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Kraft den Presslufthammer nach unten drücken. Die Betonbrocken ließen sich nur mühsam lösen. Bereits nach einer Viertelstunde zitterten mir Arme und Beine.

      Als es zur Frühstückspause klingelte und ich die Höllenmaschine abstellen durfte, vibrierten meine Hände im Rhythmus des Presslufthammers weiter. Nach einigen Minuten Ruhe kam der Brigadier auf mich zu. Hoffentlich gibt er mir eine andere Arbeit, betete ich im Stillen. Doch mit den Wünschen ist es so eine Sache. Manchmal gehen sie in Erfüllung.

      Klaus reichte mir einen Schraubenschlüssel und deutete auf eine Art Hochspannungsmast, in dessen Inneren ein Rohr von etwa 20 Zentimetern Durchmesser nach oben lief.

      »Das ist das Betondruckrohr. Mit ihm pumpen wir den flüssigen Beton auf die Batterie. Dort oben« – der Brigadier zeigte auf eine Stelle in fünf Metern Höhe – »ist ein Segment geborsten. Du musst am Mast hochklettern, die Metallmuffen lösen, die Dichtungsringe auswechseln und ein neues Rohrstück einsetzen. Dann schraubst du alles fest. Die Arbeit ist völlig ungefährlich, weil kein Druck mehr auf der Leitung ist. Klaro?«

      Ich nickte und begann den Aufstieg. An sich wäre es kein Problem gewesen, weil ich mich an den Metallstreben gut festhalten konnte. Doch es triefte alles vor Öl. Ständig rutschte ich mit den Gummistiefeln ab, und auch die unförmigen Handschuhe behinderten mich sehr. Oben angekommen, klammerte ich mich fest. Ein Arbeiter warf mir von der Batterie gegenüber ein Seil zu. Ich band es um das defekte Segment und begann, die Schrauben zu lösen. Schweiß floss mir über die Stirn und stach mir brennend in die Augen.

      Öl und warmes Wasser tropften mir ins Gesicht, vermischten sich mit dem Schweiß und liefen mir die Brust und den Rücken hinunter. Ich schob die Muffen nach unten und nach oben, zerrte die Dichtungsringe heraus und kantete das Rohr aus der Führung. Der Arbeiter ließ es herunter. Ein neues Segment schwebte nach oben. Ich musste mich weit strecken, um es erreichen zu können. Ich passte das Rohr ein, nahm vorsichtig den ersten Dichtungsring aus der Tasche, hob die Zuleitung ein Stück an und schob den Dichtungsring dazwischen. Eigentlich hätte ich vier Hände haben müssen: Zwei zum Heben des Segments, eine für den Dichtungsring und eine zum Festhalten.

      So blieb mir nichts weiter übrig, als den Eisenträger von außen zu umklammern und gleichzeitig am Rohr zu hantieren. Immer wieder rutschte ich mit den Gummi­stiefeln ab, der Vierkantstahl der Gerüstkonstruktion schnitt schmerzhaft in die Oberarme ein. Das wird eine Menge hübscher blauer Flecke geben, dachte ich mir.

      Studenten der Karl-Marx-Universität arbeiten auch im Sommer 1982 in einem Plattenwerk in Leipzig. (picture alliance / ZB / Waltraud Grubitzsch)

      Nachdem ich auch den obersten Dichtungsring nach zahllosen schweißtreibenden Versuchen eingepasst hatte, war der schwierigste Teil der Arbeit getan. Die öligen Muffen rutschten leicht über das Rohr und ließen sich problemlos festschrauben. Ich blickte nach unten in die Tiefe. Der Abstieg konnte beginnen.

      Ich schlotterte am ganzen Körper, so hatte mich die ungewohnte Anstrengung erschöpft. Zentimeter um Zentimeter tastete ich mich an den schmierigen, glitschigen Metallstützen nach unten, bis ich wieder Halt auf einer Querstrebe fand. Plötzlich rutschte ich mit der Sohle meines linken Gummistiefels ab. Das geschah dummerweise genau in dem Moment, als ich mit dem rechten Fuß noch nach dem nächsten Halt suchte. Mit einer Hand hing ich an dem Gerüst. Ich wollte mit der anderen Hand nachfassen, aber ich erreichte die Querstrebe über mir nicht mehr. Ich zappelte hilflos mit den Beinen. Dann stürzte ich schreiend ab.

      Aus vier Metern Höhe prallte ich auf einen aus Eisenbahnschienen zusammengeschweißten Rahmen, in dem eine zum Trocknen aufgestellte Betonplatte stand. Ein unbestimmter Reflex veranlasste mich, meine Bauchmuskulatur anzuspannen. Es gab ein hässliches Geräusch, als der ölverschmierte Stahl meine blaue Arbeitskombi zerriss und sich in meine Bauchdecke bohrte. Um mich herum wurde es dunkel, sehr dunkel. Mein mildtätiger Organismus hatte sich dafür entschieden, den unsagbaren Schmerz zunächst nicht in mein Bewusstsein dringen zu lassen.

      Ich wurde wieder wach, als grelles Tageslicht zwischen meine Lider drang. Zwei Arbeiter hatten mich links und rechts gepackt und schleppten mich den Plattenweg draußen vor der Halle entlang. Meine Gummistiefel schleiften über den rauen Boden. Ich stöhnte. Der Brigadier seufzte erleichtert auf, weil ich offensichtlich noch nicht gestorben war. Er dirigierte die beiden Träger in die Bereichsbaracke.

      Dem Meister entglitten die Gesichtszüge, als er meiner ansichtig wurde. Aber er war ein beherzter, lebenserfahrener Mann. Er ließ den Stift fallen, sprang auf und wühlte im Aktenschrank, bis er das entscheidende Papier gefunden hatte.

      Ich saß auf einem Holzstuhl mit Seitenlehne, die Beine steif von mir gestreckt, den Rücken gekrümmt. Mit der linken Hand drückte ich den tiefen Riss in meiner Bauchdecke zusammen. Blut quoll zwischen meinen Fingern hervor und tropfte im stetigen Fluss auf den Fußboden.

      Ich sah, wie der Meister seinen Mund öffnete und schloss, doch die Worte drangen nicht an mein Ohr. Stattdessen hörte ich ein Summen und ein Brausen. Express­züge fuhren vorbei und Motoren heulten auf. Immer, wenn der Schmerz in weißen Wellen kam, verschwamm das Zimmer vor meinen Augen. Doch alles war weit, weit weg von mir. Nichts von alledem ging mich das Geringste an. Ich saß auf meinem Platz als unbeteiligter Beobachter, wie ein Besucher im Kino, der zwar die Handlung auf der Leinwand betrachten, aber nicht in sie eingreifen oder ihren Verlauf ändern kann.

      Aus einem Reflex heraus wollte ich aufstehen. Es misslang. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Die Verbindung zur Außenwelt wurde fragiler. Ich schwankte vor und zurück. Viel, viel später erfuhr ich, dass der Meister mit mir zusammen das Unfallprotokoll aufgesetzt hatte. Mein Schweigen und das Hin-und-her-Wiegen fasste er als Bejahung oder Verneinung seiner Fragen auf, je nachdem, welche Aussage der jeweilige Tatbestand im Formular »Arbeitsunfall durch Selbstverschulden« erforderte.

      Irgendwann ergriff der Meister meine rechte Hand und führte mit ihr einen Stift über das Papier. Mit meiner Unterschrift war es verbrieft und gesiegelt, dass ich keinerlei Schadensersatzforderungen an den Betrieb stellen würde, weil ich den Unfall selbst grob fahrlässig verursacht hatte.

      Die beiden Arbeiter hoben mich aus meinem Stuhl und schleppten mich zur Sanitätsstation. Die Betriebsschwester schnitt mit einer Schere meine blutverkrustete Kombi auf und untersuchte die Wunde. Ich hörte sie aus weiter Ferne sagen: »Der Mann muss sofort ins Krankenhaus und operiert werden. Er schwebt in Lebensgefahr. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind innere Organe verletzt worden.« Die Schwester legte mir einen Notverband an.

      Der Meister telefonierte inzwischen mit der Fahrbereitschaft. »Der Betriebswagen holt ihn gleich ab und bringt ihn in die Klinik. Sorgen Sie dafür, dass er die Polster nicht schmutzig macht.«

      Die Zeit dehnte sich und zog sich wieder zusammen. Irgendwann saß ich in einem Wolga auf der Rückbank. Der Wagen fuhr. Dann hielt er an. Er war nicht weit gekommen. Wir befanden uns immer noch auf dem Betriebsgelände, und zwar in Sichtweite vom Werkstor.

      Der Fahrer, ein junger Bursche mit Lederjacke, schmalem Oberlippenbärtchen und Elvisfrisur, hievte mich nach draußen und setzte mich auf einen Sandhaufen. Er sagte irgendetwas und deutete auf den Hinterreifen des Wolga. Schließlich verstand ich. Der Wagen hatte einen Platten und der Chauffeur wollte ein Ersatzrad holen.

      Ich lehnte mit dem Rücken an einem Baum. Die Beine lagen weit ausgestreckt im gelben Sand. Der Verband färbte sich rot. Vom tiefblauen Himmel stach die warme Julisonne. Die Schmerzen von der aufgerissenen Bauchdecke strahlten in alle Richtungen. Mein Körper wurde zu einer einzigen, quälenden Wunde. Die Schläfen pochten, meine trockenen Lippen sprangen auf, und meine Zunge klebte am Gaumen. Ich röchelte.

      Ein Schatten fiel auf mein Gesicht. Ein Mann im blauen Dederonkittel stand vor mir. Ich blickte auf graue Sandalen und ausgeleierte gelbe Socken.

      »Was ist mit Ihnen? Sind Sie verletzt?« Ich nickte. Eine einzelne Träne lief mir über das heiße Gesicht und kühlte es angenehm.

      »Können Sie nicht sprechen?«

      Mit der allergrößten Anstrengung schüttelte ich den Kopf.

      Der

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