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davon zwischen den Blättern festgebannt. Aber nein: für meinen Gram und meine Schmerzen fand ich nicht genug Klagen, Gedankenstriche und Ausrufungszeichen; die jammervollen Dinge mußten der Mit- und Nachwelt sorgfältig vorgeheult werden, aber die schönen Stunden, die habe ich schweigend genossen. – Ich war nicht stolz auf mein Glücklichsein und gab es daher niemand – nicht einmal mir selber im Tagebuche – kund und zu wissen! Nur das Leiden und Sehnen empfand ich als eine Art Verdienst, daher das viele Großtun damit. Wie doch diese roten Hefte alle meine traurigen Lagen getreulich spiegeln, während zu frohen Zeiten die Blätter ganz unbeschrieben blieben. Zu dumm! Das ist, als sammelte einer während eines Spazierganges – um Andenken daran nach Hause zu bringen – als sammelte er von den Dingen, die er auf dem Wege findet, nur das Häßliche; als füllte er seine Botanisierbüchse nur mit Dornen, Disteln, Würmern, Kröten, und ließe alle Blumen und Falter weg.

      Dennoch, ich erinnere mich: es war eine herrliche Zeit. Eine Art Feenmärchentraum. Ich hatte ja alles, was ein junges Frauenherz nur begehren kann: Liebe, Reichtum, Rang, Vermögen – und das meiste so neu, so überraschend, so staunenerregend! Wir liebten uns wahnsinnig, mein Arno und ich, mit dem ganzen Feuer unserer lebensstrotzenden, schönheitssicheren Jugend. Und zufällig war mein glänzender Husar nebenbei ein braver, herzensguter, edeldenkender Junge, mit weltmännischer Bildung und heiterem Humor (er hätte ja ebenso gut – was bot der Marienbader Ball für eine Bürgschaft dagegen? – ein böser und ein roher Mensch sein können) und zufällig war auch ich ein leidlich gescheites und gemütliches Ding (er hätte auf besagtem Balle ebenso gut in ein launenhaftes hübsches Gänschen sich verlieben können); so kam es denn, daß wir vollkommen glücklich waren und daß infolgedessen das rotgebundene Lamento-Hauptbuch lange Zeit leer blieb.

      Halt: hier finde ich eine fröhliche Eintragung – Verzückungen über die neue Mutterwürde. Am ersten Januar 1859 (war das ein Neujahrsgeschenk!) ward uns ein Söhnchen geboren. Natürlich erweckte dieses Ereignis so sehr unser Staunen und unsern Stolz, als wären mir das erste Paar, dem so was passierte. Daher wohl auch die Wiederaufnahme des Tagebuchs. Von dieser Merkwürdigkeit, von dieser meiner Wichtigkeit mußte die Nachwelt doch unterrichtet werden. Ferner ist das Thema »junge Mutter« so vorzüglich kunst- und literaturfähig. Dasselbe gehört zu den bestbesungenen und fleißig bemalten Vorwürfen; dabei läßt sich so gut mystisch und heilig gerührt und pathetisch, naiv und lieblich – kurz ungeheuer poetisch gestimmt sein. Zur Pflege dieser Stimmung tragen ja (so wie die Schulbücher zur Pflege der Kriegsbewunderung) alle möglichen Gedichtsammlungen, illustrierte Journale, Gemäldegalerien und landläufige Entzückungsphrasen unter der Rubrik »Mutterliebe«, »Mutterglück«, »Mutterstolz« nach Kräften bei. Was zunächst der Heldenanbetung (siehe Carlyles hero-worship) im Vergötterungsfach Höchstes geleistet wird, das leisten die Leute in baby-worship. Natürlich blieb hierin auch ich nicht zurück. Mein kleiner herziger Ruru war mir das wichtigste Weltwunder. Ach, mein Sohn – mein erwachsener herrlicher Rudolf – was ich für dich empfinde, dagegen verblaßt jene kindische Babybestaunung – dagegen ist jene blinde, affenmäßige, jungmütterliche Freßliebe so nichtig, wie ein Wickelkind ja selber gegen einen entfalteten Menschen nichtig ist ...

      Auch der junge Vater war nicht wenig stolz auf seinen Nachfolger und baute die schönsten Zukunftspläne auf ihn. »Was wird er werden?« Diese eben noch nicht sehr dringende Frage wurde des öfteren über Rurus Wiege vorgelegt, und immer einstimmig entschieden: Soldat. Manchmal erwachte ein schwacher Protest von seiten der Mutter: »Wie aber, wenn er im Kriege verunglückt?« »Ach bah« ward dieser Einwurf weggeräumt – »es stirbt ja doch jeder nur dort und dann, wie es ihm bestimmt ist.« Ruru würde ja auch nicht der einzige bleiben; von den folgenden Söhnen mochte in Gottes Namen einer zum Diplomaten, ein anderer zum Landwirt, ein dritter zum Geistlichen erzogen werden, aber der älteste, der mußte seines Vaters und Großvaters Beruf – den schönsten Beruf von allen – erwählen, der mußte Soldat werden.

      Und dabei ist's geblieben. Ruru wurde schon mit zwei Monaten von uns zum Gefreiten befördert. Werden doch alle Kronprinzen gleich nach der Geburt zu Regimentsinhabern ernannt, warum sollten wir unsern Kleinen nicht auch mit einem imaginären Rang schmücken? Das war uns ein Hauptspaß, dieses Soldatenspielen mit einem Baby. Arno salutierte, so oft sein Bub auf den Armen der Amme ins Zimmer gebracht wurde. Letztere nannten wir die Marketenderin, und was bei dieser das Fouragemagazin hieß, lasse ich erraten; Rurus Geschrei ward Alarmsignal geheißen, und was »Ruru sitzt auf dem Exerzierplatz« bedeutete, lasse ich abermals erraten sein.

      Am 1. April, als am dritten Monatstage seiner Geburt (nur die Jahrestage zu feiern hätte zu gar zu seltenen Festen Anlaß gegeben), rückte Ruru vom Gefreiten zum Korporal vor. An jenem Tage geschah aber auch etwas Düsteres; etwas, was mir das Herz schwer machte und mich veranlaßte, es in den roten Heften auszuschütten.

      Schon längere Zeit war am politischen Horizont der gewisse »schwarze Punkt« sichtbar, über dessen mögliches Anwachsen von allen Zeitungen und allen Salongesprächen die lebhaftesten Kommentare geliefert wurden. Ich hatte bis jetzt nicht darauf geachtet. Wenn mein Mann und mein Vater und deren militärische Freunde auch öfters vor mir gesagt hatten: »Mit Italien setzt es nächstens etwas ab«, so war das an meinem Verständnis abgeprallt. Mich um Politik zu kümmern, hatte ich gerade Zeit und Lust! Da mochte um mich herum noch so eifrig über das Verhältnis Sardiniens zu Österreich, oder über das Verhalten Napoleons III. debattiert werden, dessen Hilfe Cavour durch die Teilnahme am Krimkriege sich zugesichert hatte: da mochte man immerhin von der Spannung reden, welche zwischen uns und den italienischen Nachbarn durch diese Allianz hervorgerufen worden – das beachtete ich nicht. Aber an jenem 1. April sagte mir mein Mann allen Ernstes:

      »Weißt du, Schatz – es wird bald losgehen.«

      »Was wird losgehen, mein Liebling!«

      »Der Krieg mit Sardinien.«

      Ich erschrak. »Um Gotteswillen – das wäre furchtbar! Und mußt du mit?« »Hoffentlich.«

      »Wie kannst du so etwas sagen? Hoffentlich fort von Weib und Kind?«

      »Wenn die Pflicht ruft ...«

      »Dann kann man sich fügen. Aber hoffen – das heißt also wünschen, daß einem solch bittere Pflicht erwachse –«

      »Bitter? So ein frischer, fröhlicher Krieg muß ja was Herrliches sein. Du bist eine Soldatenfrau – vergiß das nicht –«

      Ich fiel ihm um den Hals ...

      »O du mein lieber Mann, sei ruhig: ich kann auch tapfer sein ... Wie oft habe ich's den Helden und Heldinnen der Geschichte nachempfunden, welch erhebendes Gefühl es sein muß, in den Kampf zu ziehen. Dürfte ich nur mit – an deiner Seite fechten, fallen oder siegen!«

      »Brav gesprochen, mein Weibchen! – aber Unsinn. Dein Platz ist hier an der Wiege des Kleinen, in dem auch ein Vaterlandsverteidiger groß gezogen werden soll. Dein Platz ist an unserem häuslichen Herd. Um diesen zu schützen und vor feindlichem Überfall zu wahren, um unserem Heim und unseren Frauen den Frieden zu erhalten, ziehen mir Männer ja in den Krieg.«

      Ich weiß nicht, warum mir diese Worte, welche ich in ähnlicher Fassung doch schon oft zustimmend gehört und gelesen hatte, diesmal einigermaßen als »Phrase« klangen ... Es war ja kein bedrohter Herd da, keine Barbarenhorden standen vor den Toren – einfach politische Spannung zwischen zwei Kabinetten ... Wenn also mein Mann begeistert in den Krieg ziehen wollte, so war es doch nicht so sehr das dringende Bedürfnis, Weib und Kind und Vaterland zu schützen, als vielmehr die Lust an dem abenteuerlichen, Abwechslung bietenden Hinausmarschieren – der Drang nach Auszeichnung – Beförderung ... Nun ja, Ehrgeiz ist es – schloß ich diesen Gedankengang – schöner berechtigter Ehrgeiz, Lust an tapferer Pflichterfüllung!

      Es war schön von ihm, daß er sich freute, wenn er zu Felde ziehen mußte; aber noch war ja nichts entschieden. Vielleicht würde der Krieg gar nicht ausbrechen, und selbst für den Fall, daß man sich schlage, Wer weiß, ob gerade Arno wegkommandiert würde – es geht ja doch nicht immer die ganze Armee vor den Feind. Nein, dieses so herrliche, abgerundete Glück, welches mir das Schicksal zurecht gezimmert hatte, konnte doch dieses selbe Schicksal nicht so roh zertrümmern. – O Arno, mein vielgeliebter Mann – dich in Gefahr zu wissen,

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