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Atemzug seine Aussage: „Deutsch ist meine Muttersprache, und doch mußte ich deutsche Gedichte als ein Verbannter schreiben.“6

      Die Entscheidung des von den Sprachen Rumänisch, Jiddisch, Ukrainisch und Deutsch umgebenen Dichters, trotz des Geschehenen und Erlittenen Gedichte auf Deutsch zu schreiben, wird in den Gedichten selbst thematisch, so schon im frühen Gedicht „Nähe der Gräber“, das 1944 entstanden ist, nachdem CelanCelan, Paul von der Ermordung erfahren hat:

      Kennt noch das Wasser des südlichen Bug,

      Mutter, die Welle, die Wunden dir schlug?

      Weiß noch das Feld mit den Mühlen inmitten,

      wie leise dein Herz deine Engel gelitten?

      Kann keine der Espen mehr, keine der Weiden,

      den Kummer dir nehmen, den Trost dir bereiten?

      Und steigt nicht der Gott mit dem knospenden Stab

      Den Hügel hinan und den Hügel hinab?

      Und duldest du, Mutter, wie einst, ach, daheim,

      den leisen, den deutschen, den schmerzlichen Reim?7

      Die Infragestellung des deutschen Reims in der letzten Strophe des Reimgedichts lässt sich im Sinne eines pars pro toto auf die deutsche Sprache insgesamt beziehen. Nimmt man die Infragestellung nicht nur in Bezug auf den Dialog mit der ermordeten Mutter, sondern auch mit Blick auf die Entscheidung ernst, Gedichte in deutscher Sprache „als ein Verbannter“ schreiben zu müssen, so ist dies auch für den späteren Wohnort Paris als Ort des Schreibens relevant. Es macht einen gravierenden Unterschied, ob deutsche Gedichte in einer deutschsprachigen oder in einer fremdsprachigen Umgebung geschrieben werden. Insofern ist Paris gerade in CelanCelan, Pauls unausgesetzter Entscheidung, auf Deutsch zu schreiben, stets gegenwärtig. In das Deutschsprachige der Gedichte CelanCelan, Pauls ist das Französischsprachige des Wohn- und Schreiborts Paris als erste und wichtigste Bedingung eingegangen. Es handelt sich um eine latente Form der Mehrsprachigkeit, die im Sinne einer Mehr-als-Einsprachigkeit zu verstehen ist. Der damit verbundene Zwang, Gedichte „in der Sprache der Mörder“8 aus einer Position der existentiellen und sprachlichen Exterritorialität schreiben zu müssen, lässt sich als ein stummer, verschluckter Affekt verstehen, der auf der „Oberfläche des Sprechbaren“9, um AusländerAusländer, Roses Formulierung aufzugreifen, nirgends sichtbar oder hörbar wird.

      Die Poetik des in sich mehrsprachig verfassten Gedichts ist bei CelanCelan, Paul eine andere als bei AusländerAusländer, Rose. Während bei AusländerAusländer, Rose die Mehrsprachigkeit des einstmals Vereinigten und Verbrüderten zumindest in der Erinnerung des lyrischen Worts anwesend ist, wird bei CelanCelan, Paul die Sprache des Gedichts ungeachtet seiner mehrsprachigen Verfasstheit in Mitleidenschaft gezogen. Dies reflektiert bereits CelanCelan, Pauls erste Buchpublikation Edgar Jené und der Traum vom Traume, die äußerlich eine Würdigung des Wiener surrealistischen Malers Jené ist, im Kern aber zentrale Aspekte von CelanCelan, Pauls Poetologie enthält.10 Die Reflexion betrifft insbesondere den Begriff des „Geschehenen“, das als ein „das Eigentliche in seinem Wesen Veränderndes“, als ein „starker Wegbereiter unausgesetzter Verwandlung“ bezeichnet wird.11 Aus dieser Verwandlung resultiert eine grundlegende Veränderung der Sprache:

      Ich war mir klar geworden, daß der Mensch nicht nur in den Ketten des äußeren Lebens schmachtete, sondern auch geknebelt war und nicht sprechen durfte […] weil seine Worte (Gebärden und Bewegungen) unter der tausendjährigen Last falscher und entstellter Aufrichtigkeit stöhnten – was war unaufrichtiger als die Behauptung, diese Worte seien irgendwo im Grunde noch dieselben!12

      Spätestens, wenn im Kontext dieser Stelle von der „Asche ausgebrannter Sinngebung“13 die Rede ist, wird deutlich, dass der Bezugspunkt der Rede von der wesensverändernden Kraft des Geschehenen und der Grund für das Stöhnen der unter Unaufrichtigkeit und Lüge leidenden Worte die Erfahrung der Shoah ist, die in der Geschichte der Menschheit eine tiefgreifende Zäsur bedeutet. In CelanCelan, Pauls Antwort auf eine Umfrage der Pariser Librairie Flinker von 1958 heißt es:

      Die deutsche Lyrik geht, glaube ich, andere Wege als die französische. Düsterstes im Gedächtnis, Fragwürdigstes um sich her, kann sie, bei aller Vergegenwärtigung der Tradition, in der sie steht, nicht mehr die Sprache sprechen, die manches geneigte Ohr immer noch von ihr zu erwarten scheint.14

      „Nicht mehr die Sprache sprechen“ können, die zuvor vielleicht noch möglich schien. Im selben Jahr beschreibt CelanCelan, Paul in seiner Bremer Literaturpreisrede den Weg, den die Sprache stattdessen zu gehen hat:

      Sie, die Sprache, blieb unverloren, ja, trotz allem. Aber sie mußte nun hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede. Sie ging hindurch und gab keine Worte her für das, was geschah; aber sie ging durch dieses Geschehen. Ging hindurch und durfte wieder zutage treten, „angereichert“ von all dem.15

      Die Notwendigkeit, dass die Sprache durch das „Geschehen“ hindurchgehen muss und verändert wieder hervortritt, zeigt an, dass Welthaltigkeit und Wirklichkeitsbezug in CelanCelan, Pauls Poetik eine wichtige Rolle spielen. Vom Engagement absoluter Poesie16 hat zu Recht Marlies Janz gesprochen. Zugleich deutet sich in der Ambivalenz, dass die Sprache zutage tritt und keine Worte hergibt für das, was geschah, eine Unverfügbarkeit des Geschehens für und durch die Sprache an.

      Relativiert sich damit die Bedeutung der Sphäre der Sprache, zu der ja auch Mehrsprachigkeit (und deren Poetik) gehört? Der von CelanCelan, Paul verwendete Begriff des Geschehens und des Geschehenen könnte in diese Richtung gelesen werden. Geschehen ist etwas anderes als Geschichte, etwa in der strukturalen Erzähltheorie, wo das Geschehen als sinnindifferentes Ereignis verstanden wird, dem erst durch die sprachliche Konstruktion einer Geschichte als narrativer Zusammenhang Sinn gegeben wird. Eingedenk der Formulierung CelanCelan, Pauls von der „Asche ausgebrannter Sinngebung“, die im Text von 1948 in engster Verbindung mit den Erkenntnisbedingungen des Sprechenden steht, ließe sich die These aufstellen, dass die Sphäre der Sprache vom Geschehen selbst, das jegliche Sinngebung zerstört hat, in Mitleidenschaft gezogen wurde.

      Dies betrifft auch die Frage der Mehrsprachigkeit. 1961 antwortet CelanCelan, Paul auf eine zweite Umfrage der Pariser Librairie Flinker, die dem „Problem der Zweisprachigkeit“ gewidmet ist, lapidar: „An Zweisprachigkeit in der Dichtung glaube ich nicht.“17 Was in CelanCelan, Pauls kurzer Stellungnahme folgt, ist eine ziemlich unwirsche Bemerkung über die „Doppelzüngigkeit“ und die „freudige Übereinstimmung mit dem Kulturkonsum“.18 Die in solchen Kontexten entstehenden Wortkünste wissen sich, so CelanCelan, Paul mit einer kritischen Spitze gegen die Konjunkturen des Literaturbetriebs, „polyglott und polychrom“19 zu etablieren und in Szene zu setzen. Als Gegenbegriff zu der von ihm abgelehnten „Zweisprachigkeit in der Dichtung“ bringt CelanCelan, Paul nicht etwa Einsprachigkeit ins Spiel, was vor dem Hintergrund der skizzierten Poetik einer in sich mehrsprachig verfassten Lyrik auch absurd wäre, sondern einen anderen Begriff. Er schreibt: „Dichtung – das ist das schicksalhaft Einmalige der Sprache.“20

      Der Begriff des „Einmaligen“, der von CelanCelan, Paul mit dem Zusatz des Schicksalhaften versehen wird und offenkundig poetologisch zu verstehen ist, lässt sich mit Jacques DerridaDerrida, Jacquess Celan-Lektüre in Beziehung setzen. Ohne auf die gerade zitierte Stelle bei CelanCelan, Paul zu verweisen, beginnt DerridaDerrida, Jacques seine Analyse des Gedichts „Schibboleth“ mit einer Erörterung der zeitlichen Bestimmung des Wortes „Mal“ (frz. fois).21 Auf die zweite Bedeutung des Wortes „Mal“, das im Deutschen auch ‚Zeichen‘, ‚Fleck‘ und ‚verfärbte Hautstelle‘ im Sinne eines ‚Wundmals‘ meint, geht DerridaDerrida, Jacques interessanterweise nicht ein. Ob diese zweite Bedeutung für CelanCelan, Pauls Dichtungsbegriff des „schicksalhaft Einmalige[n]“ entscheidend ist und damit erneut ein Fingerzeig auf das der Sprache und Dichtung unverfügbare Geschehen gegeben ist, durch das Sprache und Dichtung selbst in Mitleidenschaft gezogen werden, wäre zumindest zu erwägen. Dann trüge die in sich mehrsprachig verfasste Dichtung CelanCelan, Pauls, die sich von marktgängigen und kulturindustriellen Formen des Polyglotten und

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