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dem Ruder vor dem Compaß.

      „Was ist, Steuermann, was giebt's?" frug er mit ruhiger Stimme.

      „Es kommt!" sagte dieser lakonisch.

      „Wie viel Faden?"

      „Zwanzig," lautete die Antwort.

      „Böser Platz, wo es herweht," sagte der Capitain, nach dem Compaß sehend und seinen Rock dabei anziehend, „aber wir können mit bestem Willen nicht mehr Segel anbringen, und wenn's zu arg wird, müssen wir sehen, daß wir irgendwo Anker werfen."

      „Wär' eine schlimme Geschichte," brummte der Steuermann zwischen den Zähnen durch, „hallo, wie das zu heulen anfängt!"

      „Werft das kleine Loth noch einmal," sagte der Capitain, während er den Fortgang seines armen Schiffes beobachtete und einen scheuen Blick nach Lee hinüber sandte. „Wenn man wenigstens die Leuchtfeuer erkennen könnte! Wie viel Uhr ist's?"

      „Dreiviertel auf Zwölf," sagte der Mann am Ruder, indem er sich bückte und nach der im Compaßgehäuse hängenden Uhr sah.

      „In einer Viertelstunde wissen wir, woran wir sind," /88/ meinte der Steuermann - „wie viel Faden?" rief er dem vorn postirten Matrosen zu.

      „Bei der Mark neunzehn," lautete die Antwort.

      „Wie viel Kette haben wir oben, Steuermann?" fragte der Capitain.

      „Ungefähr vierzig Faden."

      „Ist der zweite Anker klar?"

      „Noch nicht."

      „Laßt ihn klar machen."

      Ueber die Wasser heulte es dabei in scharfem, pfeifendem Ton herüber und schäumte und zischte über die erregte Fluth. So scharf als möglich lag das seiner meisten Segel beraubte Schiff dabei gegen den Wind an, aber nicht verkennen ließ es sich, daß es, mit zu wenig Kraft den schweren Bau vorwärts zu treiben, unverhältnißmäßig viel Abdrift machte und mehr und mehr nach Lee hinübersetzte.

      Von den Kajüts-Passagieren kamen jetzt ebenfalls mehrere an Deck und frugen den Capitain ängstlich, ob Gefahr vorhanden sei. So freundlich und zuvorkommend aber dieser auch sonst gegen seine Passagiere war, so kurze, abfertigende Antwort bekamen sie jetzt, wo er andere Sachen im Kopf hatte, und er bat sie mit ziemlich dürren Worten, in ihre Kojen wieder zurückzugehen, da sie an Deck doch nichts helfen könnten und nur im Wege ständen.

      Es war zwölf Uhr, der Wind hatte sich wieder zu vollem Sturm erhoben und die leichterregte See rollte mit den kurzen aber schweren Wogen ärgerlich gegen den Bug des Schiffes an, über den sie die schäumenden Kronen an Deck spritzte; die weißen, zähen Nebelschwaden wälzten sich dabei in dichten Massen vor ihm her, dem Lande zu, und wenn sie auch, hier und da zerrissen, einen Blick nach den jagenden Wolken verstatteten, hüllten sie doch das leewärts gelegene Land noch immer in tiefe Nacht.

      „Bei der Mark siebzehn!" tönte der monotone Ruf des am Senkblei stationirten Matrosen, und die schwere Kette des Starbordankers rasselte, von der jetzt ebenfalls an Deck gerufenen andern Wache gehoben, der Ankerwinde zu.

      „Bei der Mark sechzehn -" /89/

      „Steuermann, wir müssen wahrhaftig den Anker fallen lassen!" rief der Capitain; „steht bei da vorn, Anker klar?"

      „Alles klar, Capitain!" lautete die Antwort.

      „Wie viel Faden jetzt?"

      Der zischende Schlag des Senkbleis auf das Wasser antwortete der Frage, und gleich darauf tönte wieder der eintönige Ruf:

      „Bei der Mark zwölf!"

      Noch immer zögerte der Capitain - sie konnten sich gerade hier an einer Bank befinden, die sie vielleicht im nächsten Augenblick passierten. Solcher Art in offener See zu ankern, wo die Wogen mit ungebrochener Kraft heranwälzen können, ist auch immer eine ängstliche, gewagte Sache; so lange er sich flott halten kann, thut es kein Seemann.

      Wieder wurde das Blei geworfen, und der Ruf zeigte dreizehn Faden.

      „Gott sei Dank!" rief der Capitain mit einem aus innerster Brust herausgeholten Seufzer -, „das Wasser wird tiefer - es war richtig nur eine Bank."

      „Bei der Mark vierzehn -"

      „Bravo, mein Bursche, fahr so fort!"

      „Bei der Mark vierzehn ein halb."

      „Dort drüben, glaub' ich, sehe ich ein Licht durch den Nebel schimmern," rief plötzlich der Steuermann - „dort nach der Richtung hin!"

      Der Capitain strengte seine Augen an, das Dunkel zu durchsuchen, und glaubte selber einen Schein zu erkennen.

      „Bei der Mark fünfzehn!" rief der Mann.

      „Sobald wir das Licht ausmachen können, daß wir herausbekommen wo wir sind," sagte der Capitain, ohne auf das Senkblei jetzt weiter zu achten, „wollen wir die Peilung nehmen, und wenn der Sturm nicht nachläßt, wird uns nichts weiter übrig bleiben, als in Lee Schutz zu suchen."

      „Der Henker soll die Küste holen!" brummte der Steuermann; „weiß es Gott, da ankere ich lieber hier mitten im Kanal."

      „Bei der Mark elf!" schrie der Mann vorn. /90/

      „Elf?" fuhr der Capitain empor; „was ist das - bist Du gewiß? - Steht klar bei Eurem Anker da vorn."

      „Alles klar, Capitain!" rief der zweite Steuermann zurück.

      „Bei der Mark sieben!"

      „Nieder mit Eurem Anker!" gellte der schrille Ruf des Capitains über Deck, und zu gleicher Zeit rasselte die Kette donnernd durch die Klüsenlöcher. In demselben Augenblick aber auch, und noch ehe der Anker den Grund erreicht haben konnte, zitterte das Schiff bis in seinen Kiel hinab von dem furchtbaren Stoß, den es erhielt, und der Capitain mußte sich an den Compaßkasten halten, um nicht vorn überzustürzen.

      „Heiliger Gott, wir sind verloren!" schrie eine Stimme vom Bug aus, und eine See wusch hochausbäumend an dem gestrandeten Schiffe über Deck und schleuderte ihre Fluth in die noch offenen Luken des Zwischendecks hinab.

      Ein gellender Wehschrei antwortete von dort her, und in der nächsten Minute stürzten die halb entkleideten Passagiere aus Kajüte und Zwischendeck jammernd und wehklagend an Deck»

      „Wir sind verloren - wir sind verloren!" tönte der gellende Ruf von den bleichen Lippen, und Männer das, was sie gerade im ersten Augenblick gefaßt, Frauen, ihre Kinder auf dem Arm oder an den zitternden Händen, drängten dem höher gelegenen Quarterdeck zu, um Rettung, Hülfe von dem Capitain zu erflehen.

      „Die Luken zu - hinunter mit Euch!" schrie dieser aber, der rasch seine Geistesgegenwart wiedergewonnen hatte, als eine neue Woge sich an der Seitenwand des Schiffes brach und ihre Fluth die steilen Zwischendeckstreppen niederwusch - „die Luken zu - wir füllen sonst das Schiff - hinunter mit den Passagieren, sag' ich!"

      Ja, der Befehl war wohl gegeben, aber wie auszuführen? - Nicht allein die eindringende Fluth, sondern auch die wiederholten Stöße, die das seinem Untergang geweihte Schiff erhielt, und die es dermaßen erschütterten, daß sich weder Passagiere noch Matrosen auf den Füßen halten konnten, weckten auch den festesten Schläfer aus seinem Schlum/91/mer und donnerten ihm die furchtbare Wirklichkeit im das betäubte Ohr - wir sind verloren! Wieder ein Stoß, der mit einer Wucht gegen den Kiel traf, als ob die Planken von einander bersten müßten, und schäumend, schmetternd wälzten die mehr und mehr emporgerüttelten Wogen über Deck, wieder und wieder einzelne der Passagiere, die sich nach oben retten wollten, von den Treppen hinunterwaschend. Die Matrosen suchten jetzt die Klappen auf die Luken zu werfen, die übersteigende See zu verhindern hineinzuschlagen, aber der von den Passagieren hatte noch ein Kind unten, der eine Schwester oder Mutter, und die Leute, in der Verzweiflung des Augenblicks ihrer Sinne kaum mächtig, warfen die Matrosen zurück und hielten den Eingang frei und offen.

      „Sie wollen uns nicht herauf lassen - da unten sollen wir ersaufen und ersticken, während sie sich in den Booten retten!" schrieen sie dabei.

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