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Österreich kann nicht lange zuschauen ... es kommt zum Kriege ... Sardinien wird sich vor der Übermacht fürchten und nachgeben ... Der Friede bleibt erhalten ... Meine Wünsche – trotz aller theoretischen Bewunderung vergangener Schlachten – waren natürlich inbrünstig nach Erhaltung des Friedens gerichtet, doch der Wunsch meines Gatten rief offenbar die andere Alternative herbei. Er sagte es nicht grad' heraus, aber Nachrichten über die Vergrößerung des »schwarzen Punktes« teilte er immer leuchtenden Auges mit; die hier und da, leider immer spärlicher werdenden Friedensaussichten hingegen konstatierte er stets mit einer gewissen Niedergeschlagenheit.

      Mein Vater war auch ganz Feuer und Flamme für den Krieg. Die Besiegung der Piemontesen würde ja nur ein Kinderspiel sein, und zur Bekräftigung dieser Behauptung regneten wieder die Radetzky-Anekdoten. Ich hörte von dem drohenden Feldzug immer nur vom strategischen Standpunkt sprechen, nämlich ein Hin- und Herwägen der Chancen, wie und wo der Feind geschlagen würde und die Vorteile, welche »uns« daraus erwachsen mußten. Der menschliche Standpunkt – nämlich daß, ob verloren oder gewonnen, jede Schlacht unzählige Blut- und Tränenopfer fordert, – kam gar nicht in Betracht. Die hier in Frage stehenden Interessen würden als so sehr über alle Einzelschicksale erhaben dargestellt, daß ich mich der Kleinlichkeit meiner Auffassung schämte, wenn mir bisweilen der Gedanke aufstieg: »Ach, was frommt den armen Toten, was den armen Verkrüppelten, was den armen Witwen der Sieg?« Doch bald stellten sich als Antwort auf diese verzagten Fragen wieder die alten Schulbuchdithyramben ein: Ersatz für alles bietet der Ruhm. Doch wie, wenn der Feind siegte? Diese Frage ließ ich einmal im Kreise meiner militärischen Freunde laut werden – wurde aber schmählich niedergezischt. Das bloße Erwähnen von der Möglichkeit eines Schattens eines Zweifels ist schon antipatriotisch. Im voraus seiner Unüberwindlichkeit sicher sein, gehört mit zu den Soldatenpflichten. Also gewissermaßen auch zu den Pflichten einer loyalen Leutnantsfrau.

      Das Regiment meines Mannes lag in Wien. Von unserer Wohnung hatte man die Aussicht auf den Prater, und wenn man da ans Fenster trat, wehte es sommerlich verheißend herein. Es war ein wundervoller Frühling. Die Luft war lau und veilchenduftend, und zeitiger als in anderen Jahren sproßte das junge Laub hervor. Auf die im kommenden Monat bevorstehenden großen Praterfahrten freute ich mich unbändig. Wir hatten uns zu diesem Zweck ein kokettes »Zeugel« angeschafft, nämlich einen Kutschierwagen mit einem Viererzug von ungarischen Judern. Schon jetzt, in diesen herrlichen Apriltagen, fuhren wir beinahe täglich in den Prateralleen spazieren, aber das war nur ein Vorkosten des eigentlichen Maigenusses. Ach, wenn nur bis dahin nicht etwa der Krieg ausbräche! ...

      »Na, Gott sei Dank – jetzt hat die Unentschiedenheit ein Ende!« – rief mein Mann, als er am Morgen des neunzehnten April vom Exerzieren nach Hause kam. »Das Ultimatum ist gestellt.«

      Ich erschrak. »Wie – was – was heißt das?«

      »Das heißt, das letzte Wort der diplomatischen Verhandlungen, welches der Kriegserklärung vorausgeht, ist gesprochen. Unser Ultimatum an Sardinien fordert, daß Sardinien entwaffne – was dieses natürlich bleiben läßt, und wir marschieren über die Grenze.«

      »Großer Gott! – Vielleicht aber entwaffnen sie?«

      »Nun dann wäre der Streit auch beigelegt und es bleibt Frieden.«

      Ich fiel auf die Knie – ich konnte nicht anders. Lautlos und dennoch heftig wie ein Schrei, schwang sich aus meiner Seele die Bitte zum Himmel: »Frieden, Frieden!« Arno hob mich auf: »Du närrisches Kind!«

      Ich schlang meine Arme um seinen Hals und fing zu weinen an. Es war kein Schmerzensausbruch, denn noch war ja das Unglück nicht entschieden – aber die Nachricht hatte mich so erschüttert, daß meine Nerven zitterten und diesen Tränensturz verursachten.

      »Martha, Martha, du wirft mich böse machen,« schau Arno. »Bist du denn mein braves Soldatenweiblein? Vergissest du, daß du Generalstochter, Oberleutnantsfrau und« – schloß er lächelnd – »Korporalsmutter bist?«

      »Nein, nein, mein Arno ... Ich begreife mich selber nicht ... Das war nur so ein Anfall... ich bin ja doch selber für militärischen Ruhm begeistert ... aber ich weiß nicht – vorhin, als du sagtest, alles hänge von einem Worte ab, das jetzt gesprochen werden soll – ein Ja oder Nein auf das sogenannte Ultimatum – und dieses Ja oder Nein solle entscheiden, ob Tausende bluten und sterben sollen – sterben in diesen sonnigen, seligen Frühlingstagen – da war mir, als müßte das Friedenswort fallen und ich konnte nicht anders als betend niederknien –«

      »Um dem lieben Gott die Sachlage mitzuteilen, du Herzensnärrchen?«

      Die Hausglocke ertönte. Schnell trocknete ich meine Tränen. Wer konnte das sein – so früh?

      Es war mein, Vater. Er kam heftig hereingestürzt.

      »Nun Kinder,« rief er atemlos, indem er sich in einen Lehnsessel warf. »Wißt ihr schon die große Nachricht – das Ultimatum ...«

      »Soeben habe ichs meiner Frau erzählt ...«

      »Sag' Papa, was meinst du,« fragte ich bange, »wird der Krieg dadurch abgewendet?«

      »Ich wüßte nicht, daß ein Ultimatum jemals einen Krieg abgewendet hätte. Vernünftig wäre es wohl von diesem italienischen Jammerpack, wenn es nachgeben würde und sich keinem neuen Novara aussetzte ... Ach, wäre der gute Vater Radetzky nicht voriges Jahr gestorben, ich glaube, er hätte, trotz seiner neunzig Jahre, sich noch einmal an die Spitze seines Heeres gestellt und ich wäre, bei Gott, auch wieder mitmarschiert ... Wir zwei haben's ja schon gezeigt, wie man mit dem welschen Gesindel fertig wird. Sie haben aber noch nichts genug daran, die Katzelmacher – sie wollen eine zweite Lektion haben! Auch recht: unser lombardisch-venetianisches Königreich wird sich durch das piemontesische Gebiet ganz schön vergrößern lassen – ich sehe schon den Einzug unserer Truppen in Turin.«

      »Aber Papa, du sprichst ja, als wäre der Krieg schon erklärt und als wärst du darüber froh. Doch wie, wenn Arno mitgehen muß?« Es standen mir schon wieder die Tränen in den Augen.

      »Das wird er auch – der beneidenswerte Junge.«

      »Aber meine Angst – die Gefahr –«

      »Ach was, Gefahr! Man kommt vom Kriege auch nach Hause, wie Figura zeigt. Ich habe mehr als eine Kampagne mitgemacht. Gott sei Dank, bin auch mehr als einmal verwundet worden – und bin doch am Leben weil es mir eben bestimmt war, am Leben zu bleiben.«

      Die alte fatalistische Redensart! Dieselbe, welche für Rurus künftige Berufswahl hatte herhalten müssen und die mir auch jetzt wieder als ein Stück Weisheit einleuchtete.

      »Wenn etwa mein Regiment nicht beordert werden sollte –« begann Arno.

      »Ach ja«, unterbrach ich freudig, »das ist auch noch eine Hoffnung.«

      »Dann lasse ich mich versetzen, wenn möglich –«

      »Es wird schon möglich sein«, versicherte mein Vater, »Heß bekommt den Oberbefehl und der ist mein guter Freund.«

      Das Herz zitterte mir, aber dennoch konnte ich nicht anders, als diese beiden Männer bewundern. Mit welch fröhlichem Gleichmut sie von einem kommenden Feldzug sprachen, als handelte es sich um einen geplanten Spaziergang. Mein tapferer Arno wollte sogar – auch wenn ihn die Pflicht nicht riefe – freiwillig vor den Feind ziehen, und mein großdenkender Vater fand das ganz einfach und natürlich. Ich raffte mich auf. Fort mit meinem kindischen, weibischen Bangen! Jetzt galt es, mich dieser meiner Lieben würdig zu zeigen, das Herz über alle egoistischen Befürchtungen erheben und nur dem schönen Bewußtsein Raum geben: Mein Gatte ist mein Held.

      Ich sprang auf und hielt ihm die Hände hin:

      »Arno, ich bin stolz auf dich!«

      Er zog meine Hände an seine Lippen; dann an den Vater gewendet, mit freudestrahlender Miene: »Das Mädel hast du gut erzogen, Schwiegervater!«

      * * *

      Abgelehnt! Das Ultimatum abgelehnt! So geschehen in Turin am 26. April. Die Würfel gefallen – der Krieg »ausgebrochen!« Seit einer Woche war ich auf die Katastrophe gefaßt,

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