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Gatter fast vollständig trennten, einer der Knechte war in seiner Begleitung. Eine Weile beobachtete sie ihn, seinen festen, sicheren Gang und seine aufrechte Haltung. Langsam ging sie auf der Empore auf und ab und überlegte, was sie ihm sagen wollte. Ein einfaches „Guten Morgen!“ würde vielleicht nicht genügen?

      Kaum hatte er die Stallungen verlassen, als er auch schon das blaue Kleid in der Eingangstür sah. Da war sie schon wieder. Er konnte in diesem Schloss keinen Schritt tun, ohne dass sie nicht um ihn herumscharwenzelte! Seit seiner Ankunft verfolgte sie ihn und er konnte ihr nicht einfach einen Korb geben. Nicht wenn er Mitglied der Garde werden wollte und ihr Vater Vorsitzender des wählenden Gremiums war. Was ertrug man nicht alles aus Ehrgeiz. Vielleicht gab er sich besser ein bisschen mehr Mühe?

      Tristan kam auf sie zu und lächelte sie an. Er lächelte! Gwynevra schwebte im siebten Himmel. In die dunkelblaue Iris seiner Augen mischten sich hellblaue Punkte, die wie Sterne strahlten. Warum war ihr das zuvor nie aufgefallen? Scheinbar machte Liebe doch blind und sie war noch nie so verliebt gewesen. Wenn sie doch nur mit jemandem über ihre Gefühle sprechen könnte, sie würde am liebsten singen. Ihr Herz klopfte so laut, bestimmt konnte man es noch unten in Arman auf dem Marktplatz hören. „Guten Morgen, werte Gwynevra. Ihr seht bezaubernd aus.“ Beinah verlor sie die Beherrschung und hätte fast gekichert. Wenn sie doch nur antworten könnte. Hatte er das gerade wirklich gesagt?

      Hatte er das gerade wirklich gesagt? Er sollte machen, dass er weg kam. Tristan deutete eine Verbeugung an und eilte durch die Tür in die große Halle. Er brauchte jetzt ein kräftiges zweites Frühstück und danach wollte er mit seinen Übungen beginnen. Vielleicht würde ihn das auf andere Gedanken bringen. Hinter ihm fiel die schwere Eingangstür ins Schloss und er hörte leise Trippelschritte, die ihm nacheilten. Sofort schritt er schneller aus und verschwand im Speisesaal.

      Brin war zuhause angekommen und hatte seiner Mutter den Laib Brot gegeben. Sie hatte ihn angenommen ohne Fragen zu stellen und Brin war dankbar dafür. Er wollte ihr nicht sagen müssen, woher er es hatte. Noch weniger wollte er sie anlügen. Er beobachtete, wie sie das Brot aufschnitt und sah ihre eingefallenen Wangen und die Ringe unter den Augen. Die Nachtschichten in den Webstuben machten ihr zu schaffen. Seine Geschwister umringten ihn und seine Mutter und forderten plärrend ihren Teil. Brin würde warten bis alle satt waren, bevor er sich ein Stück nahm. Seine Schwester Margrit hatte sich bereits einen Kanten ergaunert und knabberte langsam an der Rinde. Seit ihre zwei Backenzähne ausgeschlagen worden waren, konnte sie nicht mehr so gut kauen wie früher. Er setzte sich auf den einzigen wackeligen Stuhl im Raum und zog sie auf seinen Schoss. „Das ist frisches Brot!“ Stellte sie mit vollem Mund fest. „Du bekommst nur das Beste, Prinzessin.“ Antwortete Brin stolz. Margrit kicherte. Sie ließ ihn vom Kanten abbeißen.

      2.

      Das Viertel, in dem Brin und seine Familie wohnten, befand sich im nördlichen Teil der Stadt und duckte sich in den Schatten des Berghanges. In den kleinen Häusern und Verschlägen wohnten viel zu viele Menschen und durch den überhängenden Berg, auf dem mächtig und Ehrfurcht gebietend die Burg Werl thronte, lag das Viertel beständig im Zwielicht. Der Ruß aus den Schornsteinen der Schmieden und Werkstätten hielt sich in einer dunklen dunstigen Wolke zwischen den Gebäuden, da er nicht nach oben hin abziehen konnte und klebte an den Fassaden und am nackten Fels der Bergklippe. Unrat und Abfälle verschmutzten die engen Gassen, die durch das feuchte Frühlingswetter matschig und aufgeweicht waren. Von den Färbern, die ihre Quartiere in Flussnähe hatten, zog ein bestialischer Gestank herüber. Die Umgebung war für Ganoven, Huren und Tagediebe ideal. Hier war eigentlich immer Nacht. Man bekam so gut wie alles, wenn man nur genügend Geld besaß. Aber Brin hatte noch nie Geld besessen. Die paar Geldstücke, die er bei Gelegenheitsarbeiten verdiente, überließ er seiner Mutter, damit sie einen Tag in der Woche nicht arbeiten brauchte. Die Hoffnung auf eine Ausbildung in einem gutgehenden Betrieb hatte er beinahe aufgegeben. Dabei konnte er im Gegensatz zu den meisten anderen Kindern, die hier lebten, wenigstens lesen und schreiben. Seine Mutter hatte ihm alles beigebracht. Er hasste die Gegend, die Armut und die Arbeitslosigkeit. Seine Mutter war schon wieder schwanger und würde bald ganz aufhören müssen zu arbeiten. Dann konnte sein Vater wenigstens ihren Lohn nicht mehr versaufen. Sein Schnarchen drang hinter dem löchrigen Vorhang, der die schmale Bettstatt seiner Eltern vom Wohnraum trennte, zu ihm hinüber. Er verabscheute und fürchtete ihn. Schnell griff er sich eine Scheibe Brot und verließ das Haus. Wütend stopfte er das Brot in sich hinein und hatte es so schnell verschlungen, dass er sich fragte, ob er wirklich etwas gegessen hatte. Sein Magen fühlte sich noch genauso leer an wie vor seinem Frühstück. Er schlenderte die Straßen entlang und gelangte an den Cor. Im Hafen blieb er stehen und schaute den Händlern und Schiffern beim Be- und Entladen zu. Müßig kratzte er an einem der vielen Wanzenstiche an seinem Bein. Vielleicht ergab sich ja eine Möglichkeit, ein paar Münzen dazu zu verdienen. Er drückte sich eine ganze Weile herum, bis es zu regnen begann und schließlich merkte er, dass es hier nichts für ihn zu tun gab. Am Markt konnte er sich heute nicht mehr blicken lassen, aber vielleicht gab es bei Herrmann dem Schmied etwas Arbeit. Schnell lief er über die Brücke des heiligen Askan und durch die Wandergasse zum Alten Tor. Der Schmied hatte in einer Seitengasse dieses kleinen sauberen Arbeiterviertels seine Werkstätten und ließ ihn manchmal die Schmiede säubern oder die Pferde halten. Er hätte ein Talent für Pferde. Vielleicht würde er irgendwann einmal Herrmanns Knecht werden oder gar Geselle. Das war sein größter Wunsch, denn er arbeitete gern mit Pferden und genoss die wenigen Stunden, die er Herrmann helfen durfte. Er kannte auch fast alle armanischen Rassen und wusste um ihre Vor- und Nachteile. Sogar ein Kriegspferd hatte er schon einmal aus der Nähe gesehen.

      Gelangweilt stocherte Tristan in seinem Brei und starrte stumpfsinnig vor sich hin. Die Kampfübungen würde er wegen eines kurzen aber heftigen Schauers verschieben müssen und er konnte nur hoffen, dass es morgen trocken genug sein würde, um im Hof mit der Holzpuppe zu trainieren. Im Schwertkampf war er nicht halb so gut wie sein älterer Bruder Tobias. Sein großartiger Bruder, der Bären mit bloßen Händen niederrang. Er war ein Held, als wäre er einer der vier mystischen Sagen entstiegen. Und er war ein Angeber, der mit Vorliebe seinen kleinen Bruder verprügelte, um seine Stärke zu beweisen. Wenn grad zufällig kein Bär da war. Natürlich war das alles nur zur allgemeinen Belustigung und zu Trainingszwecken. Vor allem die blauen Flecken waren lehrreich und schmerzhaft wie das Gelächter der anderen. Aber Tristan beschwerte sich nicht. Er war ja kein Jammerlappen. Als ob das etwas geändert hätte. Er musste einfach versuchen, soviel wie möglich zu lernen und alles positiver zu sehen, wie seine Mutter immer sagte `Sei doch ein bisschen fröhlicher, Tristan, nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder`. Wie oft hörte er das wohl, wenn er zu Hause war? Dreimal am Tag? Öfter? Wenigstens jetzt konnten sie ihn nicht aufziehen, denn er war meilenweit fort. Die Prüfungen würden schon bald abgehalten. Bei dem bloßen Gedanken an eine mögliche Niederlage verknoteten sich seine Eingeweide. Er schob den Teller von sich fort und verließ fluchtartig den Speisesaal. Draußen im Flur stieß er mit einem Mädchen in der dunkelgrauen Tracht der Kammerzofen zusammen und sie verschüttete eine Schüssel mit dem ekelhaften Brei über seine Hosen. Es war wohl einfach nicht sein Tag.

      „Kann sie denn nicht aufpassen!“ Der Mann, mit dem sie zusammengestoßen war, verzog angeekelt das Gesicht und ging schnellen Schrittes davon. Anna hob den Löffel auf, der zu Boden gefallen war und versuchte damit den Brei vom Boden in die Schüssel zu kratzen. Damit war ihr Essen wohl dahin. Das besserte nicht gerade ihre Laune und wäre ihre Situation nicht schon ärgerlich genug gewesen, hätte sie laut geflucht. Sie war schon wieder zu spät dran, sie sollte mit Gwynevra und den anderen Mädchen Kalligraphie und Rhetorik lernen und der Bibliothekar konnte sie nicht ausstehen. Vermutlich würde sie wieder Strafarbeiten bekommen. Sie trug die Schüssel in die Küche und lieh sich bei Edna, der molligen gutgelaunten Köchin, einen Lappen, mit dem sie die Reste vom Boden aufwischen konnte. Es war wohl einfach nicht ihr Tag. In der Bibliothek saßen die anderen schon über uralte Schriftrollen gebeugt, die sie in Schönschrift in große lederne Folianten übertragen sollten. Viele Originale waren teilweise so brüchig, dass der Bibliothekar sie auf weichem Leder unter großen Glasplatten aufbewahrte, damit sie nicht zu Staub zerfielen. Anna musste zur Strafe fürs Zuspätkommen erst den gesamten Lesesaal

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