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      Clark hatte seinen Pilotensessel in die Ruheposition ge­bracht. Seit 16 Stunden befand er sich nun im Dämmerschlaf. An seiner Stirn haf­teten kaum spürbar zwei Elektroden, die die­sen Prozess der Entspan­nung, zwischen Schlafen und Wachen auslösten. Es war das einzige Mittel, die langen Phasen des Gleitens durch den Weltraum zu über­brücken, in denen einfach nichts zu passieren schien. Bis auf ein leises Rauschen der Klimatisierung und das gelegentliche kurze Surren der Steu­erungsdüsen, die das Schiff auf dem vorgegebenen Kurs hielten, würden die Stille und Eintönigkeit bald jeden verrückt machen. Beson­ders wenn man ganz allein unterwegs war, so wie Clark.

      Im Dämmerschlaf nahm er das alles nicht mehr wahr. Er war eine Art Psychotrip, der das Zeitgefühl abschaltete und das Gehirn mit sanften Reizen in eine belanglose Traumwelt ver­setzte. Immer wieder hatte Allsa versucht, diese Systeme zu ma­ni­pulieren. Pops wurden sie in der Fachsprache der Desig­ner genannt. Jene kleinen Botschaften, die dich unbe­merkt auf ein Allsa-Produkt lenken sollten und eigentlich illegal waren. Doch Allsas größte Herausforderung war es, allen die Le­ga­lität täglich neu zu erklären. Aber Clarks System war sauber. Als Clone Designer der Semi Elite hatte er schließlich jahrzehnte­lang in der Allsa-Gruppe alle Raffinessen kennengelernt. Er wusste genau, wie man solche Systeme aushebelt und säuberte.

      Solange es keine Zwischenfälle gab, schaltete der Dämmer­schlaf erst vier Stunden vor dem Ziel wieder ab, um die Auf­wach­phase einzuleiten. Auf einer Transitstrecke konnte man in dieser Phase wenigstens den immer größer werdenden Plane­ten, Mond oder Formaten bewundern. Doch Clarks Ziel lag weitab von diesen Standard Routen. Es war ein Satz bedeu­tungs­loser Koordinaten, die ihn mitten in die Dunkelheit des Nichts steuerten, zu einem kleinen Ziel, von dem er nur wissen konnte, ob es überhaupt existierte, wenn er dort angekommen war. So weitab von den Transitstrecken konnte ihn niemand mehr orten und er war völlig auf sich selbst gestellt. Dennoch blieb er entspannt und über­brückte die Zeit mit klassischen Opernarien. Sie hatten so etwas Mäch­tiges, Erhabenes. Clark glaubte, dass diese Musik früher extra für das Weltall geschrie­ben worden war.

      Als er den Sessel wieder in die Sitzposition gebracht hatte, ließ er sich noch einmal jeden einzelnen Satz und jedes Wort von Dave durch den Kopf gehen. Dave hatte ihn auf diese Reise geschickt und kurz vor dem Ziel war durch die Frontscheibe noch immer nichts erkennbar. Fast wäre er wieder eingenickt, als sich Daisy, seine elektronische Assis­tentin, aus Bordsystem mel­dete. »Clark, wir nähern uns dem Identi­fi­ka­tionsbereich des Zielobjek­tes.«

       »Kann ich das mal näher sehen?«

      Die Frontscheibe des Raumschiffes verdunkelte sich und ging in den Displaymodus über. Bis auf eine schemenhafte Sil­houette ließ sich durch den Konturenmarker lediglich ein Ob­jekt erahnen. Clark zog die Augenbraunen hoch.

      »Ist das alles? Das sieht ja finster aus«

      »Das Zielobjekt gibt keinen Koordinatenabgleich.«

      »Ja, aber diese Station gibt es wirklich. Glückwunsch, Dave, du hast recht gehabt.«

      »Das Zielobjekt ist kritisch. Es sind auch keine Archivdaten vorhan­den.«

      »Diese Ruine ist also nirgendwo registriert?«

      »Nicht in den offiziellen Archiven. Andere Daten sind nicht verfüg­bar.«

      »Gibt es eine Systemkommunikation?«

      »Ja, aber die Daten über die Stationssysteme können nicht verifi­ziert werden. Offiziell meldet sich die Station als endgültig abgeschaltet. Die Analyse zeigt aber eingeschränkte Aktivität. Atmosphäre und Gravi­ta­tion normal, aber unzuverlässig. Ge­fah­ren­stoffe unbekannt. Insge­samt kritisch.«

      »Gibt es Hinweise, was hier mal stattgefunden hat?«

      »Verarbeitung von metallischen Rohstoffen.«

      Clark wirkte erleichtert. Es passte genau zu dem, was Dave ihm er­zählt hatte. Mittlerweile konnte er auf dem Display ein­zel­ne Details der Station erkennen. »Eine stillgelegte Fabrik, wo der Letzte vergessen hat, das Licht aus­zu­machen.« Daisy hatte die Angewohnheit auch Sätze, die Clark vor sich hinmur­melte, zu kommentieren.

      »Negativ. Die Station wurde vor sechsundzwanzig Jahren und zwei Tagen vollständig abgeschaltet, und vor vier Jahren, elf Monaten und acht Tagen wieder auf Stand-by geschaltet. Es wurde jedoch nicht mehr produziert.«

      »Interessant, nach zwanzig Jahren gelten die Fabriken als endgültig verschrottet, aber warum hat man sie dann ganz aus den Verzeichnissen genommen? Ungewöhnlich. Irgendjemand hat sich hier eine Höhle gebaut. Das bedeutet, dass er tatsäch­lich hier ist.«

      »Wer soll hier sein?«

      »Mel Thomsen, unser vermisster Elite Designer.«

      »Negativ, das Stationssystem meldet keine organischen Stof­fe an Bord.«

      »Das glaube ich erst, wenn ich es selbst gesehen habe. Wo­zu schaltet man die Atmosphäre wieder ein, wenn dort kei­ner mehr wohnt?«

      »Offiziell meldet sich die Station als stillgelegt. Das System kann sich also ohne Vorwarnung jederzeit eigenständig wieder abschalten. Die Station kann nur im Schutzanzug betreten wer­den.«

      »Nein, da wohnt jemand, der auf jeden Fall am Leben er­hal­ten werden soll. Ich gehe so rein.«

      Die Details wurden deutlicher. Nirgendwo war Licht in der Station zu sehen.

      Allsa

      Sie war eine dieser typischen potthässlichen Fabriken, von denen im Weltall an die Tausend gebaut worden waren. Die meisten gehörten natürlich zur Allsa-Gruppe. Man hatte sie in eine 24-Stunden-Rotation versetzt, um den dort arbeitenden Menschen das Zeitgefühl zu erleich­tern. Hervorragende Ener­gie­versorgung durch die Sonne; extreme Tem­pe­raturen und Vakuum kostenlos. Die meisten Produktionen wurden aber auch in den Weltraum verlegt, um Spionage zu verhindern. All­sas größter Feind waren die zahlreichen Organisationen der Individua­listen, die nur acht Prozent der Menschheit ausmach­ten. Nach der letzten Weltwirtschaftskrise war ihnen die Auto­nomie gelungen. Sie hatten eine eigene Regierung gegründet, mit eigenen Präsidenten, au­tar­­ken Camps und Gesetzen. Für die restlichen 92% Industrialisten waren sie eine zurückge­blie­bene, minderwertige Einheit. Eine Art Sekte, mit einer längst überholten Weltanschauung, die in jedem tech­nischen Fort­schritt das Böse sah.

      Clark hatte seine eigene Weltanschauung, ließ es sich je­doch kaum anmerken. Trotzdem fiel er immer wieder durch zynische Bemerkungen auf. Er gehörte zu den Besten der Clone Designer und konnte sich viel leisten, denn man wollte auf ihn nicht verzichten. Das genoss er und provozierte ständig die Hierar­chien. Während fast jeder Industrialist davon träumte, in den Elite Stand erhoben zu werden, drückte sich Clark vor diesem Status mit dem Unsterblichkeitspass und den vielen an­deren Privilegien. Denn einmal in der Elite angekommen, gab es kein Zurück mehr. Zwar war Clark dadurch der Weg zu vielen hochbezahlten Arbeiten versperrt, doch er wollte ohne­hin nur an Projekten arbeiten, die halbwegs durchsichtig und zu verantworten waren. Vieles, was Allsa in den Geheim­pro­jekten betrieb, war äußerst nebulös und ständig für Spekula­tionen gut. Also beließ er es bei einem, Dr. Clark Seli Ashton, denn die Semi Elite hatte immer noch die Option, aus jedem Unterneh­men auszusteigen, wozu Clark sich vor fünf Jahren entschieden hatte, und zur Clonedake Share gewechselt war. Clone­dake war eines der wenigen noch verbliebenen Großun­ter­­nehmen, die nicht zur Allsa-Gruppe gehörten, der mächtig­ste Konzern des Universums, dessen Fir­men­geflecht kaum ein Mensch noch überblicken konnte.

      Zumindest eines hatten alle Konzerne gemeinsam. Sie alle kämpften mit der Konsummüdigkeit der Menschheit. Jeder konn­te sich fast alles leisten, und nur der Weltraum war den Pri­vile­gierten vorbehalten. Als Semi Elite und den wechselten Ein­­satzorten im Weltraum, zierte Clarks ID am Ende die bei­den Buchstaben SL. Space Licence. Von seinen vielen Paten­ten konnte er sich ein Schiff leisten, eine Conestar Ecolight II. Conestar gehörte zur Allsa-Gruppe, aber das war ihm egal. Über die ständigen Dispute zwischen Individualisten und In­dus­­trialisten konnte er häufig nur schmunzeln.

      Lebe

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