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hören.

      Ich fange also an: »…da lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, doch…«

      »Nein«, ruft Luis, »die waren alle schill!«

      »Nein, die waren alle schön«, sage ich.

      »Schill!«, ruft Luis, »es heißt schill.«

      »Wieso schill?«, frage ich. »Was ist schill?«

      »Der Lautsprecher sagt: Die Töchter waren schill.«

      »Der Lautsprecher?«, frage ich.

      »Der Lautsprecher vom Kassettenrecorder.«

      Ein Hörfehler, denke ich, er hat’s falsch verstanden, als er die Märchenkassette anhörte. Weil es keinen Sinn hat, mit ihm zu diskutieren, fahre ich fort: »…dessen Töchter waren schill, doch eine war schöner als die anderen…«

      »Nein, schiller«, ruft er da, »sie war schiller als die anderen.«

      »Hat’s der Lautsprecher gesagt?«, frage ich.

      »Ja, der Lautsprecher.«

      »Aber, Luis, du hast falsch verstanden. Es heißt: ›Sie war schöner‹.«

      »Schiller!«, ruft er.

      Der Lautsprecher hat Autorität, denke ich. Und Luis soll schlafen.

      Also erzähle ich weiter: »…war also die eine schiller als die anderen, und…« Erzähle und erzähle und denke dabei: »Schiller«, denke ich dabei. Bei Schiller taucht der Edelknecht nach einem goldnen Becher, um der Königstochter Gemahl zu werden. Und »Goethe« denke ich, da sitzt der Fischer angelnd, und eine Frau rauscht aus dem Wasser empor, erzählt von der Schönheit der Tiefe, bis es um den Fischer geschehen ist und er abtaucht:

      »Halb zog sie ihn, halb sank er hin,

      Und ward nicht mehr gesehn.«

      Überall wird getaucht, der Weiber wegen. Aber gut geht es nie aus.

      Hier sucht ein Frosch nach güldnem Ball, bitteschön. Dafür möchte er mit der Prinzessin ins Bett. Für diesen Wunsch wird er an die Wand geworfen. Da komme ich ins Grübeln. Worum geht es? Um Sehnsucht der Männer nach Erlösung durch Frauen? Kann man erlöst werden durch eine wütende Frau, die einen an die Wand wirft? Warum wirft sie den Frosch an die Wand? Weil er mit ihr schlafen will? Weil er hässlich ist? Weil er hässlich ist und mit ihr schlafen will? Warum besteht der König darauf, dass die schillste Tochter Sex mit einem Frosch hat? Aus väterlichem Egoismus? Weil Frösche nicht seinen Platz als erster Geliebter der Tochter gefährden können?

      Oder ist alles eine Erfindung der Tochter? Schmuggelt einen Burschen im Froschgewande am Alten vorbei, wissend, dass sie den Grünen nur an die Wand werfen muss, um im Schleiflack-Jugendzimmer hemmungslos mit einer Art Brad Pitt herumvögeln zu können. (Die Eltern denken, sie pauke für den Bio-Leistungskurs?) Von Iring Fetscher gibt es ein Buch mit Märchen-Deutungen: Da ist der goldene Ball Synonym für einen goldenen Phallus, mit dem die Königstochter Spielchen treibt. Sie verliert ihn in unbewusster Selbstbestrafungsabsicht. Der Frosch: hilfsbereiter, erotisch anziehender Jüngling aus dem Volke. Der König? Gutmütiger Bürgerkönig. Will die Tochter aus sexuellem Autismus und narzisstischen Masturbationszwängen befreien, ordnet darum Sex mit dem Nassen an.

      Solche Geschichten erzählen wir Zweijährigen zum Einschlafen! Ich finde keine Worte! Das ist schill! Oder schrill? Schön ist es nicht, was?

      Na denn

      Kürzlich las ich in einer Zeitschrift die Geschichte einer Frau, die sich scheiden ließ, weil ihr Mann jede Mahlzeit mit den Worten »Sodele, Nudele« begann, ausgenommen das Frühstück. Da sagte er: »Eili, Peili«, bevor er sein gekochtes Ei enthauptete. Es war schön, das zu lesen. Ich wusste endlich: Ich bin nicht allein. Ich habe nämlich ebenfalls eine kleine Gewohnheit, bitte, werden Sie darüber schweigen?

      Ich kann nicht essen, ohne vorher »Na denn…« gesagt zu haben. Es ist merkwürdig, aber es geht nicht anders. Ich setze mich an den Tisch, nehme mein Besteck in die Hand und sage »Na denn…«, so wie andere Leute ein Tischgebet sprechen oder »Guten Appetit!« wünschen. Das heißt, manchmal sage ich es gar nicht selbst, sondern Paola schaut mich an, wenn wir zu essen beginnen, und dann sagt sie »Na denn…«, bevor ich es sagen kann. Wir lachen darüber, und ich freue mich, dass sie sich nicht scheiden lässt. Aber merkwürdig ist das natürlich schon.

      Meistens registriere ich selbst gar nicht, dass ich »Na denn…« sage. Ich sage es so automatisch, wie man sich die Haare im Wind glattstreicht oder die Brille zur Nasenwurzel zurückschiebt, wenn sie verrutscht ist. Schon mein Vater hat »Na denn…« gesagt, bevor er zu essen begann, mein Großvater auch. Es sind sehr viele Nadenns in den Männern unserer Familie enthalten – die müssen heraus. Ich vermute, dass bei uns der Magen-Darm-Trakt nicht funktioniert, wenn wir nicht »Na denn…« gesagt haben. Er braucht das als Zauberwort, sonst arbeiten die Verdauungszellen nicht, wie kleine Maschinen, die niemand angeschaltet hat, oder wie Heinzelmännchen, die vergebens auf den Sonnenuntergang warten.

      Man kann natürlich auch der Meinung sein, es sei zwanghaft, immer »Na denn…« sagen zu müssen, oder es sei ein nervöser Tic, so wie andere Menschen ständig mit den Wimpern zucken oder sich dauernd an den Haaren herumfummeln. So weit würde ich nicht gehen. Wenn man es sich genau überlegt, macht fast jeder Mensch irgendein kleines Gewohnheitsgeräusch. Zum Beispiel beginnt Lothar Matthäus alles, was er sagt, mit »Ja gut…« Ich glaube, wenn er nicht »Ja gut…« sagen würde, könnte er nicht reden. Es ist die Formel zum Einschalten seines Gehirns, oder wie man das bei L. M. nennt.

      Ein anderes Beispiel: Es gibt sehr viele Manager, die jeden zweiten Satz mit »Ich sage mal…« einleiten, achten Sie mal drauf! Wenn man diesen Leuten das Ichsagemal wegnehmen würde, wie man einem Kind eine Schachtel Zündhölzer wegnimmt – dann könnten sie überhaupt nicht mehr sprechen. Sie säßen an ihren Schreibtischen, und wenn das Telefon klingelte, wären sie hilflos wie kleine Kinder. Sie würden den Hörer in ihrer Hand anstarren, aus dem sie eine Stimme hörten, die eine Antwort von ihnen erwartete, die sie nicht geben könnten, weil sie das Ichsagemal nicht mehr hätten. Dann würden sie anfangen zu weinen – alles bloß wegen dreier Worte, die ihnen nicht mehr zur Verfügung stünden. Verrückt, was? Aber so ist es.

      Was ich sagen will: Ich sage dieses »Na denn…« schon längst nicht mehr, sondern mache es, und zwar nicht willentlich, sondern unwillkürlich, so wie ein Bekannter von mir immerzu »Ngpffft« mit der Nase macht, ohne es selbst noch zu merken – er hat irgend etwas mit der Stirnhöhle. »Na denn« ist ein etwa dem Schnarchen gleichgestelltes Geräusch, wobei ich ausdrücklich erwähnen möchte, dass ich nicht schnarche – aber auf diese Auskunft sollten Sie nicht viel geben. Mein Vater zum Beispiel leugnete stets, dass er schnarchte, obwohl er so sehr schnarchte, dass man ihn noch am anderen Ende der Stadt hörte. Selbst als ich 600 Kilometer weit weggezogen war, konnte ich nachts aus den Geräuschen der großen Stadt sehr leise meinen schlafenden Alten heraushören.

      Dabei fällt mir ein Freund ein, der seine Sätze nicht mit »Na denn…« oder »Ja gut…« zu beginnen pflegte, sondern – das ist wirklich wahr – immer und immer und immer mit: »Du wirst lachen…« Einmal traf ich ihn auf der Straße. Ich fragte ihn, wie es ihm gehe, und er sagte: »Du wirst lachen: Meine Frau hat mich verlassen.«

      Verspannt in alle Ewigkeit

      Damen und Herren, nehmen Sie die Parade der Alltagsversehrten unter meinen Freunden ab!

      Hier haben wir meinen alten Wegbegleiter Paul: Stören Sie sich nicht an dem kleinen Brummen, das aus seiner Kleidung dringt – es ist sein Blutdruckmessgerät, er muss es für 24 Stunden tragen. Der da kopfüber von der Decke hängt wie eine Fledermaus, ist Dieter. Er lässt seine Rückenprobleme behandeln, die ihn oft schräg durch die Welt gehen lassen wie ein sturmgepeitschtes Ausrufezeichen. Der Herr mit dem verbeulten Gesicht? Mein Steuerberater. Er wurde von unerklärlichen Schwellungen

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