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sah keinen Grund, warum er nicht in den hinteren Bereich der Verteilung fallen sollte, und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

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      Abbildung 1: Überlebenskurve bei einem Mesotheliom, wie sie Stephen Jay Gould vor sich sah.

      Stephen Jay Gould starb 20 Jahre später an einer anderen Krankheit. Er hatte Zeit gehabt, eine bewundernswerte wissenschaftliche Karriere zu verfolgen, und erlebte zwei Jahre vor seinem Tod noch die Veröffentlichung seines Opus magnum, The Structure of Evolutionary Theory. Er hatte 30-mal länger gelebt, als die Onkologen vorhergesagt hatten.

      Aus der Geschichte dieses großartigen Naturwissenschaftlers lässt sich eine ganz einfache Schlussfolgerung ziehen: Statistiken sind Informationen, kein Todesurteil. Wenn man Krebs hat und gegen sein Schicksal kämpfen will, sollte man den Blick auf den hinteren, vielversprechenderen Teil der Kurve richten.

      Niemand kann den Verlauf einer Krebserkrankung vorhersagen. Professor David Spiegel von der Stanford University organisiert seit 30 Jahren Selbsthilfegruppen mit psychologischer Betreuung für Frauen mit metastasierendem Brustkrebs. Bei einem Vortrag vor Onkologen in Harvard (der im Journal of the American Association of Medicine erschien) schilderte er seine Ratlosigkeit: »Krebs ist eine rätselhafte Krankheit. Wir hatten Patientinnen, bei denen sich vor acht Jahren Metastasen im Gehirn bildeten [Anmerkung des Autors: eine besonders bedrohliche Entwicklung bei Brustkrebs] und denen es heute gut geht. Wie kommt das? Niemand weiß es. Es ist eines der großen Geheimnisse der Chemotherapie, dass die Tumoren manchmal verschwinden und sich die Überlebenszeit trotzdem kaum verlängert. Die Verbindung zwischen somatischer Resistenz und einem Fortschreiten der Krankheit ist selbst aus rein onkologischer Sicht immer noch schwer zu erklären.«1

      Wir alle haben schon von Wunderheilungen gehört, von Menschen, denen die Ärzte nur noch wenige Monate gaben und die trotzdem noch jahre-, sogar jahrzehntelang lebten. »Aber das sind Einzelfälle«, werden wir gewarnt. Oder man sagt uns, dass es sich bei diesen Fällen vermutlich gar nicht um Krebs gehandelt habe, sondern um eine Fehldiagnose. In den Achtzigerjahren gingen zwei Wissenschaftler von der Erasmus-Universität in Rotterdam der Sache nach und untersuchten systematisch Fälle von Spontanheilungen bei Krebs, bei denen die Diagnose nicht infrage gestellt werden konnte. Nachdem sie 18 Monate lang recherchiert hatten, zählten sie zu ihrer großen Überraschung allein in ihrer kleinen Region in den Niederlanden sieben Fälle, die so eindeutig wie unerklärlich waren.2 Es gibt daher guten Grund zu der Annahme, dass solche Fälle viel häufiger sind, als allgemein eingeräumt wird.

      Ein befreundeter Onkologe von der University of Pittsburgh, mit dem ich über diese Zahlen sprach, wandte ein: »Das sind keine gewöhnlichen Patienten. Sie sind besser ausgebildet, motivierter und in besserer gesundheitlicher Verfassung. Die Tatsache, dass sie länger leben, beweist gar nichts.« Aber genau darauf kommt es an: Wer besser über seine Krankheit informiert ist, auf Körper und Seele achtet und sie mit dem versorgt, was die Gesundheit verbessert, kann die Schutzmechanismen seines Körpers gegen Krebs mobilisieren. Diese Patienten leben besser, und sie leben länger.

      Inzwischen hat Dr. Dean Ornish, Professor für Medizin an der University of California in San Francisco und Vorkämpfer der ganzheitlichen Medizin, weitere Nachweise erbracht. 2005 veröffentlichte er die Ergebnisse einer bis dahin einmaligen onkologischen Studie.4 Sie begleitete 93 Männer mit Prostatakrebs im Frühstadium (bestätigt durch eine Biopsie), die sich gegen eine Operation entschieden hatten. Daraufhin wurde der Verlauf der Krankheit von ihrem Onkologen beobachtet und in regelmäßigen Abständen der PSA-Wert im Blut gemessen. Das Prostataspezifische Antigen (PSA) ist ein Eiweiß, das in den Zellen der Prostata gebildet wird und im Blut nachweisbar ist. Ein Anstieg des PSA-Werts deutet darauf hin, dass sich die Krebszellen vermehrt haben und der Tumor wächst.

      Da die Männer für den Beobachtungszeitraum eine schulmedizinische Behandlung abgelehnt hatten, konnte man die Wirkung eines natürlichen Therapieansatzes untersuchen. Per Losverfahren wurden sie in zwei Gruppen eingeteilt, um von Anfang an vergleichbare Bedingungen zu schaffen. Bei der Kontrollgruppe wurden nur der PSA-Wert ermittelt und der Krankheitsverlauf kontrolliert. Für die andere Gruppe entwickelte Dr. Ornish ein umfassendes Programm für Körper und Seele. Ein Jahr lang ernährten sich die Patienten vegetarisch und nahmen Nahrungsergänzungsmittel zu sich (die Antioxidantien Vitamin E und C und Selen, dazu noch ein Gramm Omega-3-Fettsäuren pro Tag), sie bewegten sich regelmäßig (ein 30-minütiger Spaziergang an sechs Tagen die Woche), lernten Entspannungstechniken (Yoga, Atemübungen, autogenes Training oder progressive Muskelentspannung) und trafen sich einmal in der Woche in einer Selbsthilfegruppe mit anderen Patienten aus dem Programm.

      Das Programm bedeutete eine radikale Veränderung des Lebensstils, vor allem für gestresste Führungskräfte und Familienväter mit vielen Verpflichtungen. Ornishs Methoden hatten lange als sonderbar und irrational gegolten, Erfolge waren als Einbildung abgetan worden. Doch schon nach 12 Monaten beseitigten die Ergebnisse der Studie alle Zweifel.

      Bei den 49 Patienten, die ihren Lebensstil nicht geändert und auf eine regelmäßige Überwachung der Krankheit vertraut hatten, verschlechterte sich der Krebs in sechs Fällen; diese Männer mussten sich einer Operation unterziehen, gefolgt von einer Chemotherapie und Bestrahlung. Von den 41 Patienten, die an Ornishs Pogramm teilgenommen hatten, benötigte dagegen kein Einziger eine derartige Behandlung. In der ersten Gruppe war der PSA-Wert (der Auskunft über das Wachstum des Tumors gibt) im Schnitt um 6 Prozent gestiegen, und dabei wurden die Männer, die aus der Studie ausscheiden mussten, weil ihre Krankheit zu weit fortgeschritten war (ihr PSA-Wert war beunruhigend gestiegen), gar nicht berücksichtigt, sonst wäre der durchschnittliche PSA-Wert noch höher ausgefallen. Die Entwicklung in der ersten Gruppe wies darauf hin, dass die Tumoren zwar langsam, aber stetig wuchsen. Bei der zweiten Gruppe dagegen war der PSA-Wert im Durchschnitt um 4 Prozent gesunken, was auf eine Rückbildung der Tumoren bei den meisten Patienten hindeutet.

      Aber noch beeindruckender waren die allgemeinen Vorgänge im Körper der Männer, die ihren Lebensstil geändert hatten. Als man ihr Blut typischen Krebszellen der Prostata aussetzte (Zellen der LNCaP-Zelllinie, an denen die bei einer Chemotherapie verwendeten Medikamente getestet werden), war dessen Fähigkeit, das Wachstum der Krebszellen zu hemmen, siebenmal höher als beim Blut der Männer, die ihren Lebensstil nicht geändert hatten. Das heißt, je sorgfältiger die Männer Dr. Ornishs Ratschläge befolgten und ihren Lebensstil entsprechend veränderten, desto aktiver wehrte ihr Blut die Krebszellen ab!

      In der Wissenschaft spricht man von »Dosis-Wirkung-Verhältnis«, und es ist ein wichtiges Argument dafür, dass

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