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Schreiben dieses Buches hat mich die Beobachtung angeregt, dass es in der Gesellschaft sehr viele Menschen, Bewegungen und Organisationen – NGOs, Unternehmen, Institutionen – gibt, deren Anliegen es ist, in gesellschaftliche Veränderungsprozesse so einzugreifen, dass die Gesellschaft nachhaltiger, gerechter und friedlicher wird. Ich habe mich – vermutlich wie viele andere Menschen auch – immer wieder gefragt, warum es denn so schwierig ist, diese Absicht umzusetzen. Meine persönliche Hypothese dazu lautet: Jene, die gesellschaftliche Transformationen herbeiführen oder sich daran beteiligen wollen, schwanken häufig zwischen zwei Polen von Veränderung:

       1)einer tiefen Analyse, die Kritik an gesellschaftlichen Zuständen und eine tiefe Empörung über diese auslöst, und

       2)einer Vision, einem Zukunftsideal, in dem alle diese Zustände überwunden sind.

      Über den Weg zur Verbindung dieser beiden Pole besteht Unklarheit und es werden kontroverse und ideologische Debatten geführt. Es mangelt also, so meine Hypothese, an Strategien. Diese Lücke möchte ich füllen. Dafür erscheint es mir als notwendig, systemisch weiter zu denken, und zwar in drei Dimensionen:

       kontextuell über den Tellerrand von Organisationen hinaus in deren gesellschaftliche Umwelt

       zeitlich aus der Gegenwart in die Zukunft

       inhaltlich bezogen auf die Erweiterung der Themen und Inhalte von gesellschaftlicher Transformation.

      »Alles Gesagte ist von jemandem gesagt«1 – so lautet ein weiser Spruch von Humberto Maturana und Francisco Varela. Das gilt natürlich auch für das Geschriebene und daher auch für dieses Buch. Sie, lieber Leser, liebe Leserin, sollen wissen, wer das vorliegende Buch schreibt und wessen Gedanken Sie hier finden. Ich darf mich also vorstellen:

      Seit mehr als 30 Jahren bin ich als systemische Beraterin von Organisationen und Begleiterin von Veränderungsprozessen tätig. In diesen Jahren habe ich nicht nur viele, sondern auch sehr unterschiedliche Organisationen begleitet: von kleinen Start-ups bis zu globalen Konzernen (genauer: deren lokalen Niederlassungen), von mittelständischen Unternehmen bis zu NGOs mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Anliegen, gesellschaftliche Institutionen wie wissenschaftliche Einrichtungen und Interessensvertretungen. Ich hatte die Möglichkeit, viel Erfahrung mit Veränderungsprozessen zu sammeln, viele unterschiedliche Formen von Organisationen und zahlreiche Ansätze, Methoden, Instrumente für Change-Management kennenzulernen. Systemisches Denken war, seit ich es erlernt habe, die stärkste und verlässlichste Basis meiner Arbeit.

      Ich habe in meiner Beratungsarbeit gelernt, wie wichtig neben dem systemischen Denken eine professionelle systemische Haltung ist. Zu dieser gehören zwei Prinzipien:

       Abstand zum Kundensystem halten, um aus anderen Perspektiven andere Beobachtungen und Ideen für Lösungen einbringen und damit nützlich sein zu können

       in Äquidistanz zu allen Personen, Strömungen und Zielen in der Organisation zu bleiben, also niemals Partei zu ergreifen und sich damit niemals zum Werkzeug einzelner Akteure und Akteurinnen in der Organisation machen zu lassen.

      Doch wenn ich mir hier vornehme, ein Konzept für Strategien gesellschaftlicher Transformation zu entwerfen, dann muss ich diese beiden Ansprüche wohl aufgeben: Ich habe als Mitglied der Gesellschaft keine Möglichkeit, Abstand zu halten, und ich kann auch nicht neutral sein, denn ich habe meine gesellschaftspolitischen Vorstellungen, Werte und Tendenzen. Diese gesellschaftspolitische Position fließt in das Buch ein, und ich will sie daher hier offenlegen:

      Als Kind in einer politisch linken Familie waren Gespräche über Gesellschaft und Veränderung bei uns immer am Tisch. Man diskutierte über die Ungerechtigkeit in der Welt, über den Kampf für Frieden und einen Wunsch nach Gleichheit unter den Menschen. Trotz vieler politischer Schlingen und Schleifen in meinem Leben ist mir die Sehnsucht nach einer gerechten und friedlichen Welt immer geblieben. Ich war immer eine Weltverbesserin und habe meine politische Orientierung immer als links bezeichnet.

      In meiner beruflichen Arbeit habe ich darauf geachtet, einen Beitrag zu leisten, um Organisationen zu einem möglichst guten Arbeitsrahmen für Menschen zu machen. Ich musste mich erfreulicherweise niemals verbiegen, verstellen und meine Werte verraten – auch wenn ich für Organisationen tätig war, die mit meinen persönlichen Werten nicht unbedingt übereinstimmten.

      Ich habe in meinem Leben viel Glück gehabt und vieles lernen können. Jetzt möchte ich etwas davon zurückgeben. Dieses Buch ist ein Experiment, meine Beratungserfahrung für Transformationsprozesse der Gesellschaft anzubieten, Methoden vorzustellen und damit einen Beitrag zu leisten, an einer guten Entwicklung der Gesellschaft mitzuwirken.

      Das Schreiben dieses Buches war für mich eine der aufregendsten und anregendsten Reisen meines Lebens. Meine Reisebegleiter waren viele Menschen, mit denen ich diskutiert habe, von denen ich lernen konnte und mit denen gemeinsam ich mich engagiert habe. Begleiter waren auch Bücher, die über eine längere Zeit mein Arbeitszimmer bevölkerten. Sie waren für mich Dialogpartner, Lehrmeister, Freunde. Sie gaben mir einen Einblick in den wissenschaftlichen Diskurs, der – wie aus den Erscheinungsdaten der Bücher abzulesen ist –, in den vergangenen Jahren, insbesondere seit der Finanzkrise und seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA, stattfand und stattfindet.

      Mit diesem Buch möchte ich Menschen ansprechen, die sich für gesellschaftlichen Wandel, für eine gute Zukunft für alle engagieren: Menschen, die in NGOs, in Unternehmen oder in Initiativen und Bewegungen aktiv sind – oder aktiv werden wollen. Es ist ein Angebot von Themen, Methoden und wissenschaftlichen Erkenntnissen und eine Einladung, das für sich herauszuholen, was für das eigene Engagement hilfreich ist. Man muss dieses Buch nicht von vorne bis hinten lesen, man kann das herausfiltern, das neu oder hilfreich ist.

      Noch ein Wort zum Gendern: Ich habe nicht durchgehend die üblichen Genderformen verwendet, sondern jeweils entschieden, an welchen Stellen ich es wichtig finde, die weibliche und die männliche Formulierung zu verwenden, und an welchen nicht.

       Danksagung

      Ich danke den vielen Freunden und Freundinnen, mit denen ich mich in den wilden Achtundsechziger-Jahren gemeinsam durch Marx und Hegel, durch Horkheimer und Adorno durchgearbeitet und in zahllosen Nächten über das gesellschaftliche Paradies diskutiert habe. Ich danke meinen beiden Lehrern Fritz B. Simon und Gunthard Weber, die mir systemisches Denken nahegebracht haben, Dirk Baecker, der mir mit seinen verwirrenden Gedanken zu mehr Klarheit geholfen hat, und meinem Kollegen Paul Tolchinsky, von dem ich vieles über Change-Management gelernt habe.

      Möglicherweise werden nicht alle Menschen, die dieses Buch lesen, mit allen meinen Thesen und Formulierungen einverstanden sein, manche werden sich daran reiben. Für manche werden einige meiner Gedanken vielleicht unverständlich oder unlogisch sein. Dieses Buch enthält keine endgültige Wahrheit über die politischen Zustände und wird sich vermutlich selbst immer wieder transformieren. Lieber Leser, liebe Leserin, Ihr Feedback wird mir zur Anregung dienen, weiter zu lernen und meine Gedanken und auch dieses Buch zu verändern. Es ist »collaboration in progress«.

       Wien, im Februar 2022

       Ruth Seliger

       1Modelle von Veränderung

       »Wo immer Menschen etwas bewirken wollen, brauchen sie Modelle, die Veränderung erklären.« 2

      Fritz B. Simon

      Es geht um Veränderung. Veränderung ist ein schillernder Begriff, unter dem wir alles Mögliche verstehen können: Lernen, Entwicklung, eine andere Richtung einschlagen, vorläufige Veränderungen oder den Tod, eine unumkehrbare Veränderung.

      In diesem Buch geht es um Veränderungen lebender Systeme, insbesondere des Systems Gesellschaft.

      Nur lebende Systeme

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