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       1.2Das dialektische Konzept: Tanz der Gegensätze

       »Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann.« 7

      Antonio Gramsci

      Der Begriff Dialektik bezeichnet eine Form des Denkens, die durch den Prozess der Bearbeitung von Widersprüchen zu deren Aufhebung – in der doppelten Bedeutung von »Auf-Lösung« und »Aufbewahrung« – und damit zu neuen Erkenntnissen führt. Dialektik ist ursprünglich die Kunst des Diskurses, der Rede und Gegenrede, der Argumentation und Widerlegung zur Überwindung von Widersprüchen. Das Veränderungskonzept der Dialektik zeichnet ein dynamisches Bild von Prozessen, das in einer stetigen Auseinandersetzung zwischen These, Antithese und Synthese besteht, die zu einer Weiterentwicklung des Bewusstseins und Handelns führt.

      »Die Wirklichkeit wird im dialektischen Denken als etwas aufgefasst, das sich in ständiger Bewegung befindet, das verändert wird und selbst verändert, das aufhebt und aufgehoben wird.«8

      Im Zentrum des dialektischen Veränderungsmodells steht der Gegensatz, der Widerspruch, der Konflikt: ohne Gegensätze, ohne Widersprüche und Konflikt keine Veränderung. Das dialektische Konzept beschreibt Veränderung als einen kontinuierlichen Prozess der Bearbeitung von Widersprüchen. Weil aber das Leben voller Widersprüche und Konflikte ist, kann es keinen »veränderungslosen« Moment im Leben lebendiger Systeme geben, Veränderung ist Leben, das Leben ist Veränderung, keine Veränderung ist gleichbedeutend mit Tod.

      Veränderungen lebender Systeme werden im dialektischen Verständnis nicht als lineare Prozesse gedacht, sondern als schleifenförmige Bewegungen, als kontinuierlicher Tanz der Widersprüche. Bei gesellschaftlichen Veränderungen sind wir selbst die Tänzer und Tänzerinnen, die widersprüchliche Themen, Interessen oder Vorstellungen in der Gesellschaft vertreten. Der Tanz ist also nicht harmonisch, man steigt einander durchaus auf die Füße, kämpft um die Führung.

      Die Gegensätze werden bei diesem Tanz nicht zerstört und entfernt, sondern bleiben in den beiden Seiten aufgehoben. Das wunderbare Zeichen von Yin und Yang zeigt diese »Aufhebung« und »Behebung« der Gegensätze (siehe Abb. 2):

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      Abb. 2: Yin und Yang

      Das einleitende Zitat von Antonio Gramsci beschreibt die gesellschaftliche Geschichte als einen kontinuierlichen Prozess des Entstehens und Vergehens: Das eine, die These, vergeht in einem Prozess der Dekadenz, des Abstiegs; das andere, die Antithese, entsteht in einem Prozess der Aszendenz, des Aufstiegs. Das dialektische Modell von Veränderung ist ein Prozess, in dem das Alte ein Neues hervorbringt und von diesem abgelöst wird. Das Neue enthält dabei Elemente des Alten, das Alte hat das Neue immer schon wie einen Samen in sich getragen.

      Irgendwann wird das Neue selbst zu einem Alten und ein Neues, ein anderes Neues entsteht. Das ist der dialektische Gang der Geschichte und der Entwicklung: Jede gesellschaftliche Situation bringt durch die »Aufhebung der Widersprüche« eine neue Entwicklungsform hervor.

      Dieser Prozess verläuft nicht harmonisch und glatt. Im Übergang des einen Prinzips zum anderen entsteht ein Moment des »Niemandslands«, eine Krise (siehe Abb. 3). Von Krise sprechen wir dann, wenn dieser Kampf der Widersprüche noch nicht entschieden ist: Wird sich das Alte – das Traditionelle, Gewohnte, Bekannte – durchsetzen, oder wird sich etwas Neues, das Zukünftige, Riskante, Aufregende Bahn brechen? In dieser Unentschiedenheit ist alles offen, es wird an unterschiedlichen Ecken und Enden gezogen, es wird gekämpft und schließlich entschieden.

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      Abb. 3: Dialektisches Konzept von Veränderung

      In ihrer politischen Ökonomie wenden Karl Marx und Friedrich Engels diese Formen des dialektischen Prozesses auf gesellschaftliche Veränderungen an: Als Träger dieser gesellschaftlichen Hauptwidersprüche sahen Marx und Engels die unterschiedlichen gesellschaftlichen Klassen, ihre unterschiedlichen Lebensbedingungen und gegensätzlichen Ziele und Interessen:

      »Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.«9

      So lautet die einleitende These des Manifests der Kommunistischen Partei (erstmals veröffentlicht in London im Februar 1848). Gesellschaftliche Entwicklungen werden als Auseinandersetzungen zwischen den jeweils »herrschenden Klassen« und den »beherrschten« Klassen gesehen. Dieser Prozess – der Klassenkampf – treibt im marxistischen Bild die gesellschaftlichen Veränderungen, die Geschichte, an. Aus diesem Verständnis von Veränderung und Geschichte entstand der kommunistische Traum einer gesellschaftlichen Situation, in der die gesellschaftlichen Widersprüche aufgehoben sind und die zu einer neuen Synthese, der »klassenlosen Gesellschaft«, führt.

      Die Phase des Übergangs ist eine Zeit des Kampfes, in der es um die Frage geht, welches Prinzip, welche Interessen, welche Standpunkte sich durchsetzen. Es sind Machtkämpfe, die diese Wendepunkte der Gesellschaft prägen.

      Yuval Harari drückt das so aus: »Wir leben an der Schwelle zwischen Himmel und Hölle.«10

       1.3Das systemische Konzept11

      Ausgangspunkt für systemisches Denken ist der Begriff »System«. Ein System wird als ein Set von Elementen beschrieben, die miteinander verbunden und zusammengehörig sind. Diese Elemente markieren gemeinsam eine Systemgrenze und schaffen eine Differenz zwischen dem Innen, dem System, und dem Außen, der Umwelt des Systems.

      Wer aber wählt die Elemente aus, wer setzt sie in einen Zusammenhang, wer markiert die Grenze des Systems und seiner Umwelt? Die Antwort aus systemischer Sicht lautet: Es ist der Beobachter, wir sind es selbst, die Systeme schaffen, indem wir Elemente auswählen und zusammenstellen und indem wir unterscheiden, was zum System gehört und was nicht. Systeme sind daher nicht einfach so da, sie sind unsere eigenen Konstruktionen.

      Systemisches Denken ist ein komplexes Theoriegebäude12, das sich mit folgenden Fragen beschäftigt:

       1)Wie konstruiert der Beobachter, wie entstehen Wahrnehmung und Erkenntnis über die Welt?

       2)Wie konstruiert der Beobachter Interaktionen und Bewegungen zwischen den Elementen des Systems, und welche Regeln, welche Muster zeichnet er bei den Operationsweisen lebender Systeme?

       3)Welche Systeme unterscheiden wir? Biologische Systeme wie Pflanzen und Tiere; kognitive Systeme, damit sind Menschen gemeint, und soziale Systeme wie Gruppen, Familien, Organisationen bis hin zur menschlichen Gesellschaft.

      Ein systemisches Konzept von Veränderung setzt bei der Frage an, welche Prozesse in lebenden Systemen zu beobachten sind, welche Veränderungen diese Prozesse aufweisen und nicht zuletzt bei der Frage, welche Rolle Beobachter innehaben. Dabei spielt die Kybernetik eine zentrale Rolle.

       Kybernetik

      Das Wort Kybernetik bedeutet Steuerung und Regelung und beschreibt Phänomene der wechselseitigen Beeinflussung der Elemente eines Systems. Kybernetische Prozesse sind Regelkreise, bei denen jedes Element zugleich Ursache und Wirkung der Interaktion ist. Niemand steuert diese Interaktion, sie steuert sich gleichsam selbst (siehe Abb. 4).

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      Abb. 4: Kybernetischer Regelkreis

      Ein für solche Regelkreise häufig herangezogenes technisches Beispiel ist die Zentralheizung: Der Thermostat wird auf eine bestimmte Temperatur eingestellt, die Therme heizt, bis die gewünschte Temperatur erreicht ist, daraufhin gibt der Thermostat ein Signal an die Therme, die aufhört zu heizen, bis die Temperatur wieder absinkt. Der Thermostat

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