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Meute. Diese Verbrecher und Mörder.”

      “Haben Sie denn die Schüsse nicht gehört?”

      “Doch, ja.”

      Es war die Frau, eine zierliche, unruhige Person, die, nicht weniger angespannt als ihr bebrillter Begleiter, zuletzt gesprochen hatte. Meine Erwiderung fiel sparsam aus, denn jetzt öffnete sich abermals die Haustür, (besser gesagt, sie flog, als wäre sie von einem Kinnhaken getroffen, mit einem Stöhnlaut auf) und weitere Gestalten, männlich, wiederum zwei an der Zahl, drängten herein.

      Einen Moment lang dachte ich, dass … doch nein, es handelte sich, wie sich erweisen sollte, nicht um die erwähnten zwielichtigen Subjekte, sondern um Personen, die auf der Flucht waren. Sie wirkten auf mich bidirektional und in Teilen (die Älteren im Publikum werden sich eventuell erinnern) wie Pat&Patachon. Bei dem Kleineren stand, was ich infolge meiner umher wandernden Blicke zufällig gewahr wurde, der Hosenstall offen. War der passende Quellcode dafür Schrecken, Platzangst (¿), Wirrnis, Chaos, Panik? Er sprach jedenfalls mit einem bebenden Unterton in der Stimme. Und das in meine Richtung.

      “Wir müssen einen Ort finden, wo man sich verstecken kan!”

      “Hier? Im Haus?”

      “Natürlich. Raus können wir nicht. Viel zu gefährlich.”

      “Wir sollten vieleicht die Treppe nach oben nehmen.”

      “Keine ganz so schlechte Idee.”

      “Und wir könnten an den Wohnungstüren klingeln.”

      “Hat niemand ein Handy?”

      “Ich habe eines.”

      Seltsamerweise besaß, wie sich zeigte, nur ich den gefragten technischen Gegenstand. Während um mich herum ein Bienenschwarm an Stimmen nervös durcheinander summte, zog ich mein Smartphone heraus. In der Eile glitt es mir allerdings aus der Hand und fiel zu Boden. Die Unruhe der anderen hatte mich offenbar angesteckt. Ich bückte mich, sammelte das Teil wieder auf.

      “Soll ich… die Polizei rufen?”

      “Unbedingt. Und machen Sie um Gottes Willen rasch!”

      “… Oh, tut mir leid. Das Gerät muss Schaden genommen haben. Es funktioniert nicht mehr.”

      “Du lieber Himmel.”

      Wir - also jene zusammengewürfelte Schar, die unsere überschaubar kleine Truppe ausmachte - waren mittlerweile auf dem Weg in die oberen Stockwerke. Der Kleinere des männlichen “Komiker-Duos” teilte sich mit der Frau die selbst gewählte Aufgabe, beiderseits an den Wohnungstüren zu klingeln. Aber vergebens. Niemand öffnete.

      “Weiter, Leute, weiter!”

      Der Mensch, der mich vorhin in dieses Gebäude geschubst hatte, war offenbar entschlossen, eine Art Führungsrolle in unserer Gruppe zu übernehmen. Es war dies nicht die erste Anweisung, die, begleitet von einer energischen Handbewegung, von seinen Lippen abhob. Sein dunkler, kräftiger Bariton mochte immerhin für eine solche gehobene Laufbahn geeignet sein.

      “Teufel, was war das?”

      “Das war die Haustür…”

      “Heh! Wer immer da oben ist, kommt jetzt mal schön langsam herunter! Und keine Tricks, verstanden! Wir verstehen nämlich absolut keinen Spaß!”

      Wir blickten einander im halben Dutzend der Reihe nach an. Verunsichert. Verstimmt. Ratlos. Einige ängstlich. Es waren Leute im Haus. Neue Leute. Bedrohliche Leute. Die Männerstimme, die eben von unten zu hören gewesen war, ließ sich kaum denen zurechnen, die dazu angetan sind, einem das Herz zu erwärmen. Was würde als nächstes folgen?

      Zunächst einmal folgte etwas, dass unverhofft einen Funken der Erleichterung, ja, fast schon einen Lichtstrahl der Zuversicht in das sich verdüsternde Ambiente unseres Sechser-Klubs einbrachte …Polizeisirenen. Vor dem Haus schien ein Einsatz-Kommando Position zu beziehen. So hörte es sich für meine Person, die sich der Lösung des Rätsels, was hier eigentlich vor sich ging, langsam ein Stück näher glaubte, jedenfalls an.

      Unterstützt hatten mich dabei auch jene Kommentare aus der Runde, die sich der Frage widmeten, wer dort draußen mit welchen dunklen Absichten unterwegs war. Etwa, um eine Kapuze aus Unheil über unser aller Alltagswirklichkeit zu ziehen? Über eine Welt namentlich, der urplötzlich etwas seltsam Fremdes wie gleichermaßen Unheimliches anhaftete?

      So war beispielsweise das vermeintliche Paar, bevor es sich in dieses Haus geflüchtet hatte, nach eigener Aussage Augenzeuge geworden, wie rabenschwarz vermummte Gestalten mit gezogenen Waffen im Laufschritt die Strasse überquerten, dabei Passanten ins Visier nehmend, um auf diese wiederholt Schüsse abzufeuern. Das zuletzt zu unserem Kreis gestoßene Männer-Duo ergänzte dieses blutrünstige Szenario durch die Beobachtung, dass die Kriminellen (und um solche musste es sich ja wohl handeln) auch versucht hätten, Geiseln zu nehmen.

      “Wann sieht man endlich mal was von euch Wichsern? Wir sind nicht hier, um Plätzchen zu backen!”

      “Hopp, hopp, hopp! Sonst gibt es heute noch massiv Ärger!”

      “Wir tun besser, was sie sagen.”

      Der den letzten Satz äußerte, war der Mensch mit dem schütteren Haar, und er äußerte ihn mit unerwartet gelassener Stimme. Er stand nahe bei mir, und ich hatte mittlerweile feststellen können, dass er nicht der junge Mann war, für den ich ihn zunächst gehalten hatte. Aber er hatte ein junges Gesicht, eines, dass mich mit seinen Sommersprossen entfernt an einen Marienkäfer erinnerte.

      “Er hat recht. Gehen wir also.”

      Das hätte, in parahistorischer Verschränkung, auch ein Sekundant des Grafen von Monte Christo sagen können, es sagte aber hier&jetzt der Kleinere unseres Männer-Duos, sich dabei liebevoll über sein brikettschwarzes, urwalddichtes, geöltes, an den Schläfen mausgraues, negroid krauses Haupthaar streichend. Er sagte es sonderbarerweise zu mir gewandt. Als hätte ich ihn dazu aufgefordert. Was, bei Wittgenstein, nicht der Fall war. Sein Partner respektive Begleiter hatte bislang noch kaum einen Laut von sich gegeben. Trotz seiner hoch aufgeschossenen schlaksigen Figur besaß er einen Bauch, der, gleich einem runden Schiffsbug, seinem Eigner dominant vorauseilte.

      Im Nachhinein stellte sich immerhin die Frage, ob man nicht besser geblieben wäre, wo man war oder doch wenigstens den Versuch gemacht hätte, einen Notausgang zu finden. Denn das Los, dass unsere verlorene Truppe in der Folge erwartete, bot wenig Spielraum und noch weniger Freiheitsgrade. Man mag ja, in schwermütigen Augenblicken, der Auffassung zuneigen, dass das Schicksal jeden von uns ohnehin in Geiselhaft nimmt, hier verhielt es sich aber ganz simpel so, dass wir Artgenossen krimineller Prägung dafür als Pfand dienten, dass die außerhalb des Hauses in Stellung gegangene Staatsmacht sich abwartend verhielt, jedenfalls vorerst keinen Versuch unternahm, das Haus zu stürmen.

      Man sperrte uns in den Keller. Es gab Licht, aber keine Sitzgelegenheit. Und es schien, als würde uns eine lange, ungewisse Nacht bevorstehen. Über unsere Aufseher ließ sich nicht viel sagen. Sie waren ja maskiert. Und sie blieben, da sie uns ihre Gesellschaft vorenthielten, ohnehin bis auf weiteres unsichtbar; was in unserem Kreis allerdings niemand ernsthaft als Verlust wahrnahm.

      Wie oft war es mir nicht schon widerfahren, dass ich mich gefragt hatte - im Bus, im Flugzeug, im Kino oder im Wartezimmer eines Arztes sitzend - angesichts des Umstandes, einen wenn auch nur kurzen Abschnitt meiner Lebenszeit mit mir unbekannten Personen zu teilen (Personen, denen ich vermutlich nie wieder begegnen würde) wie es wohl wäre, etwas über deren Wünsche, Träume, Hoffnungen, Vorlieben oder Abgründe in Erfahrung zu bringen. Jetzt befand ich mich also an diesem ungastlichen Ort in einer ähnlichen wenn auch nicht unbedingt vergleichbaren Situation und würde vielleicht Gelegenheit haben, dergleichen Allzumenschliches näher in Augenschein nehmen zu können.

      Unfreiwillig

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