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ein Segel gewesen, und sie beschlossen dann weiter nach Norden aufzuhalten. Wie aber die Sonne im Osten ihr erstes Licht sandte, schrie Tom mit freudigem Entzücken: „Land - Land, Alohi! Dort drüben liegt Land!" und Freudenthränen liefen dem starken Mann die sonnverbrannten Wangen nieder.

      Noch war freilich nichts weiter zu erkennen als ein stumpfer, aus dem Wasser vorragender Bergkegel. Wie sie aber rasch das Segel wieder gesetzt hatten und jetzt mit der frischen Brise darauf zuhielten, tauchte er auch schnell höher und höher empor, und „Bavilu!" rief da plötzlich Alohi, sein Steuerruder loslassend und von seinem Sitz emporspringend, „Bavilu!"

      Es war die Nachbarinsel von Tubuai, nur etwa noch zwanzig Seemeilen von ihr entfernt, und ihre Richtung lag von hier fast ganz West. Nichtsdestoweniger hielten sie auf die Insel zu, wenn das auch ihre Rückkunft verzögerte, um sich dort erst wieder zu erholen und besonders Früchte und Cocosnüsse an Bord zu nehmen.

      Noch an demselben Morgen gewannen sie das Land - für sie der Freiheit Boden, aber nicht eine Nacht litt es sie unter den Palmen, ihre Rast war erst in der Heimath. Sowie die Sonne deshalb sank und die Luft kühler wurde, schifften sie sich, mit Allem reichlich versehen, was sie jetzt brauchten, wieder ein, Und mit der Morgendämmerung konnten sie auch in der Ferne das hohe breite Land von Tubuai erkennen, das sie an demselben Nachmittag erreichten.

      Das war ein Jubel, das ein Jauchzen auf der kleinen /57/ Insel, als die für immer verloren Geglaubten mit vollgeblähtem Segel in die Einfahrt der Riffe liefen und von Weitem schon die Tücher schwenkten. Intaha jauchzte, wie das Boot nur den Sand berührte, an des Gatten Brust, und die Kleinen - nicht die seinigen allein, sondern fast die ganze kleine Bevölkerung der Insel drängte herbei, umfaßte seine Kniee und suchte ihn zu sich niederzuziehen.

      *

      Tom Burton war wieder in seiner Heimath, und nie im Leben schien es ihm, als ob die Palmen so traulich gerauscht, die Blüthen so süß geduftet, der Himmel so blau und wonnig ausgesehen hätte, wie an dem Tag. Aber er blieb auch dort und betrat nie wieder, bis zu jener Zeit, als ich ihn kennen lernte, ein europäisches Schiff.

      Manche legten dort wieder an - eins sogar einmal mit seinem alten Freund - Mr. Hobart an Bord, der ihn zum ersten Mal gefangen nahm. Die beiden Männer schüttelten auch einander die Hände und lachten über jene Zeit, aber an Bord ging Tom doch nicht, so freundlich ihn Mr. Hobart, der jetzt selber Capitain geworden, auch einlud, und so heilig er ihm das Versprechen gab, ihn nicht einmal mit einem Gedanken zurückzuhalten.

      „Das ist Alles recht schön und gut," sagte Tom, „so lange wir das hier auf festem Grund und Boden abmachen. Da seid Ihr Seeleute auch ganz andere Menschen; auf dem Wasser aber, auf Eurem eigenen Schiff - der Teufel trau' Euch, und ich für mein Theil hab' an der Spazierfahrt damals gerade genug gehabt."

      *

      Das Auswanderer-Schiff.

      Von einer günstigen Brise getrieben, glitt das wackere Auswanderer-Schiff, die Captaube, die schon acht Tage durch stürmisches Wetter in der Mündung der Schelde und in der Nordsee zurückgehalten worden, über die wieder ziemlich beruhigte Fluth in den Kanal hinein und zwischen Calais und Dover hin.

      Die Captaube kam von Antwerpen, mit hundert und dreißig Auswanderern nach New York bestimmt. Für Passagiere ganz besonders mit allen nur möglichen Bequemlichkeiten, räumlichen Decks und Kajüten, gutem Proviant und Wasser ausgestattet, fingen die meisten der Leute, wie sie nur einmal den ersten Anfall der Seekrankheit überstanden, schon an, sich wohl und behaglich an Bord zu fühlen. So recht zur Besinnung war aber noch Keiner von ihnen gekommen.

      Es ist auch ein wunderliches Gefühl, auf einem solchen Fahrzeug sein Alles eingeschifft zu haben, für eine andere Welt. – Wenn wir nur eine R e i s e unternehmen, und sei sie noch so weit, wären selbst Jahre für ihre Dauer bestimmt, der Schwerpunkt unseres Lebens bleibt doch im Vaterlande zurück; der Platz, der unsere Heimath geworden, bleibt derselbe. Hunderte uns liebe Wesen und Dinge lassen wir mit dem Bewußtsein hinter uns, sie wieder zu finden, wenn wir zurückkehren, und die Freude des Wiedersehens wirft ihre Strahlen /59/ schon jetzt auf jenes Bild. Mit gepacktem Koffer machen wir nur eben einmal einen Sprung in's Leben hinein, um zu sehen, wie sie's draußen treiben, halten unsern Rücken dabei gedeckt, und sind wir's müde, treten wir den Heimweg an. Wir haben einen Platz, wohin wir gehören; geht es uns draußen schlecht, was thut's? ist die Reise vorüber, können wir uns daheim wieder erholen.

      Die fremden Länder, die wir betreten, behalten dabei eine ganz bestimmte Färbung; wir interessiren uns wohl für sie, aber mehr auch nicht; wir freuen uns ihrer Scenerie, ihres Klimas, der Sitten und Gebräuche ihrer Völker, wie man etwa ein schönes Gemälde betrachtet oder ein gutes Buch liest, aber unser Herz hängt nicht weiter daran, und eine neue Landschaft läßt uns die früher gesehene bald vergessen. - Wir sind nicht gezwungen, uns dort heimisch zu fühlen.

      Wie anders ist das, wenn der scharfe Kiel, der unser Alles trägt, die Fluth dem fernen Welttheil zu durchfurcht; wenn die Brücke zum Vaterland hinter uns abgebrochen liegt und wir die Heimath gemieden haben auf Nimmerwiederkehren. Wir wissen, was wir hier verlassen, aber nicht, was wir dort wiederfinden, und der dunkle Schleier, der über der Zukunft liegt, füllt da nicht selten selbst das Herz des Wüthigsten mit banger Sorge.

      Ein herrliches Mittel dagegen ist die Seekrankheit. In dem müßigen, monotonen Leben der Seefahrt würden sich Tausende von denen, die ihr Vaterland auf immer verlassen haben, nur dumpfem Brüten und Trübsinn hingeben und den Schmerz der Trennung viel schwerer, viel furchtbarer empfinden; aber ehe sie an Bord nur recht zur Besinnung kommen tonnen, und kaum im Stand sind, ihre Sachen zu ordnen zu der langen Fahrt, und sich nur ein kleinwenig bequem in dem neuen, ungewohnten und eigentlich höchst unbequemen Leben einzurichten, naht mit dem ersten Schaukeln des Schiffes der unerbittliche, erbarmungslose Feind, und ertränkt im Lethe das Vergangene.

      Von dem Augenblick an, wo der Mensch seekrank ist, existirt keine weitere Welt mehr für ihn, weder in Vergangenheit, Gegenwart noch Zukunft. - Was er daheim ver-/60/lassen, was dort drüben aus ihm wird, was hier mit ihm geschieht - bah - was kümmert's ihn; er hört und sieht und riecht und schmeckt nicht mehr. Der einzige Sinn, der ihm geblieben, ist das Gefühl - das Gefühl grenzenlosen, unbegriffenen Elends und einer Gleichgültigkeit wieder, sogar hiergegen, die ihn selber in Erstaunen setzen würde, wenn es noch irgend etwas aus der Welt gäbe, das dies bewirken könnte.

      Dieser Zustand hat eine solche Konsistenz, daß die Vergangenheit, selbst wenn er endlich gewichen, doch nur wie mit einem dichten Schleier bedeckt hinter uns liegt und dem scharfen Schmerz des Abschieds keine Gewalt mehr über das Herz verstattet. Mit ihm beginnt gewissermaßen ein ganz neuer Abschnitt unseres Lebens, und eigenthümlich zu beobachten ist die Veränderung, die in dem ganzen Wesen und Betragen der Passagiere nach dem ersten eintretenden stillen Wetter vor sich geht. Die Leute sind gar nicht mehr dieselben; die heimathliche Küste ist außer Sicht, dieser furchtbare Zustand zwischen Leben und Sterben, vor dem sie sich nicht retten konnten, gewichen, und das weite, offene Meer um sie her, mit seinen leichten plätschernden Wogen, der Anblick der geblähten Segel, des vorn am Bug aufkräuselnden Schaumes und Gischts, wie das wackere Schiff so rasch die Fluth durchschneidet, füllt ihre Seelen mit neuer Lebenslust, mit frischer, fröhlicher Hoffnung bis zum Rand.

      Amerika, das ist das Ziel jetzt, dem sie entgegen streben, und wenn sie Abends nach dem dünnen Thee oben auf dem Verdeck sitzen und die Sterne über sich funkeln sehen, die Wasser unter sich rauschen hören, dann schaaren sie sich zu kleinen Gruppen zusammen, wie sie sich eben einander gefunden an Bord, und bauen sich Schlösser in die blaue, reine Luft, die hoch zu den Wolken reichen und mit diesen gen Westen ziehen - aber traurig ist Keiner mehr.

      Wie mancher schöne Plan wird da ersonnen, wie mancher phantastische Traum ausgebrütet und gehegt. Gar weh freilich würde Vielen von ihnen um's Herz sein, wenn sie vorher wüßten, wie bei den Meisten es nur eben Pläne, nur eben Träume bleiben sollten. Aber die Zukunft birgt das noch in ihrem dunkeln Schooß, und durch den tausendfarbigen /61/ Regenbogen der Hoffnung liegt ihnen das ferne Land schon jetzt in Paradieses Pracht und Schmuck vor Augen.

      Wie sie lachen dabei und singen und jubeln - sind das dieselben Menschen, die erst vor wenig Wochen mit rothgeweinten

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