sie zog sich aus und sprang vom Kahn ins Wasser.

      Macht sie gut, dachte Fränzi. Für ihr Alter ist sie gut in Form. Dörtes Mutter dagegen war eine von den Dicken. Sah gut aus, aber zu dick. Solange Fränzi sie kannte, machte sie Diät und nahm kontinuierlich zu. "Frisst heimlich", sagte Dörte zu Fränzi. "Wenn wir alle schon schlafen. Bei den guten, langen Abendfilmen, die ich nicht sehen darf, weil Mausi ins Bett gehört, da isst sie. Nicht aus Kummer, es schmeckt ihr und sie kann eben immer essen. Mich stört ja ihr Dicksein nicht. Ich bin's gewöhnt, nur sie leidet ganz enorm drunter. Aber wenn sie nicht essen kann, ist sie nicht zum Aushalten. Dann geht sogar Papa mit ihr essen, nur damit sie wieder guter Laune bekommt. Und du weißt ja, was Papa für ein Geizkragen ist. Ehe der mit jemandem essen geht, da muss es schon schlimm kommen. Mama ist schlimm, wenn sie Hunger hat."

      Fränzi hatte Dörtes Mutter trotzdem gern. Von ihr ging so etwas Schützendes aus. Fränzi konnte sich vorstellen, dass man sich bei ihr gut ausheulen könnte. Als Kind hatte sie einmal ein Buch gelesen, in dem eine dickbusige Frau gut für Geheimnisse war. Damals musste sie sofort an Dörtes Mutter denken. Die war auch gut für Geheimnisse. Fränzi ruderte den Kahn zur Mutter hin und half ihr beim Reinklettern.

      "Irgendwann klappt das nicht mehr", sagte die Mutter, "dann werd ich wohl ersaufen." Schließlich war sie drin und Fränzi sah an ihrem Hals blaue Flecken. Die Mutter bemerkte ihren Blick und errötete. "Guck nicht so", sagte sie etwas unwirsch, "auch älteren Eheleuten passiert so etwas zuweilen."

      "Läufst du jetzt mit 'nem Seidenschal?" fragte Fränzi feixend.

      Für einen Moment sah die Mutter sie unsicher an, dann brach sie in ein fröhliches Gelächter aus und sagte verschwörerisch: "Wir Weiber müssen eben zusammenhalten."

      Fränzi sah auf den Fleck und Übelkeit überkam sie. Sie roch Unangenehmes und es war nicht auszumachen, woher es kam. Flau und flach schien es aus ihr selbst zu kommen und wollte kein Ende nehmen.

      "Ist was?" fragte die Mutter, "siehst mit einem Mal so blass aus?"

      Fränzi schüttelte den Kopf. "Mir ist übel", sagte sie gepresst und wollte dem Würgereiz, der sich einstellte, nicht nachgeben.

      "Sonnenstich", sagte die Mutter. "Du wirst einen Sonnenstich haben. Wir rudern nach Hause."

      Sie nahm die Ruder und steuerte den Kahn mit Kraft und Gewandtheit in Richtung Haus. Der Wind gab Fränzi wieder Luft und der Geruch verflog.

      "Wird schon", sagte sie, "wird schon besser."

      "Musst aufpassen", riet die Mutter, "auf dem See ist die Sonnenstrahlung besonders stark. Wir sind Blondies!"

      Am Ufer stand der Vater mit der Kamera und filmte ihr Eintreffen. "Ruhig", rief er schon von Weitem, "ganz ruhig kommen und langsam den Kahn anlegen und graziös aussteigen."

      "Siehst du", zischte Fränzi der Mutter zu, "geht schon los, der Quatsch." Bewusst platschte sie das Wasser auf, zeigte dem Vater so wenig wie möglich von sich, trug die Ruder ungeschickt voran. Die Mutter versuchte den stillen Protest durch besondere Grazie wettzumachen und tänzelte auf ihn zu.

      "Beide", schrie der Vater wütend, "beide solltet ihr euch bewegen. Fränzi, los, mach wie Mama. Du Trampel mit deinen Rudern, da vorn."

      Fränzi riss ihre Augen weit auf und fragte scheinheilig: "Wie soll ich mich hinstellen?"

      Der Vater legte gereizt die Kamera zur Seite.

      "Was heißt, wie soll ich mich hinstellen!" äffte er sie nach. "Gar nichts habe ich von hinstellen gesagt. Kommen solltest du, einfach aussteigen, lächeln, von mir aus, Haare werfen. Aber mit den Rudern stehen, wie eine Landgans - dazu ist der Film zu schade."

      Er griff wieder zur Kamera. "Und nun das Ganze wieder von vorn", befahl er.

      Fränzi kniff die Augen zusammen und starrte ihn fassungslos an. "Was denn? Wieder rein ins Boot?"

      Die Mutter nahm sie beim Arm. "Nun tu ihm schon den Gefallen." Sie zerrte Fränzi am Arm zum Boot und sie stiegen beide ein.

      "Mach dein Haar auf", schrie der Vater vom Ufer.

      Die Mutter nahm den Kamm aus den Haaren.

      "Fränzi auch", rief er, "Fränzi mach das Haar auf. Wirf es zurück und beug dich ein wenig nach hinten."

      "Der spinnt wohl", sagte Fränzi nun laut zur Mutter. Sie öffnete den Pferdeschwanz und das Haar fiel blond und seidig auf sie hernieder. Sie sah verwirrt zum Vater hin, der langsam mit der Kamera auf die Frauen zuging, die ihm aus dem Boot steigend entgegenkamen.

      Die Mutter nahm das Haar hoch und ließ es fallen.

      "Gut so?" fragte sie vergnügt und zu Fränzi gewandt, "wir werden noch heimliche Stars. Und später wird man uns fragen, wieso wir nicht zum Film gegangen sind." Sie kicherte, nahm Fränzi um die Taille, nickte dem Vater zu. "Komm, du Meisterregisseur. Wir machen uns jetzt ein bühnenreifes Menü!"

      Seit die Mutter angekommen war, hatte sie stillschweigend den Haushalt übernommen. Fränzi war das recht, obwohl die Methode des Vaters ihr praktischer erschien. Aber die Mutter bestand auf ihrer, wie sie sagte, altfränkischen Tour: Die Familie verwöhnen und sich selbst dazu Zeit nehmen.

      Es war tatsächlich ein bühnenreifes Menü mit mehreren Gängen, das über die Mikrowelle gezogen wurde und je nach Art, heiß oder kühl auf den Tisch gelangte. Die Mutter sah dankbar und zufrieden aus. Wenn sie etwas nicht ausstehen konnte, waren es erfolglose Essen.

      "Das kann aber nicht jeden Tag so weitergehen", sagte der Vater stöhnend. "Ich werde zu dick. Das ist das Letzte, was mir passieren dürfte."

      Die Mutter sah ihn aufmerksam und verliebt an.

      "Du bist gerade richtig", sagte sie, "überall". Sie hatte diesen Du-weißt-schon-wo-Blick, der Fränzi immer schon ein wenig peinlich war.

      Der Vater lächelte geschmeichelt und küsste flüchtig ihren Unterarm. "Du machst es einem eben leicht", sagte er galant.

      Abends hörte Fränzi die Eltern noch lange miteinander reden. Von Zeit zu Zeit lachte die Mutter auf. In Fränzi breitete sich große Ruhe aus, sie fühlte sich den Eltern sehr nah und wäre gern zu ihnen gegangen.

      Eines Tages stand Karl vor der Tür. Groß, stämmig mit behaarten Unterarmen und einer gelben Schirmmütze verkehrt herum auf dem kahl rasierten Schädel. An seiner Seite zwei Hunde, bei deren Anblick Fränzis Herz vor Freude hüpfte.

      Karl war Hundebesitzer. Hunde waren seine Welt! An Hunden zeigte Karl, was in ihm steckte. "Hunde verlangen den ganzen Mann", pflegte er zu sagen und klopfte bei jedem seiner Worte dem einen oder dem anderen Hund auf die Flanken. Es waren zwei schöne Tiere, gepflegt, gut genährt und sie parierten aufs Wort. Für Karl war ein Hundebesitzer, der mehr als einmal "Platz" oder "Hier her" zu seinem Hund sagen musste, ein Versager, eine Null, eben eine Flasche. "Gut für Papageien, die brauchen die Wiederholung", pflegte er behäbig lächelnd zu sagen.

      Fränzi liebte die Hunde von Karl. Sie wusste, dass sie zu den wenigen Menschen gehörte, denen Karl seine Hunde anvertraute. "Sie hat den Blick", sagte der Hundehalter Karl und sah genießerisch an dem Mädchen rauf und runter.

      "Wie alt?" fragte er und nahm Fränzi um die Taille, hob sie ein wenig hoch, um sie gleich wieder abzusetzen.

      "Vierzehn", sagte Fränzi.

      "Dreizehn", korrigierte die Mutter.

      "Weihnachten vierzehn", widersprach Fränzi und verdrehte zu Karl hin die Augen. "Kann ich die Hunde haben?"

      Karl nickte und Fränzi nahm die starken Lederleinen, atmete den Dunst der Tiere, strich ihnen über das blanke Fell und verließ das Haus.

      "Nicht von der Leine lassen", rief Karl hinterher und Fränzi winkte zum Zeichen des Einverständnisses.

      Die

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