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vergilbten Farbton wie altes Elfenbein angenommen hatten, wuchsen in ausladenden Terrakottagefäßen Grünpflanzen und Blumen – exotische und auch einheimische Gewächse, die mit den Blumengirlanden der kunstreich geätzten Fenstergläser zu korrespondieren schienen. Ich war mir nie sicher, welche Art die Schönere von beiden ist.

      Einschleichdiebe hingegen waren sich sicher, denn es kam immer öfter vor, dass so manches der kostbaren Gläser über Nacht einfach herausgeschnitten wurde und auf Nimmerwiedersehen verschwand.

      In der dritten Etage, da begegnete mir ab und zu eine fette, silbergraue Siamkatze, die mir mit schläfrig blauen Gletscheraugen nachsah, ohne dass sie jemals näher kam, um mir um die Beine zu streichen, wie das Katzen normalerweise tun würden. Bei anderen tun sie es – nicht bei mir; vielleicht mögen mich Katzen nicht.

      Im nächsten Stockwerk war ein schwarzer Rehpinscher beheimatet; klein war er, mit spitzer Schnauze und großen Ohren. Der büxte öfter aus und tollte dann im ganzen Haus herum: Taps, tataps, taps…Er dürfte sich manchmal an seinen eigenen dünnen Beinchen verheddert haben, denn auf seinem Brustgeschirr stand geschrieben: Ich gehöre zu jemanden. Wer das aber war, davon stand nichts.

      „Anubis!“, hörte ich dann sein Frauchen nach ihm rufen. Was für ein dämonischer Name für so einen kleinen Hund! – Aber wie passend angesichts der Laute, die er zu produzieren imstande war und die im Stiegenhaus nachhöllerten, als kämen sie aus unterirdischen Kavernen – oder wo auch immer so ein Wächter angesiedelt ist.

      In der obersten Etage angelangt, der fünften, blinzelte mir schon voll die Sonne ins Gesicht. Da war das Dachgeschoß, und darum gab es hier nur zwei Türen. Die links von der Treppe führte zu meinem Reich und die andere – gegenüberliegende – auf das Flachdach.

      Über einen breiten und schon ziemlich abgetretenen Türstaffel aus Parkett-Hölzern, der unter den Schritten knarrend nachgab, als wäre da eine Falltür für ungebetene Gäste, trat man in mein Wohnatelier.

      Das Dominante an diesem Raum – und das, was sofort ins Auge sprang, war die riesige, durchsichtige Wand. Über die gesamten neun Meter der Längsseite zog sich eine Glasfront: schachbrettartig angelegte Fenster von holzspreißeligen Abschnitten durchbrochen, die oben an der Decke in einer Schräge mündeten. Die schmalen Holzrahmen waren weiß gestrichen, wie man sie von englischen Gartenpavillons kennt oder eben von alten Fenstern – wie den meinen. Angelegt war die Front gegen Nordwest.

      Wenn es taut, gehört mir der erste Sonnenstrahl, das konnte ich auch mit jener Mimi aus Puccinis La Bohème behaupten. Wenn auch nicht des Tages erster, so gehörte mir doch des Tages letzter Sonnenstrahl. Aber was soll’s? Zu viel Sonne ist ohnehin ungesund.

      Das Zweite, das sofort auffiel, waren die vielen kleinen Fayence-Töpfchen in allen farblichen Schattierungen; die standen nebeneinander auf dem Fensterbrett und waren besetzt mit den verschiedensten Blumen der jeweiligen Jahreszeit: Maiglöckchen, Primeln, Veilchen … oder kleinen Margeriten, wie in diesem Sommer.

      Von dieser Auslage aus konnte ich immerhin den Himmel sehen und vor allem: nachts die Sterne! Wenn ich einen der Fensterabschnitte öffnete, blickte ich in den großen rechteckigen Innenhof; und wann immer ich weiträumigere Aussicht haben wollte, ging ich durch die dem Flur gegenüberliegende von Rostrosen behaftete eiserne Tür, an der ein handgeschriebenes Warnschild befestigt war:

       Es ist verboten,

       auf das Dach zu steigen!

      Die Schrift war in Kurrent, also hatte ich auch eine Ausrede parat: Wer kann denn heute noch so etwas lesen? Ich kletterte die steile Treppe zur zweiten Eisentür hoch und stieg auf das weitläufige Flachdach hinaus.

      Hier oben konnte der Blick über die gesamte Altstadt schweifen: meine Geburtsstadt mit ihren vielen Kirchtürmen, ziegelroten Häuserdächern, grünspanigen Kuppeln, pittoresken Schornsteinen und taubenbeschissenen Regenrinnen.

      Weiter draußen, gegen Norden ragten – wie eine Vision aus der Zukunft – und als würden sie erst irgendwann einmal in der Gegenwart landen, die hohen Glas- und Stahlbauten der modernen Metropole in den Himmel. Jeder Stadt ihre Phallussymbole. Die vielen Kirchtürme natürlich außer Konkurrenz.

      Der Vormieter meiner Wohnung war ebenfalls Künstler – eigentlich wohnten hier immer nur Kunstmaler – hatte das Schild gleichermaßen ignoriert und hatte sich auf dem Dach eine Balustrade aus verschnörkelten Balkongittern gebastelt. Die reichte von einem der großen Ziegelschornsteine zum anderen und umschloss in einem Rechteck einen Dachgarten. Hier konnte mein reichlich Frucht tragendes Zitronenbäumchen in seinem großen Terrakottatopf den Sommer über artgerechten Platz finden und sein südliches Flair verströmen. Das war mein Land, wo die Zitronen blühen, denn angesichts der klimagewandelten Hitze in Wien gedieh mein stummer Mitbewohner mindestens so prächtig, als blühe er auf Sizilien. Das Bäumchen war nicht sehr groß, dafür aber die Zitronen. Deshalb kam mein Singlehaushalt auch mit einer einzigen Frucht die ganze Woche aus. Das imposante Gewicht hatten sie meinem Kräutertee zu verdanken, den ich zum Frühstück mit ihnen teilte, da war ich mir sicher.

      Gleich dahinter, an der Nordseite des Kamins, rankte die mitternachtsblaue Klematis hoch, verschlungen in malerischer Klimt-Kuss-Pose mit einem echten Jasmin, und dieser war sogar aus kaiserlichem Besitz. Den Ableger zupfte ich dem historischen Riesen im Wiener Palmenhaus aus. Vielleicht wird man mir eines Tages dafür dankbar sein oder aber mich dafür einsperren … falls der Alte eingehen sollte.

      Den unerlässlichen Hauch von Romantik, der einfach in ein Künstlerleben gehört, vermittelte die französische dornenlose Rose. Was für ein Pink, was für ein Duft, und was erst für ein Name: Zéphirine Drouhin!

      Ich war ein Fan von schön klingenden Namen und schön klingenden Sätzen. So einen wie: Das Lächeln einer Sommernacht … Der Film gefiel mir weniger – eine Studie über die Wechselbeziehungen zwischen Vernunft und Eros, Sinnlichkeit und Askese – dafür aber gefiel mir der Titel: einfach sensationell! Obwohl: Die Sommernacht hat noch nie für mich gelächelt, aber egal! – Sie könnte sicher … Wenn sie nur wollte …

      Ein wenig dekadenter Touch, der ebenfalls unverzichtbar ist, wenn man in so einem Haus wohnt, war durch die löchrige, im gründerzeitlichen Grün gestrichene Blechgießkanne gegeben und durch ein paar verwitterten Laternen, in denen man Stumpenkerzen entzünden konnte. Die Gießzeremonie gestaltete sich zwar etwas umständlich, aber an einen Ort wie diesen würde keine Plastikkanne passen; und auch keine trendigen Solarleuchten. Hier war einfach alles antiquiert.

      Die „Gammel-Utensilien“, wie Ex sie salopp umschrieb, wurden mir von jenem Künstler hinterlassen, der mehr auf dem Dach hauste als in seinem Wohnatelier. Verschroben soll er gewesen sein, erzählte man sich. Was aus ihm wurde, das wusste keiner so genau. Man tuschelte, er hätte sich ins Ausland abgesetzt, weil er seine Schulden nicht mehr bezahlen konnte. Jedenfalls hatte er mir, und das zu einem geringen Entgelt, die große Gartenbank aus Lerchenholz und den Tisch vermacht – ein auf wackeligen Beinen, von Wind und Wetter gebleichtes Stück Teak. Dann gab es hier noch eine rostige, metallene Truhe, die aussah wie abgeworfenes Frachtgut von Samuel Ferguson – dem ballonfahrenden Helden von Jules Verne – immerhin regendicht war sie. Darin verstaute ich meine fülligen Sitzauflagen für die Bank, mehrere Kissen und die sonnendurchwärmte Schafwolldecke zum Solokuscheln.

      Sonst war hier nichts. Doch dieser Dachgarten war sicher der schönste von ganz Wien. Jedenfalls war er das für mich, einer Bohème würdig, denn es roch da nicht nur nach Blüten, sondern auch nach unkonventionellem und ungebundenem Künstlertum.

      Nur: Unkonventionell war ich leider nicht – mittlerweile eher angepasst und ziemlich unscheinbar. Aber ungebunden, das war ich. Und das wollte ich auch bleiben! Zumindest dachte ich, dass es das ist, was ich wollte.

      Ich fragte mich, ob meine Vorgänger, die hier gelebt und gearbeitet haben, auch Einsiedler waren. Nein! – Gegen diesen Begriff wehrte ich mich: Ich war keine Einsiedlerin – so weit war ich noch nicht heruntergekommen. Aber wohl auf dem besten Weg dahin, wie mir wohlmeinende Freunde prophezeiten, mit denen ich manchmal noch telefonierte.

      Hin und wieder dachte ich über

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