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einstecken konnte.

      »Ich wüsste schon, wie du das Geld verdienen könntest?«, mutmaßte er ein weiteres Mal.

      »Kommt nicht in Frage«, antwortete ihm Naara, nicht erzürnt, nicht einmal ärgerlich, denn die Frage der Prostitution hatten sie schon ein paar Mal durchgekaut, zuerst wütend, danach zynisch, nun nur noch gelangweilt, »so hübsch bin ich nun auch wieder nicht, dass die Männer mehr als die üblichen hundert bezahlen würden«, ergänzte sie deshalb seelenruhig. Und Antonio nickte versonnen neben ihr, blickte hoch zum blauen Himmel, ließ sich von der Sonne blenden, hielt die Augenlider geschlossen, genoss die Wärme für einen stillen Moment.

      »Vielleicht könnten dir die Lings…?«, begann er erneut und nicht zum ersten Mal. Diesmal setzte sich Naara mit einem ärgerlichen Gesichtsausdruck auf und blickte auf Antonios Hinterkopf mit dem wuscheligen Haar.

      »Du weißt ganz genau, dass ich bei denen keine fünfzigtausend im Jahr verdiene. Warum sollten Sie mir fast zwei Jahreslöhne als Darlehen geben?«

      »Aber die sind doch immens reich? Was machen denen schon achtzigtausend Real aus? Jedes ihrer Fahrzeuge kostet doch das Doppelte und Dreifache?«

      Naara zog schaudernd ihre Schultern ein, stellte sich vor, wie sie vor Zenweih Ling stand und ihn um ein Darlehen für ihren Freund bat, verzog dann ihr Gesicht zu einer hässlichen Fratze, als sie in Gedanken Sihena vor sich stehen sah, wie ihre Arbeitgeberin spöttisch ihre dünnen, perfekt geschminkten Lippen verzog, bevor sie ein vernichtendes und beleidigendes Urteil über die hirnrissige Forderung ihrer Hausangestellten aussprach.

      »Nein«, sagte sie laut und sehr heftig und Antonio drehte überrascht sein Gesicht zu ihr hoch, »nein, von den Lings kannst du keine Hilfe erwarten. Die geben nichts her.«

      Antonios Kopf drehte wieder weg und schaute einer hübschen, blondierten Braungebrannten hinterher, die ihn zuvor lockend angelächelt hatte, bei der aber mit Bestimmtheit auch kein Geld zu holen war.

      »Vielleicht doch«, sinnierte er so leise flüsternd, so dass seine Worte vom heute trägen Wind sogleich fortgetragen wurden und sie nicht einmal Naara vernahm.

      *

      Sie waren am Nachmittag mit der Zahnradbahn hoch auf den Gornergrat gefahren, tranken auf der Sonnenterrasse einen Tee und fuhren danach auf Skiern ins Tal. Alina behielten sie stets zwischen sich, denn die Kleine stellte sich zwar mittlerweile recht geschickt auf den Brettern an, legte jedoch manchmal eine ungesunde Tollkühnheit an den Tag. Während der Skischule am Morgen durfte sie nie so, wie sie wollte, musste sich an die Regeln der Skilehrer halten. Doch nun brach sie ihren Eltern nach wenigen hundert Metern aus, ging in die Hocke, streckte ihren Po in die Höhe, legte die Stöcke an ihren Körper und senkte den behelmten Kopf, stürzte sich so den recht steilen Hang herunter. Nur das fehlende Körpergewicht hielt sie noch auf unter fünfzig Stundenkilometern. Doch Jules zeigte bereits Mühe, ihr zu folgen, rief sie deshalb ein paar Mal an, ohne jeden Erfolg. Alabima stand weit fester oder eben lockerer auf ihren Brettern als Jules, hielt ihre Knie leicht gebeugt und das Tempo ihrer Tochter problemlos mit. Beinahe spielerisch wirkte die Äthiopierin, wie sie mit langgezogenen, fast gemütlich wirkenden, jedoch sicheren Schwüngen neben ihrer Tochter herfuhr. Jeder junge Mensch musste irgendwann damit beginnen, seine Grenzen auszuloten und sie wenn immer möglich auszuweiten. Und so lachte die Mutter ähnlich befreit wie ihre Tochter, die immer wieder vor Freude jauchzte.

      Alina war in Purpurrot gekleidet, Alabima hatte den schneeweißen Skidress angezogen. Beide trugen einen farblich passenden Helm. Jules, ganz in Schwarz, lag längst zweihundert Meter hinter ihnen zurück und Alabima wollte gerade ihre Tochter ermahnen, den Papa nicht so schlecht aussehen zu lassen und etwas Tempo zurückzunehmen. In diesem Moment hob die Kleine jedoch von der Piste ab, flog durch die Luft, wobei sich ihre Skier immer höherschraubten und ihr Kopf dafür nach unten segelte. In einem weiten Bogen landete sie nach gut fünfzehn Metern im hart gepressten Schnee, prallte mit Nacken und Schulterblättern auf, überschlug sich ein paar Mal, wobei sich wenigstens einer ihrer kurzen Skier endlich löste und davon schleuderte, schlitterte auf dem Bauch noch gut zwanzig, dreißig Meter weiter, pflügte zwischen anderen, erschrocken dreinblickenden Skifahrern hindurch, blieb endlich liegen.

      Alabima hatte ebenso wie ihre Tochter einen erschrockenen Schrei ausgestoßen, war ihr im kurzen Abstand gefolgt, hielt direkt neben ihr an, hakte sich hektisch die Bretter von den Skischuhen, kniete sich neben ihr nieder, sprach auf sie ein, berührte ihr blasses Gesicht, erkannte die geschlossenen Augen und die Bewusstlosigkeit ihrer Tochter und dann erst das verdrehte linke Bein, packte nach ihm und drehte es vorsichtig richtig, öffnete endlich die Bindung und fegte den Skier zur Seite. Alina wimmerte leise vor Schmerzen, wachte jedoch noch nicht auf. Ihre Mutter blickte sich um, sah in ein paar erschrockene Gesichter, die sich um den Unfallort sammelten.

      »Ich ruf die Rettungsflugwacht an«, sagte ein besonnen wirkender älterer Mann zu ihr, erst auf Deutsch, danach sicherheitshalber auch noch auf Französisch. Alabima nickte ihm dankbar zu, getraute sich nicht, ihre Tochter auf den Rücken zu drehen, zog nun jedoch ihre Ski Jacke aus, faltete sie zusammen und legte sie unter den Kopf ihrer Tochter, den sie äußerst vorsichtig und nur wenige Zentimeter anhob.

      Endlich hatte sich auch Jules zu ihnen hin gekämpft, hatte seine Skier längst abgestreift, bahnte sich einen Weg durch die immer dichtere Traube der Schaulustigen. Vorwurf war in seinem Gesicht zu lesen und große Sorge.

      »Wir sollten sie ruhig liegenlassen, bis ein Arzt hier ist«, wurde er von Alabima begrüßt. Er nickte nur, sah in das stille, blasse Gesicht der Sechsjährigen, zog dann mehr aus seiner Hilfslosigkeit heraus als zum echten Nutzen, ebenfalls seine Jack aus, breitete sie über dem Körper von Alina aus. Dann begann das Warten und das Beten für die Eltern. Immer wieder blickten sie hoch in die Luft, suchten nach einem Rettungshubschrauber, hörten ihn jedoch eher, als dass sie ihn über den Wipfeln der Tannen aufsteigen und sich rasch nähern sahen. Er landete fünfzig Meter entfernt etwas unterhalb von ihnen. Zwei Männer stiegen aus, öffnete die hintere Klappe. Der eine mit Koffer schritt zielstrebig zu ihnen hinauf, während der andere einen Schleppschlitten aus dem Helikopter zog und ihm langsamer folgte.

      »Wie alt?«, fragte der Mann mit dem Koffer geschäftig, aber ruhig, als er bei ihnen angelangt war und sich neben Alina niederkniete.

      »Sechs. Sie muss eine Bodenwelle übersehen haben, flog bestimmt zehn oder fünfzehn Meter weit durch die Luft und landete auf dem Rücken, überschlug sich auch ein paar Mal. Ihr linkes Bein ist wahrscheinlich gebrochen, denn die Bindung ging nicht auf.«

      Rasch haspelte Alabima die Sätze herunter, während der Arzt nach dem Puls des Mädchens fühlte und dann mit einer kleinen Taschenlampe den Augenreflex prüfte.

      »Gehirnerschütterung«, stellte er fest, »aber fast normaler Puls. Ich denke, sie ist transportfähig.«

      Behutsam hoben er und der andere aus dem Helikopter die Kleine hoch und legten sie immer noch bäuchlings auf den Schleppschlitten.

      »Wir werden sie im Krankenhaus zuerst röntgen, bevor wir sie umdrehen«, erklärte ihnen der Arzt, »wer von Ihnen beiden fliegt mit?«

      »Ich«, stellte Alabima klar, »bevor Jules etwas sagen konnte, doch der Schweizer nickte dem Arzt zustimmend zu.

      Zu dritt gingen sie zum Hubschrauber, stiegen ein und flogen los.

      Die Schaulustigen wandten sich rasch vom Helikopter ab, beobachteten dafür aber Jules, zeigten offen ihre Neugierde und ihre Schamlosigkeit. Genauso würden sie im Zoo vor dem Käfig eines Tigers stehenbleiben und hinein starren, falls dieser sein Junges verlor. Man wartete auf eine Sensation oder wenigstens auf eine Reaktion, wollte den Schmerz sehen oder sich wenigstens an der Hilflosigkeit ergötzen. Der Schweizer betrachtete sie grimmig und verächtlich, sagte jedoch nichts, sondern holte die Skier zusammen, wobei der rechte von Alina nach dem Sturz wohl weiter den Hang hinuntergeglitten und irgendwo im nächsten Waldstück verschwunden war. Bis ins Tal würde es Jules bestimmt noch recht kühl werden, da er seine Jacke bei Alina gelassen hatte. Doch mit drei Skiern und zwei Stöcken auf den Armen schwitzte er dann doch noch Blut und Wasser, bis er endlich unten angelangt war.

      *

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