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in die Gesellschaft tragen, nicht als ›Zivil‹gesellschaft zu sehen.«48

      Zivilgesellschaftliche Bewegungen sind »Kinder einer Gesellschaft«, allerdings sind sie kritische Kinder. Sie greifen nicht nur gesellschaftliche Themen auf, sie vertreten im Allgemeinen auch bestimmte Werthaltungen und gesellschaftliche Zukunftsbilder. Sie sind – je nach ihren Themen und Zielen – sehr unterschiedlich: Manche Bewegungen wirken wie romantische Lagerfeuergemeinschaften, manche agieren wie subversive Kampftruppen, manche sind elitäre Diskussionszirkel, sehr viele sind aber auch professionell organisierte Organisationen und kooperieren über den gesamten Globus hinweg.

      So weit der Versuch einer Beschreibung von Gesellschaft und ihren Möglichkeiten der Veränderung. Unser Bezugsrahmen ist gesellschaftliche Transformation. Das führt zur nächsten Frage: Was sollte sich verändern und warum? Um die Gesellschaft »beraten« zu können, brauchen wir einen Auftrag.

       3Problembeschreibung und Auftragsklärung

       3.1Die Probleme der Gesellschaft – erste Bestandsaufnahme der Krise

      Unsere Weltgesellschaft steckt in einer Krise. Darüber besteht ein gesellschaftlicher Konsens. Der öffentliche Diskurs ist stark von Problembeschreibungen und Zukunftsängsten geprägt. Es ist beeindruckend, wie viele Publikationen über den Zustand der Gesellschaft in den vergangenen fünf Jahren erschienen sind. Viele davon sind Problemanalysen, andere sind Lösungsempfehlungen. Um einen gewissen Überblick über Problembeschreibungen zu gewinnen, greife ich auf die Erkundungen und Erkenntnisse von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen sowie Experten und Expertinnen zurück.

      Die Welt, vor allem die westliche Welt, wurde schon oft von Krisen gebeutelt und hat sich laufend verändert. Eine fundamentale Krise der Neuzeit war vermutlich das Ende der Herrschaft der katholischen Kirche und der Beginn der Aufklärung im 16. Jahrhundert. Das Menschen- und Weltbild veränderte sich, der Alleinanspruch der Kirche, die Wahrheit zu kennen und zu definieren, ging zu Ende. Die Welt, die Gesellschaft und vor allem der Mensch wurden durch die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse und durch die Philosophie der Aufklärung neu gezeichnet. Der Paradigmenwechsel wurde also zwischen Kirche und Wissenschaft, zwischen religiösem Dogma und Aufklärung ausgetragen. Dieser Kampf ist noch immer nicht ganz entschieden: Wir drohen derzeit durch religiösen Fundamentalismus und alte Herrschaftsideen wieder ins Mittelalter zurückzufallen.

      Autoren und Autorinnen aus den unterschiedlichen wissenschaftlichen Feldern beschreiben die derzeitige krisenhafte Situation unserer Gesellschaft als fundamentalen Umbruch, der eine Reihe von Problemstellungen umfasst:

       Bindung geht verloren: Vertraute Prinzipien und Spielregeln des gesellschaftlichen Umgangs und Zusammenlebens verändern sich: Wir sind Egoisten geworden, und ein »Verlust des Mitgefühls«49 bestimmt unser Zusammenleben.

       Die Welt ist unverständlich: Wir verstehen die komplexe Welt nicht mehr und erkennen, dass wir die Welt mit reiner Logik und mit Informationen allein nicht mehr erklären können, wie das seit der Aufklärung unterstellt wurde. Wir sind daher darauf angewiesen, unseren Autoritäten zu vertrauen. In der Coronakrise müssen wir unseren Virologen und Virologinnen sowie den Politikern und Politikerinnen vertrauen, wir haben keine Chance, ihre Aussagen zu überprüfen. Wir glauben jenen, die wir für glaubwürdig halten.

       Das Ende der Wahrheit: Indem wir die Welt kaum noch verstehen, entscheiden wir notgedrungen aus dem Bauch heraus, auch wenn wir offenkundig angelogen werden.50 Sobald Politiker und Politikerinnen unsere Liebe gewonnen haben, ist es uns egal, ob sie lügen oder nicht. Wesentlich trägt dazu eine immer mehr um sich greifende Verdummung durch die digitalen Echokammern51 bei, in denen sich wiederholende einfache Gedanken immer wieder bestätigen, bis sie zur »gefühlten Wahrheit« werden.

       Wahlunfreiheit: Wir können beobachten, wie wir unsere Freiheit und Wahlfreiheit aufgeben, uns bei politischen Entscheidungen von gutem Marketing leiten lassen. Unsere Wahlfreiheit verlagert sich auf die Entscheidungen zwischen Waschmitteln, Automarken oder Urlaubsdestinationen. Wir gehen freiwillig in die Unfreiheit, wie Timothy Snyder es formuliert.52

       Markt macht Politik: Politik ist zu einem von vielen Aspekten der Wirtschaft verkommen. Politisches Wahlverhalten wird von gut orchestrierten Kommunikations- und Marketingteams gemanagt, es geht um »Marktanteile«, die mittels »Marktanalysen« gesteuert werden.53 Bürger und Bürgerinnen sind zu »Konsumenten« von Politik geworden.

       Kommunikation als Kampfplatz: Wir erleben, wie in der öffentlichen Kommunikation laufend Tabus gebrochen werden und eine Normalisierung von Hass und Rassismus stattfindet.54 Dahinter steht ein Auseinanderdriften und eine Polarisierung der Gesellschaft, eine Radikalisierung in vielerlei Hinsicht: religiös, national, rassistisch. Ein Unterscheidung von »Ich und die anderen«55, wie die Philosophin Isolde Charim ihr Buch betitelt.

       Das Herz schlägt rechts: Und nicht zuletzt können wir einen globalen politischen Rechtsruck beobachten, der durchaus innerhalb demokratischer Regeln und durch Wahlen wächst und die Demokratie von innen her zerfrisst. Regula Stämpfli nennt diese Entwicklung »Trumpismus«.56 Diese Entwicklung hat vermutlich sehr viele Ursachen. Eine davon liegt in dem Bündnis zwischen den Eliten einer Gesellschaft und dem Pöbel, wie Hannah Arendt es formuliert:

      »Only the mob and the elite can be attracted by the momentum of totalitarianism itself. The masses have to be won by propaganda.«57

      Diese Liste von Phänomenen der derzeitigen Krise ließe sich noch verlängern. Aber die hier aufgelisteten Beschreibungen sind Grund genug, Veränderungen zu wünschen. Die Krise liegt förmlich in der Luft, und sie ist für uns existenziell bedrohlich.

       Die großen Themen der Transformation

      Jeremy Rifkin nennt das Zusammentreffen neuer Produktionsmittel und neuer Kommunikationstechnologien als den wichtigsten Auslöser gesellschaftlicher Veränderungen.58 Wir befinden uns heute mitten in einer technologischen Veränderung weg von der fossilen Industriegesellschaft hin zu einer digitalen Gesellschaft. Die digitale Technologie verändert vor allem unsere Kommunikation, die ja das Kernelement der Gesellschaft ist, vollkommen. Wir haben die Krise in ihren Erscheinungsformen beschrieben. Doch worum geht es inhaltlich bei dieser Krise? Welche Themen und Fragen beschäftigen uns heute, welche Gegensätze bestimmen unsere Krise? Was ist heute das »Alte, das stirbt«, und was ist das »Neue, das geboren werden will« (siehe Abb. 3)?

      Meine Beobachtung des öffentlichen Diskurses in Medien, wissenschaftlichen Untersuchungen, aber auch der Problemstellungen von Unternehmen, die auf diese Herausforderungen reagieren müssen, führen mich zu drei großen Themenfeldern, die sich, da sie noch nicht gelöst sind, als Krisenfelder zeigen und sich als die Kernelemente der aktuellen gesellschaftlichen Krise zusammenfassen lassen:59

       die ökologische Krise: Zerstörung unseres Lebensraums Natur, der Umwelt durch Erderwärmung, Verschmutzung und Vernichtung.

       die ökonomische Krise, entstanden aufgrund der Übermacht des Marktes gegenüber der Politik, der Übermacht der Finanzwirtschaft gegenüber der Realwirtschaft, von internationalen Konzernen gegenüber kleineren oder auch lokalen Unternehmen, führt zu einer immer größeren Unausgewogenheit in der Wirtschaft.

       die Demokratiekrise: Die Institutionen der Demokratie werden zunehmend angegriffen und infrage gestellt und dienen sogar als Rahmen für die Legitimierung von Demokratiezerstörung, indem autokratische Politik sich durch Wahlen legitimiert. Bürger und Bürgerinnen werden zu Konsumenten umgedeutet, die die Wirtschaft durch ihren Konsum am Laufen halten.

      Philipp Blom hat die vielfältigen Themen der Krise und die zentralen Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen, mit drei Begriffen umrissen:

      »Die Erderwärmung, die Digitalisierung und die Umerzählung des Menschen zu Verbrauchern

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