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Escort arbeitete. Die Reisen und der ständige Ortswechsel hatten sie ebenso auf Trab gehalten, wie der Umgang mit den laufend wechselnden Klienten. Ihr nun so ruhiges Leben als eine Art von modernem Hausmütterchen verlor immer mehr an Reiz. Doch wie sollte sie dies Henry erklären und begreiflich machen? Er würde sich als Mann und als ihr Lebenspartner zurückgesetzt fühlen, musste annehmen, er genüge ihr nicht länger. Und das war falsch. Holly wollte doch bloß wieder etwas mehr Aufregung und Abwechslung in ihr Leben bringen, mehr Inspiration und vor allem Bewährung. Das alles hatte mit ihrer Liebe zu Henry rein gar nichts zu tun.

      Alabima Lederer und deren Lebenssituation mit Jules kamen ihr in den Sinn. Auch die Äthiopierin fühlte sich mit ihrem sorgenfreien Leben an der Seite des Schweizers zunehmend in Fesseln gefangen, zu wenig ausgelastet und wie weggesperrt. Holly konnte nun besser empfinden, wie sich Alabima nach so vielen Jahren fühlen musste.

      Selbstverständlich liebte Holly nicht nur Henry, sondern auch Sheliza. Und eine eigene Familie war immer wieder in ihrem Leben ein erstrebenswertes Ziel gewesen, auch wenn sie den eigenen Kinderwunsch seit langem und für immer abgelegt hatte. Aber nun lebte sie doch noch in einer Familie, aber sie war ihr nicht genug?

      Wie mahnte uns Mahatma Gandhi? Das Geheimnis eines glücklichen Lebens liegt in der Entsagung. Holly würde darauf achten müssen.

      *

      Ihr Rückgrat war zum Glück unverletzt. Doch das Kreuzband in ihrem linken Knie war gerissen und ihre rechte Schulter ausgekugelt. Hinzu kam eine mittelschwere Gehirnerschütterung. Nach der Operation bekam Alina ein Schlafmittel, sollte erst nach vierundzwanzig Stunden das erste Mal aufwachen. Jules und Alabima hielten trotzdem Nachtwache, wechselten sich ab, so dass beide auch ein paar Stunden Schlaf bekamen. Gegen Abend wurde der Schlaf ihrer Kleinen zuerst unruhiger, dann schlug sie plötzlich die Augen auf, blickte in die Gesichter ihrer Eltern, schloss ihre Lider noch einmal voller Müdigkeit und Mattheit, die bestimmt auch von den Schmerzmitteln herrührten, schaute dann jedoch klarer.

      »Es tut mir leid«, entschuldigte sie sich bei den beiden und hatte wohl ihre Erinnerung zurück.

      »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Liebling. Unfälle können passieren«, beruhigte sie Jules. Alabima streichelte mit dem Zeigefinger tröstend über die Wange ihrer Tochter, sah sie glücklich lächelnd an.

      »Hauptsache, du wirst wieder gesund.«

      »Was ist denn passiert?«, wollte Alina wissen.

      »Du bist zu schnell über eine Bodenwelle gerast und hast sie nicht genügend mit den Knien gedrückt, vielleicht aber auch gar nicht gesehen. Dann bist du weit durch die Luft geflogen und hart gestürzt.«

      »Mir tut mein rechter Arm weh.«

      »Der war ausgekugelt. Doch die Ärzte haben ihn wieder eingerenkt. In ein paar Tagen werden die Schmerzen verschwinden.«

      »Und mein Knie.«

      »Auch das wurde verletzt. Doch es wird wieder gesund werden. Du musst beide nur ruhig liegen lassen.«

      Alina sah sie mit großen Augen an, sagte jedoch nichts. Ihre Lider schlossen sich langsam wieder und einen Augenblick später war sie eingeschlafen.

      »Unkraut vergeht nicht«, meinte Jules leise zu seiner Frau. Doch die schüttelte ablehnend den Kopf.

      »Darüber reißt man keine Witze, Jules. Sie hätte tot sein können, verstehst du? Oder Querschnittsgelähmt.«

      »Die Körper von Kindern sind doch biegsam? Die halten weit mehr aus, als du denkst.«

      Alabima sagte nichts darauf, betrachtete voller Liebe das friedlich daliegende Gesicht ihrer Tochter, streichelte mit ihren Fingerkuppen sanft über die rechte Hand und die Finger ihrer Tochter, drückte sie dann ganz leicht, als könnte sie auf diese Weise etwas von ihrer Lebensenergie auf Alina übertragen.

      April 2014

      »Die schulischen Leistungen Ihres Pflegekindes und auch der Eifer und Einsatz von Sheliza entsprechen nicht unseren Standards.«

      Die Schulpsychologin hatte ihr Urteil von einem Blatt Papier abgelesen, das sie hochgehoben und wie eine Art von Schleier vor die untere Hälfte ihres Gesichts hielt. Nun blickten ihre Augen streng über dessen Rand auf Holly Peterson, kühl und abschätzend, als stünde die Pflegemutter unter Anklage.

      »Sie ist ein syrischer Flüchtling, hat ihre Eltern und Geschwister verloren, ist traumatisiert…«

      Holly hielt inne, als die Schulpsychologin das Blatt senkte und sie deren schmalen Lippen verächtlich geschürzt erblickte.

      »Papperlapapp«, griff diese sie weiter an, »das geschah doch schon vor vielen Monaten und ein junger Mensch blickt kaum je zurück.«

      »Sie sind wirklich Psychologin?«, rutsche Holly die falsche Frage heraus, die mit einem herablassenden, unnahbaren, aber giftigen Blick beantwortet wurde.

      »Das Beste wird sein, wir Stufen sie um ein oder besser gleich um zwei Jahrgänge zurück.«

      »Niemals.«

      Misses Myers, wie sich die Angestellte der Schule vorgestellt hatte, schaute die Pflegemutter durchdringend an.

      »Das habe ich zu entscheiden, Miss Peterson, nicht Sie.«

      Das Miss betonte die Frau auf eine beleidigende Weise.

      »Eher suchen wir für Sheliza eine andere Schule.«

      »Bitte schön. Das ist Ihre Angelegenheit. Doch in diesem Fall wäre ich gezwungen, den Sozialdienst der Stadt zu informieren.«

      Holly blickte die Frau hinter dem Pult alarmiert und irritiert zugleich an.

      »Selbstverständlich nur zum Schutz Ihrer Pflegetochter und deren ungeborenen Kind.«

      Das letzte Worte hatte die Schulpsychologin besonders betont, nicht wirklich abfällig, eher als weiterer Tadel an Holly, als übte diese einen schlechten Einfluss auf die Schwangere aus.

      »Sie wollen uns erpressen?«, stellte Holly Peterson klar. Misses Myers Mund verhärtete sich und ihre Lippen wurden zu einem einzigen, dünnen Strich.

      »Ich tue nur meine Pflicht, zum Wohle der Schülerin.«

      »Wir werden sehen…«, Holly Peterson stand auf, wandte sich zum Gehen und fügte unter der offenen Tür stehend an, »…wessen Anwälte am Ende die besseren sind.«

      Sie schritt rasch davon, entschwand dem Blick der Schulpsychologin, die zufrieden hinter ihrem Pult saß, das Blatt von vorhin in die Aktenmappe legte und diese zuklappte. Dann hob sie den Hörer vom Apparat und drückte eine Kurzwahlnummer. Nach zweimaligem Klingeln wurde auf der anderen Seite abgehoben.

      »Hallo, Sybille, ich bin’s, Cathrina von der High Brooks.«

      …

      »Ja, mir geht es auch gut. Du, ich hab da wieder einen kritischen Fall. Junge, schwangere Muslimin, ein Flüchtling aus Syrien. Lebt derzeit bei einem nicht verheirateten, christlichen Paar.«

      …

      »Da gebe ich dir Recht. Das kann kaum gut gehen. Bin ganz deiner Meinung, Sybille.«

      …

      »Ja, sämtliche Anzeichen für eine problematischen Unterbringung sind gegeben und Dringlichkeit nach meiner Meinung gegeben.«

      …

      »Sehr gut. Danke, dass du alles in die Wege leitest. Ich schick dir das Dossier heute noch zu.«

      …

      »Ist gut. Bis bald. Und grüß bitte George von mir.«

      Sie legte auf, zog aus einer Schublade einen großen Umschlag und aus einer anderen einen Block mit Notiz-Zetteln. Sie schrieb eine kurze Mitteilung an Sybille, suchte sich aus einer Plastikbox das Visiten-Kärtchen mit der Adresse des Sozialdienstes heraus, kopiert sie inklusive Name ihrer Freundin auf

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