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häufig als kriminelle und nicht als politische Handlungen dargestellt, die Bundesgerichte als zu lasch gegeißelt. Der damalige Vizepräsident Richard Nixon erklärte, die steigende Kriminalität könne »direkt mit der zersetzenden Idee in Zusammenhang gebracht werden, dass jeder Bürger ein angeborenes Recht hat, selbst zu entscheiden, welchen Gesetzen er gehorchen und wann er ihnen nicht gehorchen will«.37 Einige Befürworter der Rassentrennung gingen so weit, zu behaupten, dass die Integration Kriminalität verursache. Die geringeren Krimina litätsraten in den Südstaaten nahmen sie als Beweis für die Notwendigkeit einer Rassentrennung. Der Kongressabgeordnete John Bell Williams sagte dazu dies: »Dieser Exodus der Neger aus dem Süden und ihre Zuwanderung in die großen urbanen Zentren in anderen Regionen des Landes führte zu einer Welle von Verbrechen. … Was haben die Bürgerrechte diesen Regionen gebracht? … Die Rassentrennung ist die einzige Antwort, und die meisten Amerikaner – freilich nicht die Politiker – wissen dies auch schon seit Jahrhunderten.«38

      Ungünstig war, dass das FBI gerade zu der Zeit, in der die Bürgerrechte als Bedrohung von Recht und Ordnung ausgemacht wurden, einen dramatischen Anstieg der landesweiten Kriminalitätsrate vermeldete. Tatsächlich stieg in den 1960er Jahren die Zahl der Verbrechen in den USA von Jahr zu Jahr. Die angezeigten Fälle von Straßenkriminalität vervierfachten sich, die Zahl der Morde verdoppelte sich beinahe. Auch wenn die Exaktheit dieser Statistiken umstritten ist (die Methoden des FBI zur Erfassung von Verbrechen änderten sich ständig), waren sich Soziologen und Kriminologen einig, dass die Gesamtzahl der Verbrechen stieg, in einigen Kategorien sogar ganz erheblich. Die Gründe dafür sind komplex, aber zum großen Teil lässt sich das Phänomen durch den »Babyboom« erklären – die Zahl der jungen Männer zwischen 15 und 24, schon immer für die größte Zahl der Verbrechen verantwortlich, war enorm gewachsen. Gleichzeitig nahm die Arbeitslosigkeit unter schwarzen Männern dramatisch zu. Doch in den Medien spielten diese demografischen und ökonomischen Faktoren keine Rolle. Sie brachten Kriminalitätsstatistiken als Sensationsmeldungen und als Beleg, dass es in der Folge der Bürgerrechtsbewegung mit Gesetzestreue, Moral und gesellschaftlicher Stabilität bergab ging.39

      Dann brachen im Sommer 1964 Straßenschlachten in Harlem und Rochester aus, und nach der Ermordung von Martin Luther King 1968 kam es zu Unruhen im ganzen Land. Die Bilder von aufständischen Schwarzen gossen Öl ins Feuer der Bürgerrechtsgegner. Städte wie Philadelphia und Rochester wurden als Opfer ihrer eigenen Großzügigkeit hingestellt. Nachdem sie die Schwarzen aus dem Süden willkommen geheißen hätten, seien sie »rasch mit Slums voller Kriminalität und schwarzem Unmut belohnt worden«, so die Konservativen.40

      Barry Goldwater schlachtete 1964 in seiner Präsidentschaftskampagne die Unruhen und die Angst vor kriminellen Schwarzen aus und legte damit den Grundstein einer Bewegung, die Härte gegen Kriminalität versprach. In einer oft zitierten Rede warnte Goldwater die Wähler: »Wer den Weg der Regierung [Johnson] geht, der bahnt dem Mob den Weg auf den Straßen.«41 Bürgerrechtsaktivisten, die argumentierten, die Unruhen seien eine direkte Folge der Schikanen und Übergriffe der Polizei, wurden von den Konservativen kurzerhand abgetan. »Wenn sich [die Schwarzen] ordentlich benehmen, dann müssen sie sich über Polizeibrutalität keine Sorgen machen«, meinte Robert Byrd, Senator von West Virginia.42

      Viele Bürgerrechtler kämpften gegen den Versuch der Konservativen, die steigende Kriminalitätsrate als Vorwand für eine harte Politik gegenüber den Schwarzen auszuschlachten, doch es gab sogar schwarze Aktivisten, die sich dem Ruf nach »Recht und Ordnung« anschlossen und ebenfalls ein hartes Vorgehen gegen Gesetzesbrecher forderten. So machten sich schwarze Bürgerrechtler in Harlem, aufgeschreckt durch die steigenden Kriminalitätsraten, für das drastische »Rockefeller-Drogengesetz« und andere harsche Maßnahmen stark.43 Unbewusst trugen sie damit zur Entstehung eines Strafverfolgungssystems bei, das in der Welt seinesgleichen sucht. Dass auch Schwarze, angesichts der Unsicherheit auf den Straßen, eine harte Linie gegen die Kriminalität in den Städten befürworteten, war konservativen Politikern sehr willkommen. Sie witterten eine Chance, die Uhren der Rassenpolitik in den USA zurückzudrehen, und führten die Unterstützung dieser Schwarzen als »Beweis« dafür an, dass ihre Forderungen nach mehr »Recht und Ordnung« nichts mit der Hautfarbe zu tun hatten.

      Anfangs gab man sich wenig Mühe, die Rassenmotive hinter der Rhetorik von Recht und Ordnung und den harschen Gesetzesvorlagen zum Strafrecht zu verbergen. Die schärfsten Gegner der Bürgerrechtsgesetzgebung und der Aufhebung der Rassentrennung waren zugleich die aktivsten Befürworter dieser Strafrechtsreform. Einer der bekanntesten Befürworter der Rassentrennung, George Wallace, klagte beispielsweise, dass »derselbe Oberste Gerichtshof, der die Aufhebung der Klassentrennung angeordnet und die Bürgerrechtsgesetzgebung gefördert hat«, sich nun »ein Bein ausreißt, um Kriminellen zu helfen«.44 Drei weitere prominente Befürworter der Rassentrennung – die Senatoren McClellan, Ervin und Thurmond – versuchten unterdessen, die Rechte von Angeklagten einzuschränken.45

      Nachdem sich die Regeln des akzeptablen Diskurses geändert hatten, bestritten die Befürworter der Rassentrennung explizit rassistische Absichten. Stattdessen entwickelten sie eine von allen Rassenbegriffen gereinigte Rhetorik des »harten Durchgreifens« gegen das Verbrechen, die mittlerweile Politiker jeglicher Couleur im Munde führen. Konservative Politiker, die sich dieser Sprache bedienten, machten ganz bewusst keinen Unterschied zwischen der Strategie der direkten Aktion der Bürgerrechtsbewegung, den Unruhen in den Städten und ganz gewöhnlicher Kriminalität. Stattdessen wurden »alle diese Phänomene nun unter der Überschrift ›Straßenkriminalität‹ eingeordnet«, wie Marc Mauer vom Sentencing Project feststellt.46

      Nach der Verabschiedung der Bürgerrechtsgesetze war in der öffentlichen Debatte denn auch nicht mehr von der Segregation die Rede, vielmehr ging es nun nur noch um Kriminalität. Die Frontlinien blieben allerdings weitgehend dieselben. Die Positionen zur Kriminalpolitik deckten sich typischerweise mit den Standpunkten in der Rassenfrage. Die Politikwissenschaftlerin Vesla Weaver erklärt dazu: »Abstimmungen, in denen es um das Verbot der Rassentrennung auf dem Wohnungsmarkt (open housing), die Förderung der Rassenintegration durch Transport von Schulkindern in andere Bezirke (busing), die Bürgerrechtsgesetze und andere Maßnahmen ging, zeigten stets dieselben Trennlinien auf wie die Abstimmungen über Erweiterungen der Strafgesetze. … Kongressabgeordnete, die gegen die Bürgerrechtsgesetze gestimmt hatten, setzten sich nun energisch für neue Strafgesetze ein.«47

      Obwohl es mit der Rhetorik von Recht und Ordnung formell nicht gelang, die Zerschlagung des Systems von Jim Crow zu verhindern, fand sie doch sehr viel Anklang bei den armen Weißen der Arbeiterklasse, insbesondere im Süden, die gegen die Aufhebung der Rassentrennung waren und sich von der Demokratischen Partei im Stich gelassen fühlten. Weaver schreibt dazu: »Die Verknüpfung von Verbrechen und Hautfarbe, die die Befürworter der Rassentrennung vorgenommen hatten, löste sich nicht, sie wurde nur neu gefasst und mit einem leicht anderen Anstrich versehen.« In dieser neuen Form wurde sie dann zum Fundament des konservativen Programms zur Verbrechensbekämpfung.48 Schließlich trug die Idee von Recht und Ordnung, die zuerst die Befürworter der Rassentrennung vorgetragen hatten, zu einer breiten Neuausrichtung der Parteien in den Vereinigten Staaten bei.

      Nach dem Bürgerkrieg war das Land parteipolitisch zweigeteilt. Der Süden war fest in der Hand der Demokraten. Sie vertraten jene, die vom Ausgang des Kriegs verbittert waren, und taten alles, um das rassische Kastensystem aufrechtzuerhalten. Vehement lehnten sie jede Unterstützung der Bundesregierung für die Sache der Afroamerikaner ab. Der Norden hingegen war weitgehend republikanisch gesinnt. Zwar hatten auch die Republikaner eine zwiespältige Haltung zur Gleichheit der Afroamerikaner, aber sie waren eher geneigt, eine Reform der Rassengesetze in Angriff zu nehmen als ihre demokratischen Kollegen südlich der Mason-Dixon-Linie, der Grenzlinie zwischen Nord-und Südstaaten.

      Die Große Depression führte zu einem grundlegenden Wandel in den amerikanischen Rassenbeziehungen und der Orientierung der Parteien. Präsident Franklin D. Roosevelt versuchte, mit seinem New Deal die Not der Armen in der Wirtschaftskrise zu lindern, wovon die Schwarzen, die Ärmsten der Armen, überproportional profitierten. Trotz vieler Beispiele von Diskriminierung bei der Ausführung der Programme wurden die Schwarzen doch zumindest dem Kreis der Begünstigten zugerechnet – allein

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