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wollte dich noch nie wegschmeißen, und jetzt will ich es auch nicht«, sagte ich. Er ist älter als ich. Immer schon neigte er zur Melancholie. Sein Selbstvertrauen war nie groß. Aber in letzter Zeit ist er richtig bitter. Ständig behauptet er, ich wolle ihn loswerden.

      »Der Strom ist nicht schlecht hier«, sagte er. »Dabei habe ich ihn anfangs nicht vertragen. Er schmeckte oft so sauer und abgestanden. Ich bekam Kondensatorbrennen davon, und der Strom damals im Haus deiner Eltern, oben im Norden – er war so kühl und immer frisch. Aber in den letzten Jahren ist er auch hier sehr gut.«

      Ich schwieg einen Moment und dachte über den Geschmack von Strom nach, da sprach er weiter.

      »Weißt du, dass der Herd mir oft den besten Strom wegnimmt?«, zischte er plötzlich. »Er ist ein widerlicher Idiot. Manchmal nimmt er sich viel mehr Strom, als er braucht, und manchmal sogar welchen, wenn er abgeschaltet ist.«

      »Quatsch!«, sagte ich. »Kein Herd kann sich Strom nehmen, wenn er abgeschaltet ist.«

      »Was weißt denn du?!«, sagte der Kühlschrank. »Was weißt du von den Herden?! Das Schwein da drüben säuft mir den Strom regelrecht weg. Ich habe Mühe, zu überleben.«

      »Hetz nicht immer gegen den Herd!«, sagte ich. »Wir brauchen ihn doch.«

      »Ich nicht«, sagte Bosch. »Außerdem ist er von Bauknecht. Ich kann Bauknecht nicht leiden.«

      »Paola liebt ihn«, sagte ich.

      »Paola ist eine Frau«, sagte er.

      »Und du?«, fragte ich. »Sind Kühlschränke Männer? Können Kühlschränke – lieben?«

      »Ach…«, seufzte er. »In mir ist alles kalt, immer schon ist es so kalt in mir. Meine Seele ist ein gefrorener Kubus. Und die anderen Kühlschränke sind weit weg. Damals, oben am Meer, stand neben mir im Laden, in dem deine Eltern mich kauften, eine Kühltruhe, wochenlang stand sie neben mir und ich neben ihr und… Eines Morgens holte man sie ab. Ich habe sie nie wieder gesehen.«

      »Alter…«, murmelte ich, »Mensch, ich… ich will, dass du den besten Strom bekommst.«

      »Einmal«, sagte er leise, »da gab es einen Strom, der schmeckte – nach Salz und Meer und nach…« Er summte leise:

      »Und peitscht der Sturm auch wild den Mast,

      bäumt sich auch die Flut,

      dass du niemals mich vergessen hast,

      beflügelte meinen Mut.«

      »Von wem ist das?«, fragte ich.

      »Ein altes Seemannslied…«, seufzte er. »Gibt es Strom, der aus Wind gemacht wird? Ich glaube, der Strom damals war aus Wind.«

      »Das kann nicht sein«, sagte ich. »Gab es damals schon Strom aus Wind? Aber heute gibt es welchen. Ich versuche es. Vielleicht kann ich welchen bestellen für dich.«

      »Dass du niemals mich vergessen hast…«, brummte er, dann erstarb seine Stimme. »Einmal noch«, sagte er, »einmal noch so einen Strom…«

      Dann war es wieder still. Ich strich mit der Hand über seine Tür und ging wieder an die Arbeit.

      Und wo sind die Pinguine?

      Ich dachte, wie schön es wäre, in den Zoo zu gehen, schöne und geheimnisvolle Tiere zu betrachten, sie dem Kleinen zu erklären.

      »Luis, wollen wir in den Zoo gehen?«, fragte ich.

      »Krieg’ ich da ein Eis?«, fragte Luis.

      »Von mir aus«, sagte ich.

      So gingen wir in den Zoo. Rechts hinterm Eingang standen Flamingos, jeder auf einem Bein.

      »Guck mal, die Flamingos, so schlafen sie«, sagte ich. Luis fragte: »Wo krieg’ ich hier mein Eis?« Als hätten die Tiere ihn angeregt, fügte er hinzu: »Ich möchte ein Eis am Stiel.«

      »Hinten bei den Pinguinen gibt es Eis«, sagte ich. »Vorher schauen wir die Affen an.«

      »Ich will aber zu den Pinguinen«, sagte Luis.

      Das Affenhaus war so voll, dass man keine Affen sehen konnte, nur Leute von hinten. Die wenigen Affen, die man hätte sehen können, weil keine Leute davor standen, sah man nicht, weil sie sich unter Holzwolle verkrochen hatten, die Affen.

      »Gehen wir zu den Elefanten«, sagte ich.

      »Und die Pinguine?«, fragte Luis.

      »Schau, da hinten sind die Elefanten«, sagte ich vor dem Elefantengehege.

      Die Elefanten standen mit schaukelnden Köpfen weit weg am anderen Ende des Geheges vor der Tür zum Elefantenhaus und warteten, dass sie hineingelassen würden. Man sah sie entfernt und von hinten.

      »Ich dachte, wir gehen zu den Pinguinen«, sagte Luis. »Ja, wir gehen zu den Scheißpinguinen«, sagte ich halblaut.

      Dann gingen wir dorthin. Luis interessierte sich nur für den Eisstand neben den Pinguinen. Außerdem waren die Pinguine anscheinend spazieren oder beim Frackschneider oder am Südpol, jedenfalls nicht hier.

      Aber Eis gab es genug. Luis nahm ein rotes. Ich trug ihn auf dem Arm, und wir betrachteten die Robben gegenüber, das heißt, ich betrachtete sie, denn Luis betrachtete sein Eis, das heißt, ich betrachtete die Robben auch nicht. Sie waren die meiste Zeit abgetaucht. Als direkt vor uns eine Robbe auftauchte, erschrak Luis so, dass er sein Eis in mein Hemd fallen ließ, wo es auf meinem Körper schmolz und mein Hemd rot verfärbte.

      Ich ging mit Luis ins Zooklo, um meine Kleidung in Ordnung zu bringen. Dann gingen wir wieder hinaus, in Richtung des Eisbären, der sich gerade anschickte, seine Rutschbahn hinunterzurutschen, eine spektakuläre Sache, weil ich Eisbären nur kopfschaukelnd hin- und herwandernd kenne.

      Zwanzig Meter vor den Eisbären sagte Luis: »Ich muss mal ganz dringend.« So gingen wir zum Zooklo zurück. Als wir wieder zum Eisbären kamen, wanderte er kopfschaukelnd hin und her.

      Wir erreichten den Vergnügungspark mitten im Zoo. »Darf ich mit der Eisenbahn fahren?«, fragte Luis. Er durfte. »Darf ich mit dem Karussell fahren?«, fragte Luis. Er durfte. »Darf ich schaukeln?«, fragte Luis. Er durfte. Dann sagte er: »Ich hatte kein Eis!«

      »Doch!«, sagte ich.

      »Das ist runtergefallen!«, sagte er.

      Weil er recht hatte, gingen wir zu den Pinguinen zurück, die immer noch nicht da waren, und kauften ein Eis. Ich trug Luis auf der Schulter, damit mir das Eis nicht wieder vorne ins Hemd fallen konnte.

      »Jetzt gehen wir zum Tiger«, sagte ich.

      Als wir dessen Käfig erreichten, hatte Luis sein Eis aufgeschleckt. Der Tiger ging mit schaukelndem Kopf in seinem Käfig hin und her. Ich hub an, zu berichten über das Wesen des Tigers, erzählte Geschichten aus dem indischen Dschungel, von Tigerjagden und Überfällen von Tigern auf Dörfer, von Gefährlichkeit und Gefährdung des Tigers. Dann merkte ich, wie Luis’ Kopf neben meinen rutschte und hörte ein tiefes gleichmäßiges Atmen neben meinem Ohr. Da gingen wir heim. »Na, wie war es?«, fragte Paola.

      »Schön«, sagte Luis.

      »Und welche Tiere hast du gesehen?«, fragte sie.

      »Keine«, sagte Luis.

      »Ich denke, ihr wart im Zoo«, sagte Paola zu mir, aber ich ging bloß stumm und mit schaukelndem Kopf den Flur auf und ab.

      Wegschmeißer und Behalter

      Ja ja, die Menschheit zerfällt in Männer und Frauen, ist klar, ist klar. Aber worin zerfallen Männer, und worin zerfallen Frauen? Sie zerfallen in Wegschmeißer und Behalter und in Wegschmeißerinnen und Behalterinnen.

      Ich persönlich bin Behalter. Ich gebe nichts her. Ich schmeiße nichts weg. In

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