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Arsène Lupins steigerte die Fantasie so sehr, dass fantastische Geschichten die Spalten der Zeitungen füllten und bei den Lesern Glauben fanden.

      Der erste Brief Arsène Lupins, den die Zeitung Echo de France veröffentlichte (niemand erfuhr jemals, wer der Zeitung den Text in die Hand gespielt hatte), jener Brief, in dem der Baron so unverschämt vor dem, was ihn bedrohte, gewarnt worden war, erregte ganz besonders die Gemüter. Sofort wurden fantastische Erklärungen aufgestellt. Man erinnerte an das Vorhandensein der berühmten Kellergewölbe. Und die beeinflusste Staatsanwaltschaft unternahm ihre Ermittlungen in dieser Richtung.

      Das Schloss wurde von oben bis unten durchsucht, jeder Stein beklopft. Man prüfte die Täfelungen und die Kamine, die Fensterrahmen und die Deckenbalken. Bei Fackelschein untersuchte man die gewaltigen Kellerräume, in denen die Herren von Malaquis früher ihre Munition und Vorräte aufbewahrten. Selbst das Innere der Felsen wurde durchröntgt. Alles war vergeblich. Nicht die kleinste Spur eines Kellergewölbes wurde gefunden. Es gab keinen geheimen Weg.

      Gut, erwiderte man von allen Seiten, aber die Möbel und Gemälde lösen sich nicht wie Gespenster in nichts auf. So etwas wird durch Türen oder Fenster fortgetragen, und die Leute, die das vornehmen, gehen ebenfalls durch Türen oder Fenster ein und aus. Wer sind diese Leute? Wie sind sie hereingekommen? Und wie sind sie wieder fortgegangen?

      Die von ihrer Ohnmacht überzeugte Staatsanwaltschaft von Rouen bat um die Unterstützung von Pariser Kriminalbeamten. Herr Dudouis, der Chef des Sicherheitsdienstes, schickte seine besten Polizeispione von der Eisernen Brigade. Er selbst hielt sich zwei Tage im Malaquis auf. Auch er erreichte nicht mehr.

      Also bestellte er Inspektor Ganimard zu sich, dessen Dienste schätzen zu lernen er schon oft Gelegenheit hatte.

      Ganimard hörte schweigend der Darstellung seines Vorgesetzten zu, schüttelte nur den Kopf und sagte:

      »Ich glaube, dass man mit der Durchsuchung des Schlosses auf der falschen Spur ist. Die Lösung liegt woanders.«

      »Und wo?«

      »Bei Arsène Lupin.«

      »Bei Arsène Lupin! Wenn wir das annehmen, geben wir seine Beteiligung an der Affäre zu.«

      »Ich gebe sie zu. Mehr noch, ich halte sie für vollkommen sicher.«

      »Aber, das ist doch absurd. Arsène Lupin sitzt im Gefängnis.«

      »Arsène Lupin sitzt im Gefängnis, gut. Er wird bewacht, ich gebe es zu. Aber selbst wenn er Eisen an den Füßen, Ketten an den Handgelenken und einen Knebel im Mund hätte, würde ich meine Meinung nicht ändern.«

      »Und woher haben Sie diese Überzeugung?«

      »Weil nur Arsène Lupin der Mann ist, ein Ding von dieser Größe zu drehen, und zwar so zu drehen, dass es gelingen muss … wie es gelungen ist.«

      »Nichts als Worte, Ganimard.«

      »Die wahr sind. Es ist zwecklos, nach Kellergewölben, Drehscheiben und anderen Albernheiten dieser Art zu suchen. Der Kerl gebraucht keine so uralten und abgenutzten Spielereien. Er ist ein Mann von heute oder eher noch von morgen.«

      »Und was beschließen Sie?«

      »Ich bitte Sie nur um die Erlaubnis, eine Stunde mit ihm zu verbringen.«

      »In seiner Zelle?«

      »Ja. Auf der Rückreise von Amerika haben wir uns auf der Überfahrt sehr gut verstanden, und ich glaube sagen zu können, dass er dem, der ihn hat verhaften können, einige Sympathie entgegenbringt. Wenn er mir, ohne sich bloßzustellen, Auskünfte geben kann, wird er nicht zögern, mir eine unnütze Reise zu ersparen.«

      Es war kurz nach Mittag, als Ganimard in Arsène Lupins Zelle geführt wurde. Dieser lag auf seinem Bett, hob kurz den Kopf und stieß einen Freudenschrei aus.

      »Also, das ist eine echte Überraschung. Der liebe Ganimard, hier!«

      »Er persönlich.«

      »Ich habe mir viel in meiner selbstgewählten Zurückgezogenheit gewünscht … aber nichts so leidenschaftlich, wie dich zu sehen.«

      »Zu gütig.«

      »Aber nein doch, ich empfinde für dich die größte Hochachtung.«

      »Ich bin stolz darauf.«

      »Ich habe es immer gesagt: Ganimard ist unser bester Detektiv. Er taugt fast so viel – du siehst, ich bin ehrlich, er taugt fast so viel wie Sherlock Holmes. Aber wirklich, ich bin untröstlich, dir nur diesen Schemel anbieten zu können. Und keine Erfrischung, kein Glas Bier! Entschuldige bitte, ich bin hier nur vorübergehend.«

      Ganimard setzte sich lächelnd, und der Gefangene, froh, sprechen zu können, fuhr fort:

      »Mein Gott, wie gut, ein ehrliches Gesicht vor sich zu haben! Ich habe genug von diesen Schnüffler- und Spitzelgesichtern, die zehnmal am Tag meine Taschen und meine bescheidene Zelle untersuchen, um sicherzugehen, dass ich keine Flucht vorbereite. Zum Teufel! Was die Regierung für Wert auf mich legt!«

      »Sie hat allen Grund.«

      »Aber nein! Ich wäre so glücklich, wenn man mich in meinem kleinen Winkel ruhig leben lassen würde.«

      »Mit den Einnahmen der anderen.«

      »Nicht wahr? Das wäre so einfach. Aber ich schwätze, ich rede dummes Zeug, und du hast es vielleicht eilig. Also zum Thema, Ganimard! Was verschafft mir die Ehre des Besuches?«

      »Die Affäre Cahorn«, erklärte Ganimard ohne Umschweife.

      »Moment! Eine Sekunde … Ich habe so viele Affären! Ich muss in meinem Gehirn erst die Akte der Affäre Cahorn finden. Ah, ja, ich habe es. Affäre Cahorn, Schloss des Malaquis, Seine-Inférieure. Zwei Rubens, ein Watteau und einige kleinere Gegenstände.«

      »Kleinere!«

      »Ach, mein Gott, das alles ist von zweitrangiger Bedeutung. Es gibt Besseres. Aber es genügt, dass die Sache dich interessiert … Sprich doch, Ganimard.«

      »Muss ich dir erklären, wie weit wir mit unserer Untersuchung sind?«

      »Nicht nötig. Ich habe heute früh die Zeitungen gelesen. Ich erlaube mir sogar die Bemerkung, dass ihr nicht gerade schnell vorankommt.«

      »Genau deswegen wende ich mich an dich.«

      »Voll und ganz zu deinen Diensten.«

      »Zunächst das: Die Affäre ist von dir eingefädelt worden.«

      »Von A bis Z.«

      »Der Brief mit der Drohung? Das Telegramm?«

      »Sind von mir. Ich muss sogar irgendwo die Posteinlieferungsscheine haben.«

      Arsène öffnete die Schublade eines kleinen Tisches aus weißem Holz, der mit dem Bett und dem Schemel die ganze Einrichtung bildete. Er entnahm ihr zwei Zettel und reichte sie Ganimard.

      »Das ist doch die Höhe«, rief dieser aus, »ich glaubte dich ständig bewacht und für nichts und wider nichts durchsucht. Und du liest Zeitungen, du sammelst Einlieferungsscheine der Post …«

      »Pah! Diese Leute sind so dumm! Sie trennen das Futter von meiner Jacke auf, untersuchen die Sohlen meiner Schuhe, horchen die Wände dieses Raumes ab, aber keiner von ihnen kommt auf die Idee, dass Arsène Lupin so einfältig sein könnte, ein so leichtes Versteck zu wählen. Genau damit habe ich gerechnet.«

      Ganimard lachte:

      »Was für ein komischer Bursche! Du bringst mich aus der Fassung. Also los, erzähl mir das Abenteuer.«

      »Oho, wie du rangehst! Dich in alle meine Geheimnisse einweihen … dir meine kleinen Einfälle enthüllen … Das ist bedenklich.«

      »Habe ich mich zu Unrecht auf deine Gefälligkeit verlassen?«

      »Nein, Ganimard, und da du darauf bestehst …«

      Arsène Lupin durchmaß

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